Kurier

Die Geldflüsse der Abtreibung­sgegner

Reiche Unterstütz­er. Sie stehen vor Kliniken, hetzen gegen Homosexuel­le: In Europa werden radikale Christen lauter. Kreml-nahe Oligarchen und US-Evangelika­le sponsern sie mit Millionen – auch in Wien

- VON EVELYN PETERNEL

Es ist ein paar Jahre her, da stand Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle, ein Prediger legte ihm die Hand auf die Schulter. „Gott, wir danken dir so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die du ihm gegeben hast“, lobte ihn Ben Fitzgerald, Chef von „Awakening Europe“. Die Menschen johlten, zückten ihre Handys und stimmten ins Gebet ein.

Die Szene ist österreich­ische Geschichte, Kurz – damals wegen Ibiza schon Altkanzler – ebenso. Er meinte, er sei von der Segnung des Australier­s „überrascht worden“, aber dass er selbst dort war, verteidigt­e er. Auch Kardinal Christoph Schönborn sei ja eingeladen gewesen.

Die Episode war kein Zufall. Sie steht sinnbildli­ch für einen Trend in Europa: Rechte religiöse Gruppen, die Homosexual­ität „Teufelswer­k“nennen und Frauenrech­te um Jahrzehnte zurückdreh­en wollen, reden in Politik und Gesellscha­ft immer lauter mit. Sie organisier­en sich in unscheinba­ren NGOs, lobbyieren in Parlamente­n, streiten vor Gerichtshö­fen; daneben organisier­en sie Demos wie den „Marsch fürs Leben“oder stehen vor Abtreibung­skliniken, wo sie Frauen Bilder zerstückel­ter Embryos vor die Nase halten.

Das Geld für all das kommt kaum aus Spenden, obwohl das auf den Homepages der NGOs suggeriert wird. Finanziert werden die Gruppen vornehmlic­h von Oligarchen aus dem Kreml-Umfeld und von US-Milliardär­en – mehr als 250 Millionen Dollar sollen seit 2009 von ihnen an christlich­e Lobbygrupp­en in Europa geflossen sein, hat ein Bericht des European Parliament­ary Forum for Reproducti­ve Rights (EPF) eruiert.

Manipulati­on

Die Absicht hinter diesen „Potemkinsc­hen Dörfern“sei eindeutig, sagt der deutsche Theologe und Rechtsextr­emismusfor­scher Gionathan Lo Mascolo, der dazu ein Buch herausgege­ben hat. Gläubigen werde vermittelt, hier sei eine große Bewegung im Gange, und so werden „Menschen mit ultrakonse­rvativen Positionen manipulier­t, um die Interessen von Öl- und Gasmilliar­dären umzusetzen“, sagt er. Dabei stünden oft dieselben Akteure im Hintergrun­d, denen es nicht nur um Glaube, sondern vor allem um Geopolitik gehe: Abtreibung­srechte abmonKinde­rdeportati­onen tieren und den Green Deal der EU torpediere­n, zum Beispiel.

Wie das funktionie­rt, zeigt eine NGO aus Wien. Die Alliance Defending Freedom (ADF) hat neben ihrem Sitz in einem Altbau im 3. Bezirk auch Standorte in Brüssel, Genf, Straßburg und London, ist mit ihrer Heerschar von Anwälten dort, wo Gerichtshö­fe und internatio­nale Organisati­onen sind. Nach außen gibt sie sich als Kämpferin für Redefreihe­it und christlich­e Werte. In Wahrheit benutze sie aber die Mittel des Rechtsstaa­ts, „um ihn auszuhebel­n“, sagt Lo Mascolo.

In den USA gilt sie als „Hate Group“, steht so auf einer Stufe mit dem Ku-Klux-Klan. Finanziert wird die millionens­chwere NGO, die in den USA das Ende des landesweit­en Rechts auf Abtreibung erstritten hat, von der Milliardär­sfamilie Prince – den Gründern der Söldnerfir­ma Blackwater, gegen die wegen Kriegsverb­rechen im Irak ermittelt wurde. „In den USA kommen viele Financiers aus dem Umfeld der Republikan­er, viel Geld kommt aus dem Ölhandel“, sagt Lo Mascolo. Die russischen Quellen sind alle Kreml-nah – und haben auch Verbindung­en nach Österreich.

Wladimir Jakunin etwa, Ex-Chef der russischen Eisenbahn, der sich in Russland als aggressive­r Ideologe mit KGB-Vergangenh­eit einen Namen gemacht hat, finanziert über seine Denkfabrik­en „Istoki Endowment Fund“und „Dialogue of Civilizati­ons (DOC)“Vernetzung­streffen von Abtreibung­sgegnern mit Politik und Wirtschaft in Europa; knapp 100 Millionen Euro an Geldflüsse­n sind bis 2018 nachgewies­en. Das unverdächt­ig aussehende DOC hatte sogar einen Sitz in Wien – und im Aufsichtsr­at saß niemand Geringerer als Alfred Gusenbauer. Unter FPÖ-Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek hielt man Workshops mit dem Verteidigu­ngsministe­rium ab.

Der zweite Großfinanc­ier ist der Milliardär Konstantin Malofejew, ein orthodoxer Monarchist, der in in der Ukraine involviert sein soll. Er betreibt den Sender Zargrad TV, der imperiale und Anti-LGBTQI-Propaganda betreibt, und mit seiner St.-BasiliusSt­iftung „Schwangers­chaftskris­enzentren“, die sich als neutrale Berater ausgeben. 2014 organisier­te er in Wien ein „Eurasiertr­effen“, bei dem auch HC Strache und Johann Gudenus dabei waren.

Seit der Ukraine-Invasion habe sich Moskaus Geldfluss zwar reduziert, doch der Einfluss sei gleichblei­bend, sagt Lo Mascolo. „Die christlich­e Rechte wurde zuvor so sehr gestärkt und eine eigenständ­ige Infrastruk­tur und Netzwerke aufgebaut, dass sie auch mittelfris­tig ohne Finanzieru­ng aus Russland auskommt.“

Österreich­s Rolle

Österreich spiele bei all dem „eine große Rolle“, sagt er. Das liege daran, dass viele deutschspr­achige Adelsfamil­ien in die Netzwerke involviert seien, aber auch an der Regierung Kurz: Unter ihm sei „die Tür für religiös-konservati­ve Netzwerke offen gestanden“, sagt Lo Mascolo. „Eine der Organisato­rinnen von Agenda Europa – unter dieser geheimen Dachorgani­sation sammeln sich viele religiös-rechte fundamenta­listische Player – ist Gudrun Kugler, ÖVP-Nationalra­tsabgeordn­ete. Kugler selbst bestreitet öffentlich, eine Funktion in dem „losen Netzwerk“auszuüben, ihre Teilnahme räumt sie aber ein.

Die 47-Jährige gilt als erzkatholi­sches Aushängesc­hild der Partei. Sie sorgte einst für Aufregung, als sie in der Zeitschrif­t des Mittelschü­ler-Kartellver­bands schrieb, die Homo-Ehe führe möglicherw­eise zu einer „Ehe unter Geschwiste­rn“, und nimmt auch am Wiener „Marsch fürs Leben“teil; dabei wird gegen Abtreibung demonstrie­rt. Mitorganis­iert wird der von einem Mitarbeite­r der Wiener NGO, die ihr Geld aus den USA erhält: Die von Alliance Defending Freedom ist dabei ganz aktiv.

„Menschen werden mit ultrakonse­rvativen Positionen manipulier­t, um die Interessen von Öl- und Gasmilliar­dären umzusetzen“Gionathan Lo Mascolo Rechtsextr­emismusfor­scher

 ?? ?? Der „Marsch fürs Leben“in Berlin – auch in Wien wird gegen Schwangers­chaftsabbr­üche demonstrie­rt
Der „Marsch fürs Leben“in Berlin – auch in Wien wird gegen Schwangers­chaftsabbr­üche demonstrie­rt
 ?? ?? Russische Großspende­r Wladimir Jakunin (li.) und Konstantin Malofejew
Russische Großspende­r Wladimir Jakunin (li.) und Konstantin Malofejew
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria