„Cannabis begünstigt Schizophrenie“
Teil-Legalisierung in Deutschland. Die Psychiaterin Adelheid Kastner kann die verbreitete Ansicht einer „Nicht-Schädlichkeit von Cannabis“aus ihrer 40-jährigen Erfahrung „nicht nachvollziehen“
„Cannabis und Schizophrenie gehen bei vielen unserer Patienten eine unheilige Allianz ein: Cannabis begünstigt nicht nur den Erkrankungsausbruch, sondern beeinflusst auch den Erkrankungsverlauf negativ.“
Das sagte die renommierte Psychiaterin Adelheid Kastner Mittwochabend bei einem Online-Vortrag für die Gesellschaft der Ärzte im Wiener Billrothhaus. Kastner ist Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Forensischem Schwerpunkt am Kepler UniKlinikum in Linz.
Die Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen ihre Umwelt und auch sich selbst anders wahrnehmen als sonst. „Wir betreuen zu 90 Prozent Schizophrenie-Patienten und uns ist schon seit Jahren aufgefallen, dass sie immer früher an dieser schweren und lebensbegleitenden Erkrankung zu leiden beginnen.“In den vergangenen 10 bis 15 Jahren „haben wir keinen einzigen Patienten mehr bei uns gehabt, der nicht vor dem Erkrankungsausbruch Cannabis konsumiert hätte“.
Der Titel ihres Vortrags „;Cannabis ist harmlos, das nimmt doch heute jeder‘ – ?“sei das Zitat eines 17-jährigen Patienten, der seit dem 13. Lebensjahr Cannabis konsumiere und seit dem 15. Lebensjahr unter schizophrenen Symptomen leide: „Was uns noch unrunder macht, ist, dass alle Patienten dem Cannabis-Konsum vollkommen unkritisch gegenüberstehen“, diese „unheilige Allianz“sei „nicht vermittelbar“.
Mit Zucker gleichgesetzt Doch diese unkritische Haltung würden ihre Patienten mit einem Großteil der Österreicher teilen: „Es gibt Untersuchungen, wonach die Bevölkerung die Gefährlichkeit von Cannabis weit abgeschlagen nach Alkohol und Nikotin ungefähr mit Zucker gleichsetzt.“Kastner betonte, dass diese öffentliche Wahrnehmung „nicht der klinischen Erfahrung“entspricht. „Die Entwicklung, die wir in Deutschland in wenigen Tagen beobachten werden (die Teil-Legalisierung, Anm.), beruht wahrscheinlich zu einem Teil auch auf dieser angenommenen Nicht-Schädlichkeit, die man gerade aus psychiatrischer Sicht in dieser Form bei Gott nicht nachvollziehen oder auch bestätigen kann.“
Vor 40 Jahren „durfte ich noch Patienten kennenlernen, die aufgrund irgendwelcher Belastungen mit 20 Jahren die erste psychotische Episode hatten, aber nie Cannabis konsumiert haben. Die gibt es nicht mehr.“
Laut Drogenbericht 2022 haben bis zu 40 Prozent aller 15- bis 24-Jährigen – „zu beachten ist der 15-Jährige“– mindestens einmal Cannabis konsumiert. „Vor allem in Anbetracht der Gehirnentwicklung, die bis ins 24. Lebensjahr noch fortschreitet, ist dieser Konsumbeginn, der auf ein noch nicht ausgereiftes Gehirn einwirkt, besonders problematisch .“
„Hochpotentes Zeug“Laut einer im Fachmagazin Lancet erschienenen Studie bedeutet ein täglicher Cannabiskonsum ein erhöhtes Risiko für das erstmalige Auftreten von psychotischen Erkrankungen, „und zwar unabhängig vom Alter beim Erstkonsum und vom Cannabistyp, es ist generell ein erhöhtes Risiko damit verbunden“, sagte Kastner.
Sehr problematisch sei, dass der THC-Gehalt des im Straßenverkauf erhältlichen Cannabis mittlerweile zwischen 10 bis 20 Prozent liege, „und damit deutlich über den zirka drei Prozent, die Cannabis vor 10 bis 15 Jahren noch hatte.“Werde hochpotentes Cannabis täglich konsumiert, erhöhe sich das Risiko für psychotische Erkrankungen um das Fünffache, bei einem deutlich weniger potenten Cannabis um das 3,2-Fache. Wird hochpotentes Cannabis nicht täglich, aber doch regelmäßig konsumiert, steigt das Risiko um das 1,6-Fache.“
Bei Cannabis-Konsumenten treten Psychosen auch im Schnitt 2,7 Jahre früher auf als bei Nicht-Konsumenten. Die Psychiaterin zitierte auch Daten, wonach die international zunehmende Legalisierung von Cannabis dazu geführt habe, dass es zu der am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen weltweit geworden ist. Gleichzeitig habe die öffentliche Wahrnehmung der Schädlichkeit von Cannabis abgenommen.
Kastner ist auch skeptisch, dass dann nur mehr legal Cannabis mit niedrigerem THC-Gehalt konsumiert würde: Es bleibe offen, „wie sehr dieses ‚Cannabis light‘ für die Konsumenten attraktiv wäre und wie sehr sie dann nicht doch wieder versuchen würden, sich das hochpotente Zeug illegal zu beschaffen.“Mehr auf kurier.at/wissen