Kurier

Lautes Lachen auf leisen Sohlen

Sein neues Solo mit tausendund­einer Theater-Anekdote heißt „Vorhang auf“und enthüllt den Sinn seines Lebens – „es auf einem fliegenden Teppich der guten Laune zu bewältigen“

- VON DIETER CHMELAR

Der Untertitel seines fünften Programms verheißt: „Erlesenes und Erlebtes“– dabei wär’ das Erlebte alleine schon erlesen genug. Der lebenslang­e liebevolle Jäger und Sammler geiler Geschichte­n und prachtvoll­er Pointen hat sich freilich noch nie was aufgeschri­eben – sein Erinnerung­s- und Abrufvermö­gen ist im Wortsinn merkwürdig, so wie all die Anekdoten aus versunkene­n Theaterwel­ten: Würdig, es sich zu merken. Der Wiener Erzkomödia­nt Heinz Marecek trägt auch mit 78 noch den Spitznamen Burli, ganz im Geiste Max Reinhardts: „Ein Schauspiel­er ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewah­ren.“

Das Zwiegesprä­ch zur zauberhaft­en Zeitreise (Termine, re. u.),

auf der man wehmütig vergangene­n Vorhängen nachhängen darf.

***

KURIER: Wem ist eigentlich das „Burli“für dich eingefalle­n? Heinz Marecek: Dem wunderbare­n Heinz Holecek (њ 2012) –er sagte es immer, außer, wenn es ernst war. Dann sagte er: „Onkel

Burli“. Ich habe ihn geliebt, und ich finde keine Worte dafür, wie ich den „Honzo“vermisse. Mittlerwei­le sind so viele Große und Geniale – und ganz enge Freunde – gegangen. Ich denke an Werner Schneyder (њ 2019) und jetzt an Michael Horowitz (der KURIERfrei­zeit-Gründer starb am 12. 4). Wir waren gegenseiti­g per Burli.

Du wirst ja morgen, Donnerstag, die Abschiedsr­ede für Horowitz halten. War das dein Vorschlag?

Nein. Er hat mich Tage, bevor es zu Ende ging, angerufen und es mir quasi befohlen: „Burli, reden musst du. Versprich mir das!“Wir teilten zeitlebens dasselbe – immer auf der Suche nach alten Büchern und neuen Beiseln.

Du liest Tag und Nacht, oft drei, vier Bücher gleichzeit­ig. Woher rührt diese Leidenscha­ft?

Von meinem Großvater mütterlich­erseits. Er starb, als ich drei war. Ich habe also so gut wie keine Erinnerung an ihn. Aber dafür an seine riesengroß­e Bibliothek. Nach der Schule fuhr ich mit der Tramway zur Großmutter, wo ich Nachmittag­e lang in der Lektüre, die alle Stückeln spielte, versank. Die Familie war auch Mitglied bei sämtlichen Buchgemein­schaften.

Wenn es je einen Plan B für deinen Berufsweg gegeben hat, was wäre das gewesen? Buchhändle­r. Das hätte ich mir – bis vor wenigen Jahren noch – in unserem Zweitwohns­itz auf Ibiza gern verwirklic­ht. Leider wurde das Objekt meiner Sehnsucht mitten im Ort verkauft. Ewig schad’.

In deinem neuen Solo „Vorhang auf“rufst du den, früher jedenfalls doch zweifelhaf­ten Ruf der Schauspiel­zunft ins Gedächtnis: „Erst geht der Fetzen rauf, dann kommen die Lumpen.“Das hat dich selbst nicht abgeschrec­kt?

Auch meine Eltern nicht. Nur mein kleiner Bruder Walter fragte: „A Schauspiel­er willst wern? Muass ma da net scheener sei?“Es gab damals noch kein Fernsehen. Man ging ins Kino oder ins Theater. Auf dem Heimweg rezitierte ich das Gesehene auf offener Straße. Am Reinhardt-Seminar bewarb ich mich mit 400 anderen, nur fünf Mädeln und drei Buben wurden aufgenomme­n. Ich auch. Einer der wichtigste­n Lehrer war Otto Schenk. Er brachte mir die Kernfrage des Berufs bei, die Suche nach Wahrhaftig­keit: „Was machen Menschen?“Wenn ich heute eine Nestroy-Gala sehe, dann krieg’ ich eine Ganzkörper­Gänsehaut. Nicht einer red’t da noch wie ein Mensch! Sie bewegen sich ja nicht einmal wie Menschen! Ich war von 1971 bis 1998 am Theater in der Josefstadt. Ich hab’ in 60 Jahren in 5000 Vorstellun­gen mitgewirkt. Aber mir fehlt das Theater so überhaupt nicht.

Jedenfalls dieses Theater. Ich geh heute am liebsten nur noch allein auf eine Bühne. Ich hatte das Privileg, die Größten aus nächster Nähe zu erleben. Meinrad, Sowinetz, Haeusserma­n, Waldbrunn, Muliar, Maxi und Alfred Böhm, Stoß, Serafin, Lohner, Schenk. Zu denen habe ich eine ganz persönlich­e tiefe Zuneigung. Alle, mit denen ich a Freud’ g’habt hab, haben mich im Innersten geprägt. Es fällt mir leicht, mich an sie und an all die Anekdoten zu erinnern. Was mir einen Spaß macht, das merk ich mir in- und auswendig.

Otto Schenk rühmt dich als großen Verführer. Du huldigst ihm in deinem Solo auch als atemberaub­enden Autofahrer ...

Ja, gelegentli­ch durfte ich mit ihm vom Reinhardt-Seminar zur Staatsoper fahren. Ein Abenteuer. Der Otti raste nämlich gern mit 130 km/h auf den Straßenbah­nschienen der Mariahilfe­r Straße dahin. „Weißt“, sagte er, „ma derf nicht zu weit rechts fahren, des is g’fährlich.“Einen Schrecken jagte er mir aber auch, Jahrzehnte später, beim Schwammerl­suchen am Irrsee ein. Ich trug nur den vollen Korb zum Wirten, weil ich mich überhaupt nicht auskannte. „Bist du dir eh sicher, dass da keine Giftigen dabei sind?“, fragte ich ihn, als das Schwammerl­gulasch vorbereite­t wurde. Da blickte er mich nur verständni­slos, fast strafend, an: „Es ist ja unappetitl­ich, wie sehr du am Leben hängst.“

Da kommt das laute Lachen auf leisen Sohlen daher. Ohne eine weitere Pointe zu verraten – am lustigsten finde ich, wie dich der Serafin einmal im Hallenbad des Seehotels Rust rüde anbrüllte. Keine Silbe mehr! Die Leute sollen ja ins Programm kommen.

Anlässlich deines 70ers sagtest du im KURIER: „Ich fürchte das Alter nicht. Mich schlagen 80Jährige im Schach und im Golf – das gibt mir Hoffnung.“Spielst du noch Schach oder Golf?

Schach nein. Das macht mich todtraurig. Mit dem Doktor Werner S. (Schneyder), mit dem ich jahrelang fast täglich via Skype zwei, drei Partien spielte, starb auch die große Freud’ daran ... Golf ja, aber seit ich mir den Ellbogen brach, nur noch selten.

Was ist der Sinn des Lebens oder besser gefragt: Was ist der Sinn deines Lebens, „Onkel Burli“? Ich glaube: Es auf einem fliegenden Teppich der guten Laune zu bewältigen. Man sollte jeden Tag in die Hand nehmen wie ein Tischler ein Stück Holz oder ein Schuster einen Fleck Leder und sich dabei fragen: Was könnt’ ich heute daraus machen?

Joana Mallwitz muss wegen einer Erkrankung das TV-Jubiläumsk­onzert zu Beethovens Neunter mit den Wiener Symphonike­rn im Konzerthau­s abgeben. Petr Popelka springt ein. Oscar Jockel übernimmt davor die Dirigate im Musikverei­n.

 ?? ?? „Was mir Spaß macht, das merke ich mir“, sagt der in- und auswendige Erinnerung­sweltmeist­er guter Geschichte­n
„Was mir Spaß macht, das merke ich mir“, sagt der in- und auswendige Erinnerung­sweltmeist­er guter Geschichte­n
 ?? ?? Förderer & Forderer Schenk rühmt Marecek als „Verführer“
Förderer & Forderer Schenk rühmt Marecek als „Verführer“
 ?? ?? „Burli“hält die Abschiedsr­ede für Horowitz (re.: Chmelar)
„Burli“hält die Abschiedsr­ede für Horowitz (re.: Chmelar)
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria