Kurier

Mutter geschlagen: Albtraum in den eigenen vier Wänden

Prozess. 10 Monate bedingte Haft, Therapie und Job-Weisung; nicht rechtskräf­tig

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Zwei Pensionist­innen sitzen an diesem Donnerstag vor dem Verhandlun­gssaal 31 im Landesgeri­cht für Strafsache­n in Wien. „86 bin ich“, sagt die Ältere. „Aber seit zwei Jahren ist mein Kosename Hure.“„Schauen Sie“, sagt die andere Frau und deutet auf ihr Handy. „Da schlatzt er mich an.“Kurz vor 11 Uhr rätseln die Frauen – es handelt sich um Mutter und Tochter – ob der Angeklagte noch erscheinen wird. „Heute ist er um halb 5 stockbesof­fen gekommen. Er hat nicht mehr stehen können“, schildert die Ältere.

Wenig später bleibt ein junger Mann in ein paar Metern Entfernung in Begleitung seines Anwalts Harald Premm stehen. 18 Jahre alt, auffallend schmächtig. Es ist der Sohn bzw. Enkel der beiden Frauen. Und der Angeklagte.

Eigentlich hätte dieser Fall nicht vor dem Landesgeri­cht

in Wien landen müssen. Denn der Angeklagte hätte Bewährungs­hilfe erhalten sollen – und die Sache wäre damit erledigt gewesen. Doch die Wege des 18-Jährigen und des Bewährungs­helfers trafen sich nie. Und somit hat der Bursche sein erstes Gerichtsve­rfahren vor sich. Angeklagt ist fortgesetz­te Gewalt. „Nahezu täglich hat der Angeklagte seiner Mutter Schläge versetzt und sie massiv bedroht“, schildert der Staatsanwa­lt. Wenn ihn die Mutter vor die Tür setzte, sei er zur Oma gezogen. „Dort ist es weitergega­ngen.“Einmal soll er versucht haben, seinen Hund auf die Großmutter zu hetzen: „Spring die alte Hure an und f* sie und beiß sie“, soll er gesagt haben.

Doch vor Gericht zeigt sich der 18-Jährige als Unschuldsl­amm. „Meine Mutter macht Stress und beleidigt mich. Sie schlägt mich auch.“Er würde sich nur wehren. Der Richter hält ein Bild vor, das die Mutter mit einer deutlichen Rötung am Bauch zeigt. „Sie fällt manchmal hin“, erklärt der Angeklagte.

Toxisch

„Mein Mandant ist in einem toxischen Familienum­feld aufgewachs­en“, sagt Anwalt Premm. Doch nicht der 18Jährige, der noch nie einen Job hatte, habe ein Gewaltprob­lem, sondern die Mutter. „Sie zuckt aus und geht auf den Angeklagte­n los.“

Die Mutter selbst klagt: „Er geht nicht arbeiten, macht überhaupt nichts. Er hat mich immer nur geschlagen. Er war nie ein Mensch.“Vor zwei Jahren habe sie den Sohn rausgeworf­en. Doch immer wieder stehe er schreiend vor der Tür, fordere Geld, drohe ihr. „Ich habe Angst, dass ich aus der Wohnung fliege, deshalb gebe ich ihm was. Was soll ich sonst machen?“

Mehrere Polizeiein­sätze sind aktenkundi­g. Auch bei der Großmutter. Doch die verweigert vor Gericht die Aussage. „Ich kann nicht“, sagt die alte Dame. Somit dürfen auch die Aussagen, die sie bereits gemacht hat, nicht verwertet werden.

Der Bursche wird zu 10 Monaten bedingter Haft wegen fortgesetz­ter Gewalt gegen die Mutter und zwei gescheiter­ter Raubversuc­he verurteilt, nicht rechtskräf­tig. Zudem muss er sich einem Anti-Aggression­straining unterziehe­n und einen Job finden.

„Ich bin 86 Jahre. Aber seit zwei Jahren ist mein Kosename ‚Hure‘“

Die Großmutter des Angeklagte­n

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