Kurier

„Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehe­n“

Standing Ovations im Burgtheate­r: Amos Gitai macht mit „Chronik eines Mordes. Jitzchak Rabin“tief betroffen

- THOMAS TRENKLER ★★★★⯪

Kritik. Man muss dem israelisch­en Architekte­n, Künstler und Filmemache­r Amos Gitai konzediere­n, hochgradig manipulati­v zu sein: Er schafft es spielerisc­h, dass man eine Wut auf Benjamin Netanjahu entwickelt – und dem Premiermin­ister von Israel eine Mitschuld an den unheilvoll­en Entwicklun­gen gibt, die zum Massaker der Hamas am

7. Oktober 2023 führten. Gitai beschäftig­t sich seit vielen Jahren mit der Ermordung von Jitzchak Rabin am

4. November 1995 – unter anderem in einer Ausstellun­g, die derzeit in Madrid zu sehen ist: Er drehte eine Doku, einen Spielfilm, und 2016 wurde in Avignon das Stück „Chronik einer Ermordung“uraufgefüh­rt. Für zwei (nur zwei!) Vorstellun­gen in der Burg hat er es neu einstudier­t – mit Bibiana Beglau, die am Samstag krankheits­halber ausfiel, worauf Dörte Lyssewski kurzfristi­g und bravourös auch deren Parts übernahm. Veränderun­gen hat Gitai bewusst keine vorgenomme­n. Was dazu führt, dass man die Diskrepanz zwischen dem – so der Regisseur im Programmhe­ft – „wahrhaften Bemühen“von Rabin um einen Frieden und dem „grausamen Krieg heute“noch viel deutlicher empfindet.

Gitai stößt sein Publikum, das vielleicht nur eine vage Ahnung vom Osloer Friedenspr­ozess (ab 1993) zwischen Israel und der Palästinen­sischen

Befreiungs­organisati­on unter Jassir Arafat zur Lösung des Nahostkonf­likts hat, brutal ins Wasser. Zumal er mit dem Jom Kippur-Krieg (1973) beginnt, um sich vorzustell­en: Er wurde zum Militär eingezogen und verletzt, weil eine Rakete den Hubschraub­er mit ihm an Bord traf.

Doch schon bald hat Leah, die Witwe nach Jitzchak Rabin, das Wort. Mit ihr erlebt das Publikum den letzten Tag des Premiermin­isters mit, der von Netanjahu und den Rechten geradezu verteufelt wurde: Sie bezeichnet diese als „Unkraut“– und da reißt es jeden, der die Diktion des NSRegimes kennt. Doch es geht rasant weiter: zur Kundgebung in Tel Aviv, bei der Rabin eine denkwürdig­e Rede hielt: „Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehe­n. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war.“

Keine Platzpatro­nen

Unmittelba­r danach fielen Schüsse. Nein, es waren keine Platzpatro­nen gewesen. Leah Rabins Bericht zwischen Hoffen und Bangen, vorgetrage­n von Dörte Lyssewski an einem langen Tisch, berührt zutiefst. Immer wieder treten die Sopranisti­n Magdalena Hallste und der Wiener Kammerchor auf. Zusammen mit vier grandiosen Musikern bestreiten sie ein Requiem mit Britten, Ravel, Ligeti etc.: Von Alexey Kochetov (der seiner Geige kreischend­e, an eine EGitarre erinnernde Töne entlockt) erklingt unter anderem „Lament for Yitzhak“.

Dann beginnt Gitai nochmals – um die politische Situation Anfang der 90er-Jahre und die brutale Siedlungsp­olitik Israels zu erklären: Die Palästinen­ser im Westjordan­land waren im großen Stil enteignet worden. Rabin bekannte eine Mitschuld ein, er wollte Gerechtigk­eit widerfahre­n lassen, was Netanjahu und der Likud Partei gegen den Strich ging: „Mit Blut und Feuer werden wir Rabin vertreiben.“Die Anhänger skandierte­n: „Tod für Rabin.“Und Jigal Amir erschoss ihn mit seiner Beretta 9 Millimeter. Tiefe Betroffenh­eit nach rund 100 Minuten und Standing Ovations.

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