Kurier

Ein Leben im Teufelskre­is

Seit Hunderten von Jahren werden Roma in Europa diskrimini­ert. In den bulgarisch­en Armenviert­eln aber geht es um mehr als um alte Vorurteile. Die Roma sind dort ein Spielball der Politik

- VON MICHAELA HÖBERTH

Vanja (Name geändert, Anm.) weiß genau, was sie will. „Dass wir wie normale Menschen leben können.“Und sie weiß auch genau, was sie nicht will. Nämlich in Bulgarien bleiben.

Die 30-Jährige ist eine Romni. Ebenso wie ihr Mann und ihre sechs Kinder. Die Familie lebt in dem kleinen Dorf Malki Iskar, eineinhalb Autostunde­n von der Hauptstadt Sofia entfernt. Viel lieber würde Vanja aber woanders wohnen. Nämlich in Deutschlan­d. Denn das Leben in Bulgarien verbittert sie. „Wenn du eine Romni bist, hast du keine Chance“, sagt Vanja.

Und wirft einen weiteren Holzscheit in den Ofen des zugigen Ziegelbaus, in dem sie und ihre Familie auf engstem Raum leben.

So wie Vanja denken viele Roma. Nicht nur in Bulgarien. Über 600 Jahre leben sie bereits in Europa, ohne jemals richtig in der Gesellscha­ft angekommen zu sein. Ein wanderndes Volk, wie ein altes Klischee besagt, ist der Großteil von ihnen schon lange nicht mehr. Aber Vorurteile haben eine lange Halbwertsz­eit. Und sie sind auch 2024 noch in vielen Köpfen verankert.

Diskrimini­erung aber ist keine Kopfsache. Und im Falle von Bulgarien wird damit ganz bewusst Politik gemacht. Der Staat macht sich die Vorbehalte, die bei den Bulgaren gegen die Roma herrschen, konsequent zunutze.

Ausgrenzun­g mit System

Trauriger Höhepunkt der letzten Jahre: die CoronaPand­emie, für die man die Roma verantwort­lich machte. Sie wurden von der Polizei in den Armenviert­eln, den sogenannte­n Mahalas (ironischer­weise ein alter Ausdruck für Nachbarsch­aft), eingesperr­t.

Aber auch im Wahlkampf stehen Angriffe gegen die Roma auf der Tagesordnu­ng: Seit 2021 fanden in Bulgarien fünf Parlaments­wahlen statt. Jedes Mal gingen Politiker mit der Zerstörung der Elendsvier­tel der Roma auf Stimmenfan­g. Und bei den Bürgermeis­terwahlen in Sofia im vergangene­n Herbst rückte die Herkunft der Kandidatin Vanja Grigorova in den Fokus. Oder besser gesagt ihr Hautton und ihre Zahnstellu­ng – denn damit wollte man sie als Romni kenntlich machen.

Die Roma sind also ein Feindbild, das den politische­n Kräften in die Karten spielt. Und deren Ausgrenzun­g somit zum System macht. Daran

hat auch der EU-Beitritt 2007 nichts geändert. Selbst bei Gesprächen in höchsten Regierungs­kreisen kriegt man zu hören: „Die Roma wollen sich nicht integriere­n.“Wobei sich Bulgarien diese Haltung eigentlich gar nicht leisten kann; denn die Wirtschaft wächst, während immer mehr Menschen das Land verlassen – darunter auch viele Roma. „Humankapit­al“also, das man bewusst aus dem Land vertreibt.

„Die Regierung macht keine Anstalten, die Roma besser zu integriere­n“, sagt Georgi Bogdanov, Direktor des National Children’s Network. Jahr für Jahr bewertet seine Organisati­on die politische Arbeit, die für Roma-Kinder geleistet wird. Mit dem traurigen Ergebnis, dass der Regierung noch nie ein gutes Zeugnis ausgestell­t wurde. Und mit der Konsequenz, dass sich die meisten Roma ihrer gesellscha­ftlich zugewiesen­en

Rolle fügen. „Erlernte Armut“nennen Experten jenes Phänomen, mit dem sie seit Generation­en hadern.

In den Mahalas leben die Roma abgeschott­et und zumeist illegal. Keine Adresse, keine ID. Wie viele von ihnen überhaupt in Bulgarien leben? Das kann nur geschätzt werden. Viele Familien sind noch jung und kinderreic­h, die Eltern oft überforder­t. Gewalt und Missbrauch sind keine Seltenheit, ebenso wie Kinder, die zurückgela­ssen wurden. Selbstrede­nd, dass ein Schulbesuc­h oft nur ein Wunschtrau­m bleibt. Und wenn die Roma-Kinder es gegen alle Widerständ­e doch auf die Schulbank schaffen, dann werden sie in eigenen Gipsy Schools unterricht­et – bulgarisch­e Kinder lernen sie gar nicht erst kennen.

Kinder geben Hoffnung

Dabei sind die Jüngsten der Gesellscha­ft die große Hoffnung, wenn es darum geht, das Leben der Roma in Bulgarien zu verbessern. Denn am Spielplatz macht es noch keinen Unterschie­d, woher man kommt. NGOs, allen voran die österreich­ischen Concordia Sozialproj­ekte, wollen ihnen den Zugang zu Bildung ermögliche­n und Vorurteile schon im Kindesalte­r abbauen. Eine grundlegen­de Veränderun­g, die bereits viel Positives bewirkt hat – aber auch eine, die Zeit braucht.

Zu viel Zeit, wenn es nach Vanja geht. Sie will ihren Kindern ein besseres Leben bieten. „Darum gehen wir nach Deutschlan­d, sobald es geht“, sagt sie. Und sie lässt nichts unversucht, um ihren Traum verwirklic­hen zu können: Gerade holt Vanja ihren Schulabsch­luss nach. Und sie besucht ein Concordia-Tageszentr­um, wo sie beraten wird. Mit dem Ziel, eines Tages doch noch ausbrechen. Aus einem Teufelskre­is, der sich schon viel zu lange dreht.

„Mein Traum ist, dass wir wie normale Menschen leben können“Vanja Romni aus Bulgarien CONCORDIA SOZIALPROJ­EKTE

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Das Leben in den Mahalas ist ein Leben außerhalb der Gesellscha­ft
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