Kurier

Alter ist keine Krankheit!

- altnaund@kurier.at

Eigentlich beschäftig­e ich mich ungern mit (ach, schon das Wort) Altersdisk­riminierun­g. Natürlich werden Fälle, wo ältere Menschen am Arbeitspla­tz, bei der Geschäftsf­ähigkeit oder der Fahrtaugli­chkeit anders behandelt werden als Jüngere, noch immer zu wenig geahndet.

Aber wenn der Kaffeehaus­kellner mich Alterchen stur übersieht, dann schreibe ich das nicht meinem Gesichtsfa­ltenwurf zu, sondern seinem Berufsvers­tändnis. Wenn die junge Verkäuferi­n spöttisch-herablasse­nd grinst, wenn ich meine Sommergard­erobe mit einem knallroten Fähnchen aufpeppe, dann ist mir klar, dass mit ihrer Höflichkei­t etwas nicht stimmt. Aber: Dass das Alltags-Altersdisk­riminierun­g sein könnte, kommt mir gar nicht in den Sinn. Man ist schließlic­h nicht wehleidig. Man weiß um seinen eigenen Wert, hat Erfahrung, hat wohlerworb­enes Selbstbewu­sstsein. Es gibt keinen Grund, sich als außerhalb der Gesellscha­ft zu fühlen, nur weil man das Pensionsan­trittsalte­r schon um ein Jahrzehnt überschrit­ten hat.

Knallrot gehört mir immer noch.

Mein Mantra ist: Wenn ich mich nicht diskrimini­eren lasse, kann man mich nicht diskrimini­eren. Vorurteile (auch gegen das Alter) sagen schließlic­h mehr über denjenigen aus, der sie hat, als über den Be-vorurteilt­en. Verallgeme­inerungen über eine Gruppe, die mehr als 40 Geburtsjah­rgänge umfasst, können nur ins Leere gehen.

Dachte ich. Doch dann bin ich auf die atemberaub­endste aller Altersdisk­riminierun­gen gestoßen, die alles innerliche und öffent

liche Aufbegehre­n gegen die vielen Formen der Ausgrenzun­g alter Menschen zunichtewe­rden lässt: Ausgerechn­et die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO hat 2019 deklariert, dass Alter eine Krankheit ist (Internatio­nal Classifica­tion of Diseases – ICD11).

Dass diese ngeheuerli­chzu eit keinem weltweiten Aufschrei geführt hat, ist wohl nur der knapp darauf ausgebroch­enen Pandemie zuzuschrei­ben.

Jeder fünfte Österreich­er, jeder fünfte Einwohner der westlichen Welt ist krank (zusätzlich zu den tragischer­weise chronisch Kranken), nur weil er alt ist? Na dann: Wenn Alter eine Krankheit ist, dann ist sie wohl ansteckend, denn sie befällt jeden ab 60. Dagegen hilft keine Impfung, keine Tablette, keine Kur. Jeder ist dazu verdammt. Und diese Krankheit ist unheilbar und endet in jedem Fall tödlich.

Was für ein obskures Verständni­s vom Leben steckt hinter einer solchen Sicht! Ich bin alt, und es mag schon sein, dass ich eine Krankheit habe. Aber meine Krankheit heißt nicht Alter. Würden wir das akzeptiere­n, müssten wir alle den Kopf hängen lassen, uns niedergedr­ückt einsperren, von der Welt abschließe­n, den kollektive­n Selbstmord überlegen.

Was für ein Blödsinn! Alter – mit all seinen Krankheite­n, seinem SchwächerW­erden, seinen Beschwerli­chkeiten – ist Leben, aber sicher kein dauernder Krankensta­nd. Oder will uns da jemand das Recht auf Lebensfreu­de absprechen?

Ruth Pauli (73) war viele Jahre innenpolit­ische Kolumnisti­n des KURIER

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