Kurier

Mehr als „Little Britain“?

Auf der Suche nach einer britischen Leitkultur

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Wen würden Sie in einem Cricketmat­ch zwischen England und einem Team aus der Karibik oder Asien unterstütz­en? Oder: Auf welcher Seite hat Ihre Familie im Zweiten Weltkrieg gekämpft? Mit solchen Fragen haben britische Konservati­ve in der Vergangenh­eit versucht, ihre Leitkultur im Sinne einer dominanten Kultur zu definieren. Eine andere denkbare Variante wäre „Mr. Bean“oder „Mit Schirm, Charme und Melone“. Die Comedy-Sendung „Little Britain“, mit ihrem eigenartig­en Bristol-Dialekt wäre ein weiterer Kandidat. Nach dem Motto: Du musst zwar nicht verrückt sein, um dort zu leben, aber es hilft.

Derzeit betreiben in England einige rechts der Mitte die Suche nach einer Art Leitkultur unter dem Slogan „Wir wollen unser Land zurück“. Sie meinen eine (angebliche) Zeit des Patriotism­us, in der weniger Müll auf den Straßen lag und Frauen nachts ohne Angst alleine auf der Straße gehen konnten. Die imperiale Vergangenh­eit, die noch Sklaverei kannte, war in dieser Vorstellun­g nicht ausschließ­lich schlecht. Dennoch hatte die (weiße) Arbeiterkl­asse ihre Männerklub­s und Bier. Die (weiße) herrschend­e Klasse verbrachte ihre Zeit mit Zigarren und Brandy in Londoner Lounges, wo Frauen keinen Zutritt hatten. Vom Weltreich haben beide profitiert.

Vor vielen Jahren noch enthielt der Kitt, der die Gesellscha­ft zusammenhä­lt, auch die Anglikanis­che Kirche. Aber mittlerwei­le gingen dieser ihre Schäfchen verloren. Ein weiterer Beitrag zu einer möglichen Leitkultur wäre die Monarchie. Für „König und Vaterland“zu kämpfen und zu sterben, galt ehedem als ultimative­r patriotisc­her Akt. Zu royalen Anlässen behaupten Kommentato­ren weiterhin mit tiefer emotionale­r Stimme, dass in diesem Moment „die Nation zusammenko­mmt.“Die rührende Musik der Nationalhy­mne mutiert zu einer fast schon mystischen Leitkultur, die sich in der harschen Realität des Alltags aufgelöst hat.

Der britische Archipel besteht aus mehreren Nationen: Schottland, Wales, Nordirland – und natürlich England. Wobei England keine eigene Hymne, keine Nationaltr­acht, keine Dudelsäcke (ein Pluspunkt?) und auch kein eigenes Landesparl­ament hat. Ansonsten gibt es noch eine englische Bulldogge. Eine gemeinsame Leitkultur sucht man vergeblich und ob eine europäisch­e Leitkultur, definiert von deutschspr­achigen Ländern, gut ankäme, ist fraglich.

Heutzutage ist Großbritan­nien ein multiethni­sches, multikonfe­ssionelles Land, in dem die Möglichkei­t sozialer Mobilität größer ist denn je. Der Respekt für gemeinsame Werte wie Demokratie, Toleranz und Menschenre­chte ist dabei essenziell für die Zukunft. Dies könnte als Orientieru­ngshilfe dienen, wie man mit Frauen korrekt umgeht. Daraus könnten einige Männer lernen – egal, woher sie kommen. Man kann es nennen, wie man will – aber ohne diese Grundwerte bliebe am Ende nichts übrig außer „Little Britain“.

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Melanie Sully, geboren in Bristol, forscht zur Politik in Großbritan­nien und Österreich

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Teilnehmer am Chester Raft Race, verkleidet als Figuren der TV-Serie „Little Britain“
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MELANIE SULLY

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