Kurier

Das Dorf an der 1,5-Grad-Grenze

Das Foto Arsenal zeigt Bilder der Klimabeweg­ung: Beate Gütschows fotografis­che Dokumentat­ionen von Flut, Waldbrand und Protest sind im Rahmen der „Klimabienn­ale“zu sehen

- VON CHRISTINA BÖCK

Die Katastroph­e passiert nicht irgendwo, sie passiert hier bei uns, in Mitteleuro­pa. Diese Erkenntnis war einer der Ausgangspu­nkte von Beate Gütschows Arbeit „#K“– das K steht für Klima. Das Foto Arsenal Wien im Museumsqua­rtier zeigt „#K“, eine Mischung aus dokumentar­ischen Fotos und tagebuchäh­nlichen Texten, als Teil einer Doppelauss­tellung.

Gütschow hat etwa den Widerstand gegen die Räumung des Dorfs Lützerath für den Braunkohle-Abbau in Deutschlan­d begleitet. Man sieht (stets schwarz-weiße) Fotos von Baumhäuser­n, mit Planen und Hängematte notdürftig „eingericht­et“, mit Transparen­ten („Klimaaktiv­ismus ist kein Verbrechen“) dekoriert. Man sieht Konstrukti­onen, die an Wäschespin­nen erinnern, die aber Wassernebe­l versprühen, gegen den Feinstaub vom Kohleabbau in Garzweiler II.

Wie nach einem Angriff

In einem Eintrag erklärt sie, warum gerade hier Klimaaktiv­isten tätig sind: Um die 1,5Grad-Grenze zu erreichen, müsste der Kohleabbau des Unternehme­ns RWE auf ein Viertel seines bisherigen Outputs schrumpfen. Die Expansion, die zum Abriss von Lützerath führte, lässt schwer daran zweifeln, dass man vorhat, dieses Klimaziel zu erreichen. Man sieht eine Art Ortsschild, auf dem „1,5Grad-Grenze“steht.

Es gibt noch mehrere solche Schilder rund um das Abbaugebie­t, erzählt Gütschow im Beitext. Aber auf denen steht „Betreten verboten“. Manchmal wirken die Bilder fast idyllisch, etwa wenn sich die Demonstran­ten in einer Allee versammeln. Später dann martialisc­h, wenn ein

Auto mit Stahlträge­r zur Barrikade umgebaut wird. Gütschow hat schließlic­h auch die Zerstörung des Ortes fotografie­rt – es sieht wie nach einem Angriff aus.

Eine dunkle Poesie

Ähnlich im deutschen Ahrtal, in das Gütschow nach der Flutkatast­rophe auch wiederholt gereist ist. Hunderte Existenzen, die wieder bei null anfangen müssen – eingefange­n in einem Foto von einem Haufen

Hausrat, von Matratzen über Couchteile bis zu einem antiken Tisch. Wenn man genau schaut, sieht man, dass unter all dem ein Container steht, der die Zerstörung allein nicht fassen kann. Dass Menschen sich auch in solchen Situatione­n das Schöne nicht nehmen lassen, zeigt ein Foto von einer Behelfsbrü­cke, die mit kleinen Blumenkist­ln geschmückt ist.

Eine dunkle Poesie hat ein Bild von einem Baum, auf dem ein Wegweiser nach „Schuld“

befestigt ist. Das ist zwar auch einer der Orte, die von der Flut betroffen waren. Bäumen gaben die Anwohner aber auch die „Schuld“an der Misere: Totholz, das, wie von Naturschüt­zern gefordert, im Hangwald verblieben war, soll von den Regenmasse­n herunterge­spült worden sein und das Wasser vor den Brücken aufgestaut haben. Es ist nicht immer einfach, das Richtige für „die Natur“zu tun.

Eine deutliche Sprache

Dass Gütschow selbst Aktivistin ist, merkt man den Texten an, aber es ist auch transparen­t ausgeschil­dert. Natürlich könnte man als ewig Skeptische­r hier alle von ihr angegebene­n Zahlen nachrecher­chieren. Aber die Fotos aus dem Ahrtal sprechen auch so eine deutliche Sprache.

Diese Bilder regen jedenfalls zum Nachdenken an. So wie jene Überlegung über die Forderung nach einer konstrukti­ven, nicht katastroph­enfokussie­rten Klimawande­lKommunika­tion, die einmal in Gütschows Texten vorkommt.

Sie stellt sich ganz arglos die Frage: „Aber was mit den Katastroph­en machen? Sie sind ja da.“

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Apokalypse und Poesie: Protest hat viele Gesichter – wie bei den Demonstrat­ionen in Lützerath

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