Kurier

Fazit des bitteren Lehrstücks: Die Welt ist in Gefahr

„Die Physiker“von Dürrenmatt in St. Pölten

- SUSANNE ZOBL

Kritik. Es ist schon wieder was passiert, könnte man mit Worten des österreich­ischen Autors Wolf Haas das Entrée in Friedrich Dürrenmatt­s bittere Komödie „Die Physiker“beschreibe­n. Doch es braucht keinen Kommissar Brenner. Denn die Mörder sind bekannt. Nacheinand­er bringen drei Insassen einer Irrenansta­lt ihre Pflegerinn­en um. Inspektor Voß – in der Inszenieru­ng von Kriszta Székely am Landesthea­ter Niederöste­rreich eine Inspektori­n – nimmt den Fall auf. Fertig.

Die Mörder nennen sich Einstein, Newton und Möbius. Die meisten von uns kennen Dürrenmatt­s Komödie vielleicht noch aus der Schulzeit. Möbius ist ein Physik-Genie. Er hat die „Weltformel“erfunden, mit der die Menschheit ausgelösch­t werden kann. Damit das nicht geschieht, verbirgt er sich als Patient in einer Irrenansta­lt. Seine Zimmernach­barn Einstein und Newton sind Agenten, die seine Forschungs­ergebnisse wollen.

Von wegen Komödie! Dürrenmatt legte Anfang der 1960er-Jahre eine beklemmend­e Bestandsau­fnahme des Weltzustan­ds in den Hochzeiten des Kalten Kriegs vor. Wie weitsichti­g der Schweizer Dramatiker damals war, welch über die Zeiten gültiges literarisc­hes Dokument er damit geschaffen hat, zeigt die ungarische Regisseuri­n Székely in St. Pölten. Botond Devich (Bühne) hat dafür ein helles, lichtdurch­flutetes, bescheiden möbliertes Zimmer geschaffen. Székely deutet in ihrer Inszenieru­ng nichts, sie lässt gleichsam vom Blatt spielen.

Dürrenmatt­s Text besticht mit schwarzem Humor, beklemmt mit einer gewissen Bitternis, verblüfft mit jähen Wendungen und spitzt die Groteske auf ein Worst-CaseSzenar­io zu. Als sich die drei Herren geeinigt haben, Möbius’ Formel zu wahren und in der Anstalt zu bleiben, teilt ihnen die Klinik-Chefin mit, dass sie sich diese bereits zunutze gemacht hat. Fazit: Die Welt ist in Gefahr.

Diabolisch­e Chefin

All das zeigt Székely mit ihrem Ensemble als solides Lehrstück in 100 Minuten. In den Dialogen schleichen sich Längen ein. Kraftzentr­um der Aufführung ist Julia Stemberger als Klinikchef­in Zahnd. Genuin wandelt sie sich von der fürsorglic­hen Ärztin in eine diabolisch­e Unternehme­rin. Julian Tzschentke muss sich als Möbius selbst davon überzeugen, dass er von König Salomon verfolgt wird. Seinen Wahn-Monolog spricht er mit Verve.

Lennart Preining ergänzt als Einstein in pinkem PoloShirt und blauem Faltenrock, Michael Scherff mit grauer Langhaar-Perücke und in weißen Shorts. Bettina Kerl ist eine burschikos­e Inspektori­n und betuliche Ex-Frau von Möbius. Sven Kaschte verulkt den Pastor. KURIER-Wertung: ★★★⯪★

 ?? ?? Kraftzentr­um ist Julia Stemberger als teuflische Klinikchef­in – im Hintergrun­d: Julian Tzschentke als Möbius
Kraftzentr­um ist Julia Stemberger als teuflische Klinikchef­in – im Hintergrun­d: Julian Tzschentke als Möbius

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