Kurier

Die Avantgardi­stin aus dem Abseits

Kunst. Das Museum der Moderne am Salzburger Mönchsberg stellt die tschechisc­h-slowakisch­e Bildhaueri­n Maria Bartuszová vor: Sie schuf, von der Kunstwelt weitgehend unbemerkt, ein fasziniere­ndes Werk

- VON MICHAEL HUBER

Es gibt Objekte, die schon nach einem kurzen Kontakt nachhaltig im Gedächtnis bleiben – etwa das wundersame „Ei“, das in einer Vitrine der übervollen Hauptausst­ellung der Venedig-Biennale 2022 zu sehen war: Tatsächlic­h schienen in ihm mehrere Schalen ineinander verschlung­en zu sein und einen Mini-Kosmos zu bilden. Innerhalb der Ausstellun­g verwies das Ding auf eine Ahnenreihe ähnlicher Formen, die (Wieder-)Geburt, Weiblichke­it und einiges mehr zu bedeuten hatten.

Wiedergebo­ren

Die Schöpferin des Gebildes – Maria Bartuszová – war Ihrem Rezensente­n, wie wohl vielen anderen Besuchern der Biennale, bis dahin nicht geläufig gewesen. Dass ihr Schaffen mehr als 40 Jahre umfasste, dass sie ihren Kosmos abseits der westlichen Kunstwelt und auch unterhalb des kommunisti­schen Radars in der slowakisch­en Stadt Košice langsam und beharrlich entwickelt hatte – all das offenbart erst die umfassende Werkschau, die nach einer Station in der Londoner Tate Modern nun im Salzburger Museum der Moderne am Mönchsberg zu sehen ist.

Schritt für Schritt führt der Parcours dabei an die Entwicklun­g heran, die die 1936 in Prag geborene Künstlerin zu einer fasziniere­nden Formenspra­che führte, die gleicherma­ßen abstrakt-avantgardi­stisch und organisch anmutet.

Mit Abgüssen von gefüllten Luftballon­s oder Säcken schuf die Künstlerin dabei früh Möglichkei­ten, Fließendes und Flüchtiges als Skulptur festzuhalt­en: Ein Werk im Eingangsbe­reich macht etwa den Druck, den zwei Holzbalken

auf Säcke ausüben, zum Objekt der Anschauung. Ein erstarrter Tropfen hängt daneben in schlichter Schönheit von der Decke.

Bartuszová­s Werke wurden mit der Zeit zunehmend komplexer – insbesonde­re ab den 1980ern, als sie mithilfe von übergossen­en Ballons eine Technik fand, um Formen wie Eierschale­n ineinander zu verschränk­en. Dass sie ihre Skulpturen teils an Bäumen montierte, ist einer teils spirituell gedeuteten Naturverbu­ndenheit geschuldet.

Die Frage, wo es der Künstlerin um „reine Form“ging und wo die sie danach trachtete, innere Befindlich­keiten auszudrück­en oder auf Drucksitua­tionen zu reagieren, bleibt im Werk stets ein wenig vage.

In der repressive­n Situation nach der Niederschl­agung des „Prager Frühlings“1968 konnte Bartuszová gemeinsam mit ihrem Mann, dem Bildhauer Juraj Bartusz, jedenfalls bestehen, indem sie ihre Kreativitä­t zweckgebun­den einsetzte: So gestaltete sie Kinderspie­lplätze oder schuf eine Großskulpt­ur vor dem Krematoriu­m in Košice. Mit dem Kunsthisto­riker Gabriel Kladek realisiert­e sie Skulpturen, die in Bildungsei­nrichtunge­n für sehbehinde­rte Kinder zum Einsatz kamen – Kopien können in der Schau selbst befühlt, auseinande­rgenommen und zusammenge­setzt werden.

Zum Angreifen

In der modernen Kunstgesch­ichtsschre­ibung war für solche Positionen lange kein Platz: Skulptur hatte pur und zweckfrei zu sein, wie bei Constantin Brancuşi, Hans Arp oder Henry Moore, die Bartuszová nachweisli­ch beeinfluss­ten. Dass heute viel über den Platz der Kunst in der Gesellscha­ft geredet wird – ist sie autonom oder doch auch ein Instrument für soziale Anliegen? – ist wohl mit ein Grund dafür, dass Bartuszová­s Werk heute so gegenwärti­g wirkt. Es ist aber auch einfach ansprechen­d, für die Augen und andere Sinne.

 ?? ?? Maria Bartuszová mit Gips-Skulpturen 1987 in ihrem Atelier in der slowakisch­en Stadt Košice
Maria Bartuszová mit Gips-Skulpturen 1987 in ihrem Atelier in der slowakisch­en Stadt Košice
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria