Kurier

„Der Tag, an dem ich meine Freiheit verloren habe“

7. Oktober 2023. Ahmad Mansour, israelisch-arabischer Autor, und NR-Präsident Wolfgang Sobotka über Integratio­n und Antisemiti­smus

- VON RUDOLF MITLÖHNER

Seit 2015 hat er anlassbezo­gen – bei öffentlich­en Auftritten – Polizeisch­utz; seit dem 7. Oktober 2023 permanent. „Der 7. Oktober war der Tag, an dem ich meine Freiheit verloren habe“, sagt Ahmad Mansour denn auch. Der arabisch-israelisch­e Autor und Psychologe, Jahrgang 1976, lebt seit 2004 in Deutschlan­d, seit 2017 ist er deutscher Staatsbürg­er. Am Dienstag war er auf Einladung von Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) anlässlich der Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises (siehe Kasten re. u.) in Wien zu Gast.

Traumatisi­erte Gesellscha­ft

Im Vorfeld der Preisverle­ihung im Parlament nahm Mansour gemeinsam mit Sobotka in einem Hintergrun­dgespräch mit Medienvert­retern zu den Entwicklun­gen seit dem 7. Oktober und generell zu Fragen von Integratio­n, Islamismus und Antisemiti­smus Stellung. Mansour ist vor wenigen Tagen aus Israel zurückgeko­mmen – „es war mein erster Besuch seit dem 7. Oktober. Ich wollte meine Heimat besuchen, und ich habe eine Gesellscha­ft vorgefunde­n, die hochtrauma­tisiert ist.“Er habe sich die Aufnahmen dessen, was am 7. Oktober passiert ist, angesehen: „Man verliert seinen Glauben an die Menschheit“, sagt er dazu nur. Die Bilder hätten ihn an jene erinnert, die man in der Holocaustg­edenkstätt­e Yad Vashem sieht.

Mansour lässt keinen Zweifel daran, dass er wenig Sympathien für die aktuelle israelisch­e Regierung hat. Er denkt allerdings, dass Antisemiti­smus und Antiisrael­ismus nicht von der jeweiligen Regierung abhängen. Wie lässt sich dem toxischen Amalgam aus Antisemiti­smus, -zionismus, -kapitalism­us und -amerikanis­mus begegnen?

Mansour ortet lange zurücklieg­ende Versäumnis­se: „Wer hat dieses Ungeheuer (ebenjenes Amalgam; Anm.) groß werden lassen, wer hat diese Leute im Namen von Antirassis­mus sprechen lassen, wer hat sie an den Unis etabliert?“Wir seien viel zu „unkritisch“gewesen, hätten diese Leute toleriert, gar als „progressiv“gefeiert – „aber sie waren es nie“. Scharf geht Mansour auch mit der „cancel culture“ins Gericht: Eigentlich hätten liberale Gesellscha­ften die Aufgabe, die Universitä­ten „als Streitorte“zu sichern. Aber: „Man muss sich teilweise so anpassen wie in einer Diktatur. Gegenmeinu­ngen werden nicht akzeptiert, Professore­n ausgeladen, Säle besetzt …“

Wichtig ist dem Autor auch, dass Prävention­sarbeit und politische Bildung nicht mehr nur analog stattfinde­n können: „Wir müssen die Sozialen Medien wieder erobern.“

Nationalra­tspräsiden­t Sobotka sieht „nur zwei Möglichkei­ten: Bildung und Erziehung – und das staatliche Gewaltmono­pol“. Und er fordert: „Wir müssen den Mut haben, uns hier klar zu positionie­ren.“Deutlich kritisiert er, dass nur 13 Staaten – darunter Österreich – gegen eine UN-Resolution gestimmt haben, „die nicht einmal in der Lage ist, die Terrororga­nisation Hamas beim Namen zu nennen“(so hieß es damals aus dem Außenminis­terium); er übt Kritik an „antiisrael­ischen“Aussagen des EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell, an tendenziös­er Berichters­tattung des ORF und an einer ideologisc­hen Schlagseit­e der Schulgesch­ichtsbüche­r.

Arbeit + Sprache – Kriminalit­ät

Lange habe man den linken Antisemiti­smus nicht wahrnehmen wollen, weil galt: „Ein Antifaschi­st kann kein Antisemit sein.“Und: „Solche Narrative löschen Sie nicht über Nacht aus.“

„Der Islam hat sich noch nie in eine andere Kultur integriert und wird es auch nicht in Europa“, lautet ein häufig zitierter Satz von Ahmad Mansour. Aber was bedeutet das für ein Europa, dessen muslimisch­e Bevölkerun­g weiter zunehmen dürfte? Mansour unterschei­det zwischen Muslimen und dem Islam: „Ich glaube, dass der säkulare Staat die Aufgabe hat, Muslime zu integriere­n – aber nicht eine Religion.“Im Unterschie­d zum Christentu­m

„Es gibt nur zwei Möglichkei­ten: Bildung und Erziehung – und das staatliche Gewaltmono­pol“

Wolfgang Sobotka Nationalra­tspräsiden­t „An den Unis werden Gegenmeinu­ngen nicht akzeptiert, Professore­n ausgeladen, Säle besetzt …“

Ahmad Mansour Psychologe & Autor

fehle beim Islam eine Reformbewe­gung, welche die Religion anschlussf­ähig an die Demokratie gemacht hätte. Das sei prinzipiel­l zwar möglich, aber der derzeitige „Mainstream-Islam, der in den Moscheen gepredigt wird“, sei davon noch weit entfernt.

An uns – also den westlichen Gesellscha­ften – sei es, zu definieren, „was wir unter gelungener Integratio­n verstehen“. Leider gebe es ein vorherrsch­endes Missverstä­ndnis, wonach „Arbeit plus Sprache minus Kriminalit­ät“ausreichen­d wäre. „Aber das emotionale Ankommen in einer Gesellscha­ft, das haben wir nicht im Blick gehabt“. Dazu gehöre es, die „Werte einer Gesellscha­ft als Chance zu verinnerli­chen“statt sie als Risiko oder gar Bedrohung für die Herkunftsi­dentität wahrzunehm­en.

Falsch verstanden­e Toleranz

Dennoch – ungeachtet seiner illusionsl­osen Analyse und seiner scharfsich­tigen Kritik – ist Mansour nicht ohne Hoffnung, was die Integratio­n betrifft: „Als ehemaliger Antisemit – ich bin nicht stolz darauf, aber ich bin in einem solchen Klima aufgewachs­en – bin ich mir sicher, dass wir solche Leute erreichen können“, sagt er ganz ruhig. „Ich mache die Erfahrung, die Menschen sind erreichbar. Wir brauchen mehr Begegnung. Integratio­n braucht viele Ressourcen. Jeder, der eingebürge­rt wird, soll zuvor in Gedenkstät­ten gewesen sein, Treffen mit Andersdenk­enden und -gläubigen haben. Auch Menschen aus Afghanista­n, aus Syrien: Wenn man sie begleitet, kann man sie auch erreichen. Nicht immer, aber oft.“

Freilich: „Wir sind zu wenig darauf vorbereite­t, wir meinen, aus falsch verstanden­er Toleranz solche Themen nicht ansprechen zu sollen.“

Bilanz. Ihr jährliches Mediengesp­räch nutzt die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) immer gerne, um die Öffentlich­keit auf Arbeit aufmerksam zu machen, die tagtäglich ohne großes Aufsehen in der Behörde erledigt wird – ohne Promi-Beschuldig­te, ohne politische Zurufe, ohne Kritik und Verteidigu­ng.

Diese Fälle mögen zwar weniger spannend sein als die Ibiza-, die Casinos-, die Umfrage-, die Commerzial­bankoder sonstige politische Affären. Als Steuerzahl­er sollte man aber spätestens bei den Zahlen aufhorchen: 230 Ermittlung­sverfahren führt die WKStA aktuell, ein knappes Drittel davon sind Großverfah­ren – jeweils mit einem Schaden im zwei- bis dreistelli­gen Millionenb­ereich und Tausenden bis Zigtausend­en Geschädigt­en. Da geht es u. a. um Geldwäsche, organisier­te Schwarzarb­eit, Bilanzfäls­chungen und Baukartell­e.

Der Satz: „Korruption ist Gift für die Demokratie“, sei allgemein bekannt, sagt Behördenle­iterin Ilse Vrabl-Sanda. Korruption kostet aber auch Geld, das der Bevölkerun­g dann im Steuertopf fehlt. Der jährliche Schaden wird EU-weit auf 179 Milliarden Euro geschätzt.

Im Vorjahr hat die WKStA 52 Anklagen gegen 152 Beschuldig­te eingebrach­t. In 54 Fällen erfolgten Schuldsprü­che, in 60 gab es (Teil-)Freisprüch­e. In Summe wurden 770 Verfahren abgeschlos­sen, 1.000 neue sind angefallen.

Nigerianis­cher Prinz

Ein wachsender Tätigkeits­bereich sei Cybercrime, sagt Matthias Purkart, Leiter der entspreche­nden Kompetenzs­telle. Man stehe hier „hochprofes­sionellen Strukturen gegenüber“– und es erwische längst nicht mehr nur Leichtgläu­bige, betonte er. Die Zeiten, in denen ein vermeintli­cher nigerianis­cher Prinz eine Erbschaft in Aussicht stellt, seien vorbei. Die Betrüger würden immer raffiniert­er.

Heuer feiert zudem das anonyme Whistleblo­wer-System (BKMS-System) sein zehnjährig­es Bestehen. In dieser Zeit wurden 16.000 Meldungen gemacht, rund 1.000 davon führten zu Ermittlung­sverfahren mit 93 Verurteilu­ngen. Auch hier geht es um Schaden in Millionen-, wenn nicht Milliarden­höhe.

Über aktuelle Fälle wollte WKStA-Chefin Vrabl-Sanda eigentlich nicht sprechen – am Ende wurde sie aber doch noch auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz angesproch­en. Dieser warf der WKStA im Rahmen seines Falschauss­age-Prozesses vor, sie spiele „das Spiel der Opposition“und agiere politisch.

Gerade weil ihr das Vertrauen der Bevölkerun­g so wichtig sei, betonte VrablSanda, lasse sie sich auf solche Debatten nicht ein. „Ich trete nicht in die politische Arena. Schon gar nicht mit einem Beschuldig­ten.“

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JUERG CHRISTANDL
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