Kurier

„Man wird als Held gefeiert“

Radsport. Der Kärntner Marco Haller absolviert am Sonntag die Flandern-Rundfahrt. Ein Gespräch über den Kultfaktor des Rennens und die raue Luft im Fahrerfeld

- VON CHRISTOPH GEILER

270,8 Kilometer von Antwerpen nach Oudenaarde, 1.800 Höhenmeter – das sind die nüchternen Fakten zur Flandern-Rundfahrt. Dahinter verbirgt sich eines der bedeutends­ten Radrennen des Jahres. Ein Sieg bei der Ronde van Vlaanderen ist der Ritterschl­ag für jeden Profi.

Marco Haller ist seit 2013 Stammgast in Flandern. Seine Begeisteru­ng für diesen Eintageskl­assiker, der zu den fünf Monumenten des Radsports (siehe unten) zählt, ist ungebroche­n. „Ich bin immer noch aufgeregt. Du spürst überall, dass das eines der größten Radrennen der Welt ist“, sagt der 32-jährige Kärntner, der am Sonntag für den bora-hansgrohe-Rennstall im Einsatz ist.

KURIER: Herr Haller, was macht die Faszinatio­n der Flandern-Rundfahrt aus? Marco Haller: Gegenfrage: Was macht denn die Streif so besonders? Warum hat diese Abfahrt im Gegensatz zu anderen Abfahrten einen so großen Kultstatus?

Haben Sie eine Antwort?

Weil in der Streif viel Geschichte drinnen steckt. Da gibt es einen Mythos, da gibt es Tradition, da gibt es Helden. Genau das Gleiche ist bei der Flandern-Rundfahrt. Kaum ein Land lebt den Radsport so intensiv wie es hier die Flamen machen. Deswegen ist das auch eines der geilsten Rennen im Jahr.

Was macht dieses Rennen mit Ihnen als Sportler?

Ich nehme mir immer vor, das Ganze gelassener und routiniert­er anzugehen. Aber spätestens wenn ich am Sonntag in der Früh auf dem Marktplatz von Antwerpen stehe, kommt die Gänsehaut. Das sind schlichtwe­g die Rennen, die mich Profi werden haben lassen. Ich merke, dass die Atmosphäre richtig aufsauge. Das pusht mich so, dass ich aufpassen muss, damit ich mich von der Stimmung am Streckenra­nd nicht zu sehr mitreißen lasse.

Mit welcher Aufgabe gehen Sie persönlich ins Rennen?

Wir haben in unserem Team diesmal keinen echten Favoriten auf den Sieg. Deswegen werde ich die Freiheit haben, in eine frühe Spitzengru­ppe zu gehen. Wenn die Topfavorit­en wie Van der Poel oder Pedersen loslegen, dann muss man sich eingestehe­n, dass gegen die kein Kraut gewachsen ist. Wir müssen also versuchen, uns irgendwie mit einer anderen Taktik ins Finale zu boxen. Ich muss früher losfahren, als die Favoriten. Nur dann habe ich eine Chance.

Das muss Ihnen als Spezialist für Eintagesre­nnen doch eh liegen.

Meine Einzel-Ergebnisse täuschen ein bisschen. Ja, ich habe meine größten Erfolge bei Eintagesre­nnen gefeiert. Aber acht Tour-de-FranceStar­ts zeigen, dass ich auch im Team eine wichtige Rolle spiele. Nur ist diese Aufgabe nicht immer ummünzbar auf den persönlich­en Erfolg. Ich vergleiche das gerne mit dem Fußball und David Alaba.

Mit David Alaba?

David Alaba wird gefeiert, wenn er mit Real Madrid die Champions League gewinnt, auch wenn er selbst im Finale kein Tor schießt. Da geht es um die Teamleistu­ng. Auch bei mir ist es schön, Teil der Mannschaft zu sein und etwas zum Erfolg beitragen zu können.

Welchen Einfluss hat das Wetter? Wie nimmt man 270 Kilometer in Angriff, wenn es wie aus Kübeln schüttet?

Vor fünf Jahren hätte ich es noch ultrageil gefunden, wenn es regnet und richtig grausig ist. Dann hätte ich nämlich das halbe Starterfel­d schon in der Tasche gehabt, die meisten verlieren die Moral, wenn das Wetter schlecht ist. Heute ist es auch mir lieber, wenn die Straße trocken ist. Wobei dieses mystische Schlechtwe­tter ja irgendwie zur Flandern-Rundfahrt dazugehört. Man wird dann noch mehr als Held gefeiert.

Ist das wirklich so?

Ich bin zum Beispiel unheimlich stolz, dass ich 2021 beim regnerisch­en Paris-Roubaix dabei war und dort einen wesentlich­en Teil zum Sieg meines Teamkolleg­en Sonny Colbrelli beigesteue­rt habe. Den Anzug, den ich damals getragen habe, habe ich bis heute nicht gewaschen. Genau das sind Geschichte­n, die man nicht vergisst. Für die Flandern-Rundfahrt gilt ja dieser eine Spruch: Bei schönem Wetter stehen eine halbe Million Leute an der Strecke. Wenn es regnet, ist es dann eine ganze Million.

Können Sie die FlandernRu­ndfahrt denn genießen?

Um wieder den Vergleich mit der Streif herzustell­en. Wer ins Ziel kommt, der hat etwas Besonderes geleistet. Wenn man die FlandernRu­ndfahrt beendet oder in das berühmte Velodrome in Roubaix einfährt, dann fühlt man sich schon stolz. Das sind Rennen, wo das Finishen etwas wert ist.

Bei Eintagesre­nnen geht es im Fahrerfeld oft hektisch zu. Wie schafft man es, Stürzen so gut es geht aus dem Weg zu gehen?

Diese Gefahr sitzt immer im Nacken. Ich hatte heuer auch schon einen schweren Sturz bei Tempo 70, das steckt dann schon in den Knochen. Der Stress und der Druck im Fahrerfeld werden immer höher, es wird wesentlich härter gefahren als noch vor zehn Jahren. Der Kampf um Verträge und Resultate hat dazu geführt, dass der Respekt untereinan­der ein bisschen flöten geht.

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