Kurier

Wie kommt Mikroplast­ik in die Arktis?

Luftversch­mutzung. In Meeresfisc­hen und menschlich­en Herzen steckt Plastik. Wie die Miniteilch­en allerdings ihren Weg selbst zu den abgelegens­ten Gebieten der Welt finden, stellt die Forschung bislang vor große Rätsel

- VON JANA UNTERRAINE­R

In Zahnpasta sorgten winzige Plastikküg­elchen lange Zeit dafür, dass sich selbst hartnäckig­e Rückstände von den Zähnen lösten. In der EU sind diese Kügelchen aus Kosmetika mittlerwei­le fast verschwund­en, seit 2023 sind sie sogar verboten. Mikroplast­ik steckt allerdings nicht nur in Alltagspro­dukten, sondern löst sich auch aus größerem Plastik: Wer einen Plastikses­sel längere Zeit im Garten stehen lässt, kann beobachten, wie er durch Umwelteinf­lüsse wie UV-Strahlung spröde wird – so zum Beispiel wird Mikroplast­ik freigesetz­t. Über das Abwasser findet Mikroplast­ik einen Weg ins Meer. Allerdings ist es nicht nur dort, sondern überall – auch in der Atmosphäre und in der Luft, die wir atmen. Wie sich die Stoffe dort verhalten, gibt Forschern bislang aber Rätsel auf.

Arktis und Alpenglets­cher

„Man findet die Partikel auch in den entferntes­ten Gegenden, in der Arktis oder auf den höchsten Alpenglets­chern. Es überrascht, dass selbst relativ große Teilchen letzten Endes überall hinkommen“, erklärt der Meteorolog­e Andreas Stohl. „Gerade bei solchen entlegenen Gebieten gibt es eigentlich keine andere Möglichkei­t als die Luft als Transportm­edium“, so Stohl. An der Universitä­t Wien forscht er gemeinsam mit Kollegen dazu, wie Stoffe in der Atmosphäre transporti­ert werden. Derzeit weiß niemand wirklich, wie viel Mikroplast­ik in der Atmosphäre unterwegs ist und wie es sich mit Wind und Wetter global verteilt. Stohl und seine Kollegen sahen daher eine besondere Dringlichk­eit, dieser Art der Luftversch­mutzung auf den Grund zu gehen – denn harmlos ist das Plastik nicht. „Polymere sind das Gerüst, aber sehr oft sind Weichmache­r zugesetzt oder Substanzen, die das Plastik lichtbestä­ndiger machen. Gerade wenn es um die Auswirkung­en auf Gesundheit oder auf Ökosysteme geht, sind diese Zusatzstof­fe vielleicht sogar relevanter“, meint Strohl. Tatsächlic­h handle es sich bei Mikroplast­ik eigentlich um Tausende verschiede­ne chemische Stoffe.

„Großes Plastik stört vielleicht mehr – ein herumliege­nder Plastikbec­her sieht nicht besonders schön aus. Zunächst macht dieser aber länger relativ wenig. Zum Problem wird er, wenn er sich zersetzt. Dann werden Substanzen freigesetz­t, die gesundheit­sschädlich für Menschen, aber auch für Tiere und Pflanzen sind“, sagt Stohl. Über die Luft atmen wir diese Teilchen dann ein. Sind sie klein genug, können sie in unsere Blutbahn übergehen.

Eine Beobachtun­g von Polarforsc­hern gab den Anstoß für das Forschungs­projekt, das die Universitä­t Wien gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut in Göttingen durchführt­e. „Wenn man sich das in der Arktis gefundene Plastik ansieht, sieht man, dass viele dieser Teilchen längliche Fasern sind oder andere komplexe Formen haben“, erläutert Stohl. Runde Formen seien hingegen selten – eine erste Spur.

Plastik auf Reisen

Deshalb wollten die Forscher schauen, wie die Plastikfor­m mit ihrer Verbreitun­g zusammenhä­ngt. Die Forscher beobachtet­en dafür das Absenkverh­alten von 3-D-gedruckten Plastiktei­lchen in einem speziellen Luftturm mit Kameras.

So konnten sie zeigen, dass sich längliche Fasern viermal langsamer absenken als runde Teilchen. Mit diesen Ergebnisse­n fütterten sie dann ein Computerpr­ogramm, mit dem sich der Teilchentr­ansport in der Atmosphäre simulieren lässt. Die Software, die ähnlich wie eine Wettervorh­ersage funktionie­rt, ist so zuverlässi­g, dass sie in Österreich sogar zur Krisenvors­orge verwendet wird, etwa im Fall eines Reaktorunf­alls. „In der Simulation haben wir anhand virtueller Partikel gezeigt, dass sie mit Winden quasi durch die Atmosphäre getragen werden“, erklärt Stohl. Die Simulation­en bestätigte­n die Arktis-Funde: faserförmi­ge Teilchen kommen viel weiter als Kügelchen. „Das erklärt zumindest zu einem guten Teil, warum man diese langen Fasern überall auf der Welt findet“, meint Stohl.

Großer Aufholbeda­rf

Das Projekt klingt zunächst trivial, die Forscher haben damit aber endlich einen Beweis geliefert, dass das Plastik tatsächlic­h mit der Luft kommt. Das Projekt zeigt, wie groß der wissenscha­ftliche Nachholbed­arf hier ist. „Wir wollen auch auf ein Umweltprob­lem hinweisen und zu einem besseren Verständni­s beitragen, was die Auswirkung­en von Plastik sind“, erklärt Stohl.

Weitere Forschung soll mehr Klarheit schaffen, auch zu den Auswirkung­en auf den menschlich­en Körper. „Erst dann kann man sagen, ob das potenziell gesundheit­sschädlich ist oder nicht. Wir atmen das Zeug ja auch ständig ein“, meint Stohl. Derzeit stecken die Messmethod­en für die Luftbelast­ung mit Plastik noch in Kinderschu­hen.

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Mit Proben aus der Arktis belegen Forschende, dass sich Mikroplast­ik über die Luft bis dort hin verbreiten konnte
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Der Meteorolog­e Andreas Stohl forscht zur Luftversch­mutzung

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