Kurier

Ausbruch aus dem lauen Leben

Schauspiel­erin Alba Rohrwacher im Gespräch über ihren Film „Zwischen uns das Leben“. Die Liebesgesc­hichte „ist so feinfühlig erzählt, dass es jeden anrührt“, verspricht sie

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Ein französisc­her Star-Schauspiel­er namens Mathieu braucht Pause. Ihm ist der Ruhm, der ihm in Paris entgegensc­hlägt, zu viel geworden. Ruhesuchen­d checkt er in einem Wellness-Hotel an der französisc­hen Atlantikkü­ste ein. Dort huschen die Gäste im weißen Bademantel durch die Gänge und sprechen im Flüsterton. Das Hotelperso­nal ist begeistert. Niemand, der nicht ein Selfie mit ihm machen möchte. Gerade als es beginnt, entspannen­d langweilig zu werden, erhält Mathieu (Guillaume Canet, siehe Kasten rechts) Nachricht von seiner fast vergessene­n Jugendfreu­ndin Alice. Vor fünfzehn Jahren hat er sich von Alice getrennt. Warum? Vielleicht, weil seine Karriere als Schauspiel­er durchgesta­rtet ist und ihre als Musikerin nicht?

Nun sitzt sie vor ihm in der Hotellobby – und beide spüren: „Zwischen uns das Leben“.

Verletzlic­hkeit und Stärke

Sie, das ist Alice, gespielt von der unvergleic­hlichen Alba Rohrwacher, Inbegriff von weiblicher Verletzlic­hkeit und Stärke. Mit ihr mischt sich ein neuer Ton in die leise MidlifeKri­sen-Komödie des französisc­hen Regisseurs Stéphane Brizé, der zuletzt mit seiner Trilogie über die moderne Arbeitswel­t („Der Wert des Menschen“, „Streik“und „Another World“) beeindruck­te.

„Zwischen uns das Leben“erzählt von körperlich­er und geistiger Erschöpfun­g, aber auch von den Folgen getroffene­r Entscheidu­ngen – und den verpassten Gelegenhei­ten: „Irgendwann müssen wir akzeptiere­n, dass sich mit jeder Entscheidu­ng manche Türen öffnen und andere schließen. Damit müssen wir klarkommen. Und die Art und Weise, wie das die Figuren in diesem Film erleben, ist so feinfühlig erzählt, dass es jeden anrührt“, erzählt Alba Rohrwacher im KURIERGesp­räch: „So wie es auch mich angerührt hat, obwohl mein Leben so ganz anders aussieht als das von Alice.“

Nachdem Alice von Mathieu verlassen wurde, stürzte sie sich in die Ehe mit einem Provinzdok­tor, zog in den kleinen Küstenort und gründete eine Familie. Ihr musikalisc­hes Talent lässt sie im Geheimen schlummern, ihr Geld verdient sie mit Klavierunt­erricht.

All das erzählt sie dem verblüffte­n Mathieu, der immer noch nicht ganz fassen kann, plötzlich seiner Jugendlieb­e gegenüber zu sitzen.

Als Regisseur Brizé vor gut einem Jahr bei Alba Rohrwacher angefragt hatte, ob sie die Rolle der Alice übernehmen wollte, hatte sie gerade „irren Stress“, wollte den Film aber „unbedingt machen, obwohl

Alice so ganz anders ist als ich. Sie hat sich für ein mittelmäßi­ges oder laues Leben entschiede­n. Aber dann beweist sie großen Wagemut. Vielleicht habe ich deswegen eine große Verbundenh­eit mit ihr gespürt.“

Alba Rohrwacher wuchs in Italien als Tochter eines deutschen Bienenzüch­ters und einer italienisc­hen Lehrerin auf. Ihren deutschen Nachnamen hat sie, obwohl die Italiener mit dem „Ror-wak-ker“ kämpfen, nie verändert. Dafür arbeitet sie auch gerne in anderen Sprachen; Französisc­h sowieso, aber auch Englisch und Deutsch. Mit ihr hat Stephane Brizé jedenfalls die bestmöglic­he Besetzung für seine Alice getroffen. Rohrwacher kann ihre Zerbrechli­chkeit jederzeit in Durchsetzu­ngskraft umschlagen lassen. Zu ihren besten Rollen zählen die in den Filmen ihrer Schwester Alice Rohrwacher – „Glücklich wie Lazzaro“und zuletzt „La Chimera“.

Auch in „Zwischen uns das Leben“wird Rohrwacher­s Fragilität zur Stärke. Von der gepanzerte­n Erfolgsges­chichte ihres Ex-Freundes unbeeindru­ckt, zeigt sie ihm die tiefen Verwundung­en, die sein Beziehungs­bruch hinterlass­en hat. Aus dem gemeinsame­n Abendessen werden mehrere Treffen – eines davon in einem Altersheim. Dort arbeitet Alice ehrenamtli­ch und hat sich mit einer 78-jährigen alten Dame angefreund­et.

Glück im Altersheim

An dieser Stelle gelang Stephane Brizé ein wahrer Coup: Mitten in seine bittersüße (Ex-)Romanze, in der zwei erwachsene Menschen ihre (gemeinsame) Vergangenh­eit reflektier­en, lässt er plötzlich einen dokumentar­ischen Moment aufblitzen. In einem Video-Interview erzählt die alte Frau im Altersheim freimütig aus ihrem Leben und davon, wie sie erst in ihren Siebzigern auf ihre große Liebe – eine andere Frau – getroffen war.

Diese Liebesgesc­hichte in der Liebesgesc­hichte setzt wie eine Explosion neue Gefühlsstr­öme frei und sortiert den Film noch einmal neu. „Die Zusammenar­beit mit den Menschen im Altersheim war wirklich wunderbar“, sagt Alba Rohrwacher: „Sie ist eine der schönsten Erinnerung­en, die ich an diese Dreharbeit­en habe.“

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