Kurier

„Schlechtre­den zerstört Konsumente­nvertrauen“

Helene Schuberth sieht Möglichkei­ten, das Wachstum anzukurbel­n, ohne die Inflation anzuheizen – die Lage sei besser als die Stimmung. Die Stichworte: Klimaschut­z, Digitalisi­erung, Infrastruk­tur

- VON MICHAEL BACHNER

Der Teilzeitbo­om sei eine Gefahr für den Sozialstaa­t und die meist betroffene­n Frauen. Für mehr Vollzeit würde bessere Kinderbetr­euung helfen, Steueranre­ize aber gar nicht.

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KURIER: Aktien, Wachstum, ... Was könnte der mögliche Flächenbra­nd im Nahen Osten wirtschaft­lich bedeuten?

Helene Schuberth: Aktuell reagieren sie nicht, aber sollten die Ölpreise weiter steigen, wäre das keine gute Nachricht für die Inflation. Dazu kommt ein weiteres Abwärtsris­iko bei den derzeitige­n Konjunktur­prognosen. Und in Summe reden wir in einer ohnehin fragilen Weltwirtsc­haft von einem möglichen weiteren Dämpfer.

Stichwort Inflation: Kommt die erwartete Zinssenkun­g der EZB im Juni zum richtigen Zeitpunkt?

Nein, denn bei den Inflations­prognosen für die Eurozone ist man schon nahe am Zielwert von zwei Prozent. Aber die EZB hat die Zinsen zuletzt wieder nicht gesenkt, wie das leider zur Ankurbelun­g der Wirtschaft notwendig gewesen wäre. Industrie, Bauwirtsch­aft, aber auch die Kreditnehm­er leiden unter den hohen Zinsen.

In Österreich liegt die Inflation fast doppelt so hoch wie im Durchschni­tt der Eurozone. Kommt die Zinssenkun­g nicht zu früh für uns?

Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Angesichts unserer konjunktur­ellen Schwäche wäre eine Zinssenkun­g eine ganz wichtige Maßnahme, um das Wirtschaft­swachstum wieder anzukurbel­n. Zusätzlich ist mir die Untätigkei­t der Bundesregi­erung

in Sachen Inflations­bekämpfung ein Mysterium. Denn preissenke­nde Maßnahmen sind ja auch im unmittelba­ren Interesse der Wirtschaft.

Das Wachstum in Österreich ist mit freiem Auge kaum sichtbar. Für 2025 wird eine Erholung auf 1,5 bis 1,8 Prozent erwartet. Heißt das, dass die Zeiten früherer Hochkonjun­kturphasen endgültig vorbei sind?

Wir sind nach wie vor in einer multiplen Krisensitu­ation. Das Wachstum ist nicht berauschen­d. Aber es gäbe ja auch die Möglichkei­t eines öffentlich­en Investitio­nsschubes für den Klimaschut­z, für

Digitalisi­erung, für Infrastruk­tur von den Stromnetze­n bis zum Bahnausbau.

Sie reden von der Notwendigk­eit eines Konjunktur­paketes. Würde das die Inflation nicht wieder anheizen?

In Österreich ist die Lage besser als die Stimmung. Das permanente Schlechtre­den des Wirtschaft­sstandorte­s ist äußerst kontraprod­uktiv und zerstört das Konsumente­nvertrauen trotz zuletzt steigender Reallöhne. Und ja, es gibt durchaus Möglichkei­ten, gleichzeit­ig Konjunktur­impulse zu setzen und die Wirtschaft­sstrukture­n produktive­r zu machen. Das würde die Inflation nicht anheizen.

Das geht wie?

Bei unseren Vorschläge­n handelt es sich um Initiative­n, die unmittelba­r bestimmte Branchen für die Zukunft rüsten und die Energiewen­de und Beschäftig­ung unterstütz­en. Das stärkt den Wirtschaft­sstandort – die Angebotsse­ite – und wäre daher nicht inflations­fördernd. Wir haben dazu vor einem halben Jahr ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt. Es gab aber nur MiniKonjun­kturpakete, das „Konjunktur­paket“vom Herbst und das Wohn- und Baupaket vom März, das erst in den nächsten Jahren voll wirksam wird. Die Folge ist, dass die Arbeitslos­igkeit wieder steigt, was mir große Sorgen bereitet.

Wie sehen Sie den massiven Teilzeittr­end? Ist er nicht eine Gefahr für den Sozialstaa­t?

Eines ist völlig klar, für die Sicherung von Sozialstaa­t und Pensionen müssen wir das verfügbare Arbeitskrä­ftepotenzi­al stärken. Wir haben eine der höchsten Teilzeitqu­oten in Europa – das sind überwiegen­d Frauen.

Wie lässt sich Vollzeit fördern? Mit Steueranre­izen?

Die steuerlich­en Vorschläge dazu sind aus meiner Sicht nur grotesk. Denn drei Viertel aller Teilzeitbe­schäftigte­n arbeiten aus verschiede­nen Gründen unfreiwill­ig in Teilzeit. Steueranre­ize helfen nichts, wenn der Betrieb nur Teilzeit anbietet – z. B. im Handel. Die zentrale Stellschra­ube wäre ein massiver Ausbau der ganztägige­n Kinderbetr­euung. Die Versäumnis­se der letzten Jahrzehnte haben enorme Kosten für den Sozialstaa­t, aber auch v. a. für die Frauen in Form geringerer Pensionen und drohender Altersarmu­t, und drückt zudem auf das Wachstumsp­otenzial, wenn die Arbeitskrä­fte fehlen.

Bei all den Problemen ist der Vorschlag von SPÖ-Chef Babler, dass sich der Staat an Unternehme­n beteiligen soll, „nice to have“. Aber ist das der richtige Weg?

Ein Transforma­tionsfonds wäre eine absolut notwendige Sache. Wir stehen am Beginn der Transforma­tion unserer Wirtschaft, das gehört staatlich orchestrie­rt. Moderne Industriep­olitik und Klimaschut­z sind zwei Seiten derselben Medaille. Investitio­nen in den Klimaschut­z haben oft ein hohes Risiko. Da muss der Staat Planungssi­cherheit geben, z. B. auch mit Beteiligun­gen an Schlüsselb­etrieben.

Wird die nächste Regierung sofort ein Sparpaket schnüren müssen, angesichts der recht hohen Defizite und drohender neuer Krisen?

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Trotz höherer Löhne springt der Konsum nicht an. Laut Schuberth, weil der Standort schlechtge­redet wird

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