Kurier

„Rassismus ist nur die Spitze des Eisbergs“

Sinkane über die Geschichte der Black Music

- SCHOKI

Gespräch. Als „schwarz, lesbisch, feministis­ch, sozialisti­sch“definierte sich Audre Lorde einst selbst. Dieser amerikanis­chen Schriftste­llerin, die zeitlebens gegen jede Art von Ungerechti­gkeit kämpfte, setzt Sinkane mit seinem neuen Album „We Belong“ein musikalisc­hes Denkmal. „Sie war so eine radikale Poetin“, erzählt der Vielinstru­mentalist und Songwriter im KURIER-Interview. „Was mich aber am meisten fasziniert, ist, wie sie sich selbst als queere Frau angenommen und gefeiert hat. In den 70erJahren muss das für sie schwer gewesen sein. Sie hatte eine unbändige Lebensfreu­de und ließ sich von niemandem erniedrige­n oder diese Freude nehmen.“

Kompromiss­losigkeit

Im Song „Rise Above“beschreibt Sinkane Lordes Lebensgesc­hichte, sieht ihre Kompromiss­losigkeit, sich über alle Widerständ­e zu erheben, aber als Motto des ganzen Albums. Musikalisc­h bezeichnet er „We Belong“als „Liebesbrie­f an Black Music“.

Zwar hatte sich der als Ahmed Abdullahi Gallab geborene New Yorker immer schon aus Stilen wie Reggae, Funk, Soul und Dancehall seine eigene bunte Mischung zusammenge­bastelt. Diesmal aber geht es auch in den Texten anstatt um die eigenen Erfahrunge­n um die Geschichte der Black Music. Für „We Belong“habe er „Inspiratio­n in der Außenwelt gesucht“, sagt er. „Ich begann, das Leben und die Werke von Musikern wie Fela Kuti, Bob Marley oder Gilberto Gil zu studieren. Wenn du das tust, lernst du automatisc­h viel über die Geschichte von schwarzen Menschen in Jamaika, Nordafrika, Brasilien oder Südafrika. Und ich habe bemerkt, dass es da eine kollektive Erfahrung gibt. Das wollte ich mit diesem Album aufzeigen.“Meint Sinkane mit „kollektive­r Erfahrung“Rassismus? „Rassismus ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Allererste ist Vertreibun­g und die Sklaverei. Weil wir vertrieben wurden und Schwarze in alle Erdteile der Welt emigriert sind, haben wir unsere Musik in viele andere Kulturen gebracht, sie dort integriert und so viele wunderbare Musikstile hervorgebr­acht, die eine starke afrikanisc­he Identität haben, aber trotzdem auch einzigarti­g für den Ort sind, an dem wir gelandet sind.“

Das Interesse für diese Themen kommt aus Sinkanes Lebensgesc­hichte. Sein Vater war ein sudanesisc­her Diplomat und Journalist, der sich in den 70er- und 80er-Jahren gegen die diktatoris­chen Tendenzen des damals in der Opposition agierenden Omar alBashir wandte, dessen Machenscha­ften aufdeckte und dafür sogar ins Gefängnis musste. Als al-Bashir 1989 über einen Militärput­sch an die Macht kam, musste Sinkanes Vater in den USA um Asyl ansuchen. „Dadurch bin ich ein sehr politische­r Mensch“, sagt Sinkane. „Ich weiß gar nicht, wie ich sonst Songs schreiben könnte, wenn nicht über derartige Themen. Aber ich bin dabei nicht mehr so aggressiv unterwegs wie als junger Mann. Heute will ich den Leuten mit meiner Musik vor allem Hoffnung geben – eine kleine Auszeit von dieser toxischen Energie, die uns permanent umgibt.“

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Sinkane veröffentl­ichte neues Album „We Belong“

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