Zu viel Feuerwasser?
Nach den Festwochen setzt auch das Volkstheater auf Provokation. Leider nicht auf der Bühne, sondern gegen einen Kritiker
Das Verhältnis zwischen Künstlern respektive Kulturinstitutionen und Kritikern ist traditionellerweise ein komplexes. Auf der einen Seite kreative Menschen, die davon überzeugt sind, das Bestmögliche für eine interessierte Öffentlichkeit zu schaffen. Auf der anderen
Seite professionelle Beurteiler, manchmal Besserwisser (fallweise berechtigtermaßen, fallweise nur anmaßenderweise), die sagen oder schreiben, was gut, aber auch, was schlecht läuft. Zuweilen stimmt die Balance leider nicht, sodass in der Öffentlichkeit das Schlechte überwiegt. Auch das aufzuzeigen, ist Aufgabe des Kritikers.
Dass Künstler (und auch Kritiker) unterschiedlich damit umgehen, liegt in der Natur der Sache. Musikliebhaber erinnern sich vielleicht an ein legendäres Duell zwischen dem damaligen KURIER-Kritiker
Franz Endler und dem Pianisten Friedrich
Gulda. Endler schrieb in der Kritik über ein Konzert: „Gulda spielte Mozart und einen Furz“– letzteres Wort hatte sich auf eine Komposition von Gulda bezogen. Daraufhin antwortete Gulda mit einem Gedicht in der Krone, das den Titel „Der Furzendler“trug. Das Match ging so weit, dass Gulda seinen Tod vortäuschte, um Endlers Nachruf zu lesen – der KURIER ging aber nicht in die Falle.
Das alles war noch humorvoll und passte zu historischen Reibereien der Musikgeschichte. Schon weniger lustig war es, als Martin Walser den Roman „Tod eines Kritikers“schrieb, der sich auf Marcel Reich-Ranicki bezog.
Nun hat sich das Volkstheater im Satirefach versucht und dabei schrecklich daneben gegriffen. Intendant Kay Voges präsentierte seine letzte Spielzeit mit einem Film im Western-Stil, in dem Volkstheater-Mitglieder einen gewissen Tom Trinkler (gemeint ist wohl der KURIER-Journalist ähnlichen Namens) als „Bastard“und „Ratte“beschimpfen, quälen, ihm viel Leid wünschen und ihn mit der Waffe bedrohen. Geht’s noch, liebe Leute? Zu viel Feuerwasser?
In einer Zeit, in der Gewalt große Teile der Welt regiert, in der tagtäglich an der Eskalationsschraube gedreht wird, in der Wiens Festwochen-Intendant (wie der Volkstheaterchef übrigens von der Wiener Kulturstadträtin eingesetzt) keine Gelegenheit zur Provokation auslässt, in einer solchen Zeit packt ein Theater die Waffe aus und bringt (so satirisch kann das gar nicht gemeint sein, dass es das rechtfertigt) Gewalt in die Debatte ein. Man ist fassungslos angesichts der Grenzüberschreitung und Unsensibilität.
Bei dem jüngsten „Blut“-Angriff auf Karoline Edtstadler hat man gesehen, wie rasch Online-Fantasien Realität werden können. Dass ein beleidigter Intendant sich nicht viel besser benimmt, ist der nächste Auswuchs einer vergifteten Stimmungslage. Und zeigt die Hilflosigkeit mancher Protagonisten einer Szene, die um Relevanz und Aufmerksamkeit kämpft. Und nicht kapiert, dass Kritiken ihr dabei helfen.