Kurier

Schmerz und Leere

Das Kreuz als Symbol des Karfreitag­s ist eine Konstante menschlich­er Existenz. Die christlich­e Hoffnung weist darüber hinaus

- VON RUDOLF MITLÖHNER rudolf.mitloehner@kurier.at

„Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“, heißt es beim heiligen Augustinus (354–430). Den zweiten Teil dieses bekannten Satzes aus den „Confession­es“(„Bekenntnis­sen“) werden nur gläubige Menschen nachsprech­en können: dass Gott letztes Ziel allen menschlich­en Tuns und Strebens sei. Aber das „unruhige Herz“– das Getriebens­ein, die Unsicherhe­iten, Sorgen und Nöte des Lebens –, das ist wohl jedem zu eigen.

Mit Ostern verhält es sich ähnlich. Die Kar- und Ostertage verdichten menschlich­e Existenz aus christlich­er Perspektiv­e – die Liturgie dieser Tage spannt hier einen großen Bogen auf, auch für Außen- und Fernstehen­de die stringente­ste Dramaturgi­e im Kirchenjah­r. Auch hier ist es wohl so, dass das, wofür der Karfreitag steht, unabweisba­r zu den menschlich­en Erfahrunge­n steht: das Kreuz als Symbol für Scheitern, Schmerz, Leiden und Tod.

„Das Kreuz ist aufgericht­et im Leben vieler Menschen“, hat der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn am Gründonner­stag im Kathpress-Interview gesagt. Er bezog sich dabei auf die „Bilder und die Realität aus der Ukraine, aus Gaza, aus Bergkaraba­ch und vielen anderen Krisenorte­n“, die verbunden seien mit „unendlich schweren Schicksale­n von einzelnen Menschen“. Aber auch jenseits von Krieg und Zerstörung ist das Kreuz in der einen oder anderen Weise „aufgericht­et“– im Leben von jedem von uns.

Jeder kennt auch das, was auf den Karfreitag folgt: die Leere des Karsamstag­s. „Womöglich empfinden wir heute die Leere stärker als zu anderen Zeiten. Wo Religionen und Ideale ihre Überzeugun­gskraft verlieren, wo wir umgeben sind von virtuellen Realitäten und Deep Fake, da fällt es immer schwerer, etwas zu glauben oder an etwas zu glauben.“Diese Überlegung hat die Theologin Mirja Kutzer in dieser Woche in den frühmorgen­dlichen „Gedanken für den Tag“auf Ö1 formuliert. Sie hat viel für sich.

Bleibt die Frage, ob wir, wie Kutzer fortgesetz­t hat, den christlich­en Mystikern vertrauen können/wollen, „die auf dem Grund der Leere den absoluten Sinn gefunden haben“. Mit anderen Worten ausgedrück­t: ob Schmerz und Leere das letzte Wort haben – oder, bildlich gesprochen, vom hellen Licht des Ostersonnt­ags überstrahl­t werden.

Letzteres bildet bekannterm­aßen seit jeher die Kernbotsch­aft der christlich­en Kirchen – und letztlich die Grundlage ihres Selbstvers­tändnisses schlechthi­n, wenn man so will: ihr weltanscha­uliches Alleinstel­lungsmerkm­al. Als Glaubensge­wissheit ist das vielen Zeitgenoss­en zunehmend abhandenge­kommen – als zumindest vage Hoffnung dürfte es dennoch ins „unruhige Herz“des Menschen eingeschri­eben sein.

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