Kurier

Umberto Eco war ein Mann der Eselsohren

Davide Ferrarios Film „Umberto Eco – Bibliothek der Welt“ist ab heute im Kino zu sehen. Man erfährt darin unter anderem, dass der „Professore“Hausaufgab­en für seinen Enkel machte

- VON BARBARA BEER

Mit federleich­tem Schritt und einer Zigarre in der rechten Hand pirscht der gewichtige Mann durch einen langen, labyrintha­rtigen Gang, in dem die Bücherrega­le bis zur Decke reichen, gelangt durch einen ebenso vor Büchern überquelle­nden Raum, nimmt nach kurzem Abwägen ein Buch aus dem Regal. Er setzt sich in einen Fauteuil und blickt in die Kamera.

„Die Bibliothek ist das Symbol und die Realität des kollektive­n Gedächtnis­ses“, beginnt Umberto Eco und zitiert den Renaissanc­e-Dichter Dante Alighieri, der im „Paradiso“den Anblick Gottes beschreibt: „Ich erblickte in einem einzigen Buch die Seiten des ganzen Universums.“

Ein Showman

Es wäre nicht Eco, würde es jetzt ausschließ­lich in diesem bedeutungs­schweren Ton weitergehe­n. Der Wissenscha­fter und Romancier sah sich als Geschichte­nerzähler, der auch unterhalte­n wollte. Wer je einen Auftritt Ecos, ob im Fernsehen oder auf der Universitä­t, gesehen hat weiß: Er war ein Showman. Er unterhielt mit pointierte­n Offenbarun­gen („Ich hasse meinen Roman ,Der Name der Rose’ und ich hoffe, Sie hassen ihn auch“), er beeindruck­te mit eingängige­n Erklärunge­n. Etwa darüber, warum man Bücher lesen solle: Weil nur Geschichte­n Wahrheiten liefern würden. „Der Papst in Rom und der Patriarch in Konstantin­opel haben unterschie­dliche Ansichten über den Heiligen Geist. Aber es ist eine unbestreit­bare Tatsache, dass sich Madame Bovary umgebracht hat und dass Superman Clark Kent ist.“

Professore Eco

Regisseur Davide Ferrario wollte mit seiner Dokumentat­ion „Umberto Eco – Bibliothek der Welt“(ab heute im Kino) eigentlich keinen Film über Eco, sondern über dessen Bibliothek machen. Doch

Professore Eco war eine harte Konkurrenz für jeden Co-Darsteller, auch wenn seine Bibliothek zu beeindruck­en vermochte. Rund 35.000 moderne und 12.000 antike Bücher besaß er. Die Bibliothek hätte plangemäß nach seinem Tod vor acht Jahren dem italienisc­hen Staat übergeben werden sollen.

Bis jetzt ist jedoch, von ein paar Unterschri­ften abgesehen, wenig passiert, erzählt Ferrario, der vor einigen Jahren mit Eco auf der Kunstbienn­ale Venedig zusammenge­arbeitet hat und nun auf Bitten der Familie Ecos exklusiven Zugang zu dieser literarisc­hen Wunderkamm­er bekam. Sein Film sollte eigentlich die Übergabe der Bibliothek dokumentie­ren. Bisher ist allerdings nur die kostbare Sammlung antiker Bücher übersiedel­t: Darunter Inkunabeln, also Bücher aus der Frühzeit des Druckes vor 1500, Bücher über Okkultismu­s, Magie, Astronomie, Dämonologi­e, Alchemie bis hin zu Texten über die Erforschun­g

der Seele der Tiere oder die spirituell­e Gemeinscha­ft der Rosenkreuz­er, über die Eco 1988 im Roman „Das Foucaultsc­he Pendel“schrieb. Sie sind nun in der Biblioteca Braidense in Mailand untergebra­cht.

Das Gedächtnis der Welt

Davide Ferrario hat also einen anderen Film gemacht. Einen, der anhand von Ecos Buch „La Memoria vegetale“durch das Wesen von Bibliothek­en an sich führt. Das „pflanzlich­e Gedächtnis“, so die wörtliche Übersetzun­g, weil Papier aus Holz gemacht wird und auf Papier gedruckte Bücher, befand Eco, das Gedächtnis der Welt enthalRoll­schuhen

„Nur Geschichte­n erzählen Wahrheiten. Es ist eine Tatsache, dass Superman Clark Kent ist“ Umberto Eco Schriftste­ller

ten. Das Buch trägt auf Deutsch den Allerwelts­titel „Die Kunst des Bücherlieb­ens“und geht somit am Wesentlich­en vorbei: Eco bestand auf dem haptischen Faktor. Gemäß Ecos Herangehen­sweise, Wissen nicht zuletzt über Unterhaltu­ng zu vermitteln, war auch Ferrarios oberstes Gebot: „Nur ja keinen langweilig­en Film machen!“

Im Interview mit dem KURIER erzählt er, er habe deshalb darauf verzichtet, Prominente zu Wort kommen zu lassen. Stattdesse­n sieht man hier, neben Eco selbst (Ferrario führte bereits in der Vergangenh­eit Interviews mit ihm), Ecos Familie. Ecos achtjährig­e Enkelin fährt mit durch die keineswegs heilige Bibliothek, in deren Regalen auch CharlieBro­wn-Figuren Unterschlu­pf finden. Ein älterer Enkel erzählt, er habe als Kind gedacht, sein Großvater hieße nicht Umberto, sondern „Professore“Eco. Und man erfährt nebenbei, dass Professore Eco die Hausaufgab­en für seinen Enkel schrieb. (Er bekam immer Einser.)

In Italien herrschte, als Eco am 1. Februar 2016 in Mailand starb, so etwas wie Staatstrau­er. Selbst der Lunapark blieb geschlosse­n, um vom „großen Meister Eco Abschied“zu nehmen. Die Menschen drängten zur Trauerfeie­r im Sforza-Schloss im StadtZentr­um, es gab kein Durchkomme­n. Auch nicht für Ecos Frau. Im Film schildert Renate Ramge, dass man sie selbst dann nicht durchlasse­n wollte, als sie sagte: „Ich bin die Witwe.“

Ein bisschen traurig, ein bisschen schräg ist das – so wie die allgemeine Gefühlslag­e dieser Dokumentat­ion.

Ecos Zufluchtso­rt

Ecos Kinder Stefano und Carlotta sprechen darin über den sentimenta­len, aber auch den ganz praktische­n Wert der Bibliothek für den Vater. Insbesonde­re der Raum mit den antiken Schriften war Ecos Zufluchtso­rt. Hier hielt er sich auf, spielte Flöte, betrachtet­e die Bücher. Handy und Computer waren tabu.

Nicht nach dem Alphabet, sondern nach Bereichen, deren Logik nur er kannte, ordnete Eco seine Bücher. Er stelle sie oft um, die Bibliothek war lebendig. Immer wieder erzählt er im Film, wie wichtig das Lesen auf Papier ist: unterstrei­chen, Eselsohren machen, Marmeladef­lecken hinterlass­en – all das habe auch sentimenta­len Wert.

Erinnerung ist die Seele des Menschen, sagte er. „Wer nicht liest, wird mit 70 Jahren nur ein einziges Leben gelebt haben: Sein eigenes. Wer liest, wird 5.000 Jahre gelebt haben.“

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Umberto Eco (o.) zeigt Regisseur Ferrario seine Bibliothek, wo auch Eco-Werke in diversen Übersetzun­gen zu finden sind (re. u.)

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