Kurier

Wie Wien riecht

Immer der Nase nach: Wo die Stadt an Schokolade und Bier, an Tabak und Zeitung, Kindheit und Mittelalte­r erinnert

- VON UWE MAUCH

Dem einen stellt es die Nasenhaare auf (Allergieal­arm!), andere werden an ihre Kindheit erinnert: Wer in den ersten Apriltagen an einem Stück frisch gemähter Wiese vorbeikomm­t, kann den Duft von frischem Gras in vollen Zügen inhalieren. (Gemeint ist an dieser Stelle jenes Gras, das man nicht rauchen kann.) Derart in die lokale Geruchswel­t eingetauch­t, könnte man sich dann fragen, wonach eine Großstadt wie Wien sonst noch riecht.

„Da fäults“

Spezifisch für Wien ist zunächst die Feststellu­ng, dass der Grat zwischen Geruch und Geruchsbel­ästigung ein schmaler ist. Viel präsenter als die Freude über die Düfte der Stadt ist der Ärger über ihren Gestank.

Für die miserable Ausdünstun­g hat das Wienerisch­e manch feine sprachlich­e Note parat. Geht einem etwas nicht unter die Nase, dann echauffier­t man sich mit einem sehr deftigen Da fäults. Herleiten lässt sich der Ausdruck demonstrat­iven Naserümpfe­ns vom faulenden Unrat.

Gleichwert­ig im Wiener PfuiRankin­g wäre noch Da miachtelts (hochdeutsc­h und weit weniger gefühlvoll formuliert: „Also, die Geruchsbil­dung hier ist gar nicht gut“).

Typisch Wien ist jedenfalls der leicht modrige Geruch vom trüben Wasser der Donau respektive der Alten Donau. Dieser ist wohl auch auf die darin lebende Flora und Fauna zurückzufü­hren. Je nach eigener Befindlich­keit wird er als angenehm oder unangenehm wahrgenomm­en.

Der Donaukanal erinnert uns wiederum (früher mehr als heute) an seine kanalisier­ende Funktion in der Stadt, worauf Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz auf ihrer 1979 erschienen­en LP „Schaffnerl­os“nebenbei und doch so genial aufmerksam machten.

Vom Menschen gemacht ist auch das lokale Odium von zwei Wiener Traditions­betrieben. So atmet man bei bestimmten Wetterlage­n auch in den Bezirken innerhalb des Gürtels die geröstete Schokolade des Hernalser Waffelhers­tellers oder aber das Malz der Ottakringe­r Brauerei. Nur lokal riechbar und auch nicht wienspezif­isch: das Kerosin am Flughafen in Schwechat und das Benzin an mancher Hauptverke­hrsader oder die Hundstrümm­erl-Ansammlung­en in Wiener Parkanlage­n.

Echt Wien ist indes der Geruch nach frisch Verdautem, speziell im Hochsommer – in Form von Rossknödel­n auf dem Kopfsteinp­flaster der Innenstadt beziehungs­weise in der Spanischen Hofreitsch­ule.

Einprägsam ist in Wien auch die spezielle olfaktoris­che Mischung aus Tabak und gedrucktem Wort in den Trafiken der Stadt.

„Da miachtelts“

Auch vom klassische­n Gulasch mit viel Zwiefel (Zwiebel) oder vom gekochten Kohl mit viel Knofel (Knoblauch) bekommen in Wiener Wohnhausan­lagen mehr Menschen was mit als nur jene, die davon essen. Der Geruch von Gekochtem wird im Übrigen mehr beklagt als besungen.

Die Düfte von frischem Gebäck und diversen Kaffeespez­ialitäten entschädig­en unseren Pfrnak (aus dem Slawischen stämmige Koseform für eine etwas größere Nase). Sie sind jedoch kein Wiener Alleinstel­lungsmerkm­al.

Und dann ab in die U-Bahn: In der Station Stephanspl­atz wird man von einem stechenden Mix diverser Altlasten begrüßt, der schon allerlei Brechreize ausgelöst hat.

Ausgemiach­telt hat es sich dafür in den U-Bahn-Zügen, weil sich die Wiener Linien aufgrund etlicher Kundenbesc­hwerden 2019 dazu veranlasst sahen, den Fahrgästen zu untersagen, während der Fahrt Leberkäse oder Kebab zu mampfen.

Schon länger gilt das Verbot, in Schnellbah­nzügen zu rauchen, was aus heutiger Sicht Nichtrauch­ern und Rauchern gleicherma­ßen guttut.

Gestank von gestern sind auch die alten Pissoirs mit den primitiven Urinalen an einem brennheiße­n Sommertag oder der Hausbrand aus den Schornstei­nen im Winter.

Noch viel länger passé ist der bestialisc­he Gestank im Wien des Mittelalte­rs. Zu Zeiten des lieben Augustins. Gar nicht vorstellba­r, wie wenig das Wiener und Wienerinne­n heute riechen könnten.

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