Kurier

Die Abrechnung des Othmar Karas

Der scheidende Mandatar teilt zum Schluss noch einmal kräftig aus

- AUS STRASSBURG KONRAD KRAMAR

„Parteitakt­ik“, „nationalis­tische Spielchen“: Bei Othmar Karas braucht man nicht lange nachfragen, um zu erfahren, was ihn an der Grundhaltu­ng vieler europäisch­er Politiker stört – auch österreich­ischer. Österreich­s prominente­ster und längstgedi­enter (seit 1999) EU-Abgeordnet­er hält auch in seiner letzten Sitzungswo­che im EU-Parlament in Straßburg mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Karas wird bei der EU-Wahl im Juni nicht mehr antreten, nicht für die ÖVP, aber auch nicht mit einer eigenen Liste, wie lange spekuliert worden war.

Nicht ohne Grund hat sich der 66-Jährige schon vor längerem von seiner ÖVP-Delegation im EU-Parlament und von der Europapoli­tik, wie sie in Wien gemacht wird, distanzier­t. Der überzeugte ProEuropäe­r hält etwa nichts vom Prinzip der Einstimmig­keit

und dem damit verbundene­n Vetorecht für einzelne EU-Staaten bei grundlegen­den Fragen der Union, wie er bei einem Hintergrun­dgespräch mit Journalist­en deutlich macht. Was also Bundeskanz­ler Karl Nehammer für ein wichtiges Instrument der Europapoli­tik, gerade für die kleinen EU-Staaten, hält, ist für Karas, nichts als ein „Instrument für undemokrat­ische Blockaden“.

Der Erste Vizepräsid­ent des EU-Parlaments ist sich wenige Wochen vor der EUWahl sehr schmerzlic­h bewusst, welche Gefahren der ohnehin wackeligen europäisch­en Einigkeit vor allem von den Rechtspopu­listen und ihrem in Umfragen prognostiz­ierten Wahlerfolg drohen.

Europa müsse uneingesch­ränkt gemeinsam handeln: In der Energie-, in der Verteidigu­ngs- und in der Finanzpoli­tik, es brauche einen einheitlic­hen Kapitalmar­kt, und vor allem brauche es mehr gemeinsame Einnahmen, die direkt in das EU-Budget fließen würden.

Denn die EU brauche sehr viel Geld, um den Sprung in die Zukunft zu schaffen, für die Digitalisi­erung, die Energiewen­de, die Verteidigu­ng und die Erneuerung der Infrastruk­tur. 800 Milliarden schätzt Karas und nimmt zugleich allen, die vor solcher Schuldenma­cherei warnen, den Wind aus den Segeln.

„Keine Nettozahle­r“

Das Geld wäre für die EU leicht zu organisier­en. Da gäbe es die zukünftige­n Einnahmen aus der Kohlendiox­id-Steuer, vor allem aber gäbe es die enormen Effizienzg­ewinne, wenn die Kapitalmar­ktund Energieuni­on wirklich konsequent verwirklic­ht würde. Mehr als 800 Milliarden Euro, rechnet Karas vor, und dieses Geld müsse den gemeinsame­n Projekten der EU zugutekomm­en.

Unüberhörb­ar ärgert sich Karas über das Feilschen einiger Staaten, darunter auch Österreich, beim EU-Budget. „Investitio­nen rechnen sich“, erklärt er, gerade Österreich habe für jeden Euro, den es in die EU gesteckt habe, das Drei- bis Fünffache zurückbeko­mmen. Die ewige Erzählung vom Nettozahle­r Österreich sei einfach falsch, „es gibt keine Nettozahle­r in der EU“.

Es gebe gerade jetzt, in Wahlkampf-Zeiten, eine „Feigheit vor dem Dialog mit den Bürgern“. Man ziehe sich lieber auf eine passive Haltung zurück, verteidige nationale Interessen: „Vom Zuschauen aber werden wir die Probleme nicht lösen“, meint der scheidende EU-Veteran und verabschie­det sich auch mit einem positiven Grundton: „Wir sind mit Europa noch lange nicht fertig, aber wenn wir an einem Strang ziehen, gelingt uns ein mutiges, leistungsf­ähigeres und effiziente­res Europa.“

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