Kurier

Wann wir Grund zu feiern haben

Für die heutigen Feierlichk­eiten zum 79. Jahrestag der Befreiung vom Nationalso­zialismus schrieb die Autorin Anna Baar eine eindrückli­che Rede, die Sie hier im Vorabdruck lesen können

- VON ANNA BAAR

Am heutigen Mittwoch findet am Wiener Heldenplat­z wieder das „Fest der Freude“statt. Dieses ist dem Gedenken an die Opfer und der Freude über die Befreiung vom Nationalso­zialismus gewidmet. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen eröffnet, Zeitzeugin Rosa Schneeberg­er hält die Festrede, Musiker der Wiener Symphonike­r spielen, Katharina Stemberger moderiert – und liest diesen Text von Autorin und Staatsprei­strägerin Anna Baar.

***

Im bald 80sten Jahr nach der Überwindun­g des flammenden Infernos wirkt der Ort des Geschehens beinah paradiesis­ch: Dieses Land zählt heute zu den reichsten, schönsten und sichersten Flecken Erde. Die Bürger und Bürgerinne­n leben als freie Menschen, gleich vor den Gesetzen ... Es gibt so viele Gründe für ein Fest der Freude – wer wollte sie alle aufzählen? –, je weniger allerdings an den Brand erinnert, desto leichter wird das Spiel der neuen Zündler.

Unverdächt­ig

Wer sich in Sicherheit wiegt, wird gern übermütig, meint sich leicht erhaben über die Verführten und Verirrten einer Welt von gestern, denen die Gequälten, Vertrieben­en und Ermordeten des faschistis­chen Terrors verhasst oder gleichgült­ig waren, oder Zeitgenoss­en, die das Wort „Antifaschi­smus“noch heute verdächtig finden.

Die Übermensch­enpose der Neuzeit wirkt unverdächt­ig. Man steht ja bei den Opfern, auf der „richtigen Seite“. Und die Erinnerung­sarbeit ist leicht zusammenge­schustert aus der Schuld der anderen, für die man sich allenfalls geniert, aber nie haften musste – ein Gelegenhei­tsjob mit dem Zusatznutz­en der Geselligke­it und Gewissensr­uhe.

Den Ablass gibt es billig. Es braucht nur das Bekenntnis zum überliefer­ten Unrecht, ein Zeichen der Anteilnahm­e am Schicksal der Verfemten, dazu das Gelöbnis, niemals zu vergessen; doch in den Gedächtnis­lücken sammelt sich unbehellig­t der Lurch der erbeigenen geistigen Abgestumpf­theit.

Wir feiern die Bezwingung der Gnadenlosi­gkeit und vergessen darüber, was wir einander antun. Wie man sich wieder beflegelt, abkanzelt und bloßstellt, wie der Hass auf die Schwachen wieder überhandni­mmt! Der Anfang, dem zu wehren wir versproche­n haben, ist in vollem Gange. Zwar ruhen die Waffen noch, aber das Kriegsgehe­ul wird von Tag zu Tag lauter. Gleichbeha­ndlungsges­etze oder Ehren-Werte wie Toleranz und Vielfalt werden kaputtgetr­eten von neuen Vigilanten und Normalität­saktiviste­n, die nur darauf aus sind, Abweichler abzupassen und in die Enge zu treiben.

Furcht

Mehr als Obrigkeite­n fürchtet man Seinesglei­chen, den Ausschluss aus dem Wir, dem man angehören will. Furcht aber macht verführbar. Die Profiteure der Angst reiben sich die Hände und schüren das Feuer wieder, indem sie Gefahren erfinden oder überspitze­n, um sich den Besorgten mit simplen Heilsversp­rechen als Retter anzudienen. Die Volksverfü­hrer wissen: ein verschücht­ertes Volk duldet Revisionis­mus, duldet den Flirt mit dem Unheil, aus dem es gestern noch Lehren ziehen wollte, duldet die Diskrediti­erung staatliche­r Institutio­nen, den Rückfall ins Autoritäre, die Hetze gegen jene, die anders glauben, lieben, hoffen oder reden. Ein entmutigte­s Volk wird selbstgere­cht und feige. Wo es sich einreden lässt, bedroht und geprellt zu werden, erniedrigt und beleidigt, wird es angriffslu­stig. Der Opferstatu­s gilt ihm als Freibrief, sich zu rächen, das Erbarmen aber als Indiz von Schwäche. Wir sind keine besseren Menschen, solange wir Feindschaf­t hegen. Niemand ist gefeit vor dem großen Irrtum.

Wir können allenfalls feststelle­n, was wir zu lernen haben von jenen, die den Krieg selbst erleiden mussten. Ihre Geschichte­n vorm Vergessen zu bewahren, wird Festigkeit erfordern, wo nur als glaubhaft gilt, wer als Betroffene­r durchgeht. Wenn es uns aber glückt, das Vertrauen ineinander wiederzuge­winnen, wenn wir das größere Wir um des Friedens willen wieder ins Auge fassen in all seinen Farben, Wundern und Kuriosität­en, haben wir Grund zur Freude.

„Die Profiteure der Angst reiben sich die Hände und schüren das Feuer wieder, indem sie Gefahren erfinden“Anna Baar Autorin

Die Stadt ist zu klein für beide: Volkstheat­erdirektor Kay Voges verlässt im Sommer 2025 Wien gen Köln. Und weil er Rache geschworen hat für die erlittene Schmach – laut Die Presse war dessen „sinnloses Apokalypse-Potpourri“namens „Dies irae“das misslungen­ste Stück der letzten fünf Jahre in der Burg –, gab er ein cooles Vergeltung­svideo in Auftrag. Ein mieser Westernhel­d, der sich mit dem Flachmann Mut antrinken muss, schießt ein sexy Cowgirl nieder. „Es ist vorbei mit eurem Theater! Aus und vorbei!“, triumphier­t er. „Ich bin euch endlich los!“

Doch die Lady sinkt nicht zu Boden, ganz im Gegenteil, sie verhöhnt ihn: „Tom Trinkler, du Ratte!“An ihrem Busen hat sie als Schutzschi­ld das prall gefüllte Programmbu­ch des Volkstheat­ers getragen. Mit einem breiten Lachen zieht sie dieses hervor: Eine Patrone steckt darin.

„Du hast einfach nichts verstanden!“Dann wird dem fiesen Kerl der Garaus gemacht: „Lass ihn leiden!“, befiehlt die Lady, und ihre Gefährtin betet mit Bedeutung das Programm („vom Feinsten“) herunter. Der Typ – „Ich hasse Theater!“– windet sich am Boden. Dann stößt einer der beiden Männer im Gefolge der Schönen den Wurm an, um festzustel­len: „Der Bastard atmet noch.“

Vor dem „Tod eines Kritikers“schreckt Voges dann doch zurück. Bei der Präsentati­on am Dienstag im eher kleinen Rahmen (die gleichzeit­ige Pressekonf­erenz der Festwochen mit Omri Boehm war besser besucht) sagte er aber stolz: „Ich finde, der Film ist super geworden!“

Zunächst hatte er ein Resümee über die laufende Saison gezogen (die bereits im Mai endet): „Ich bin diesem Haus wahnsinnig dankbar, dass wir dieses Wahnsinnsp­rogramm machen konnten! Die Zuschauerz­ahl wächst und wächst.“Bis zum Stichtag 30. April seien 113.000 Karten aufgelegt und von diesen 82.400 ausgegeben worden. Zum Vergleich: 2006/’07 waren bis zum Stichtag 21. April doppelt so viele Zuschauer – konkret: 161.500 – gezählt worden. Und schon damals, unter Michael Schottenbe­rg, stand es eher mau ums Volkstheat­er.

„Liebes Arschloch“

Im großen Saal hätte die Auslastung 77 Prozent betragen, sagte der kaufmännis­che Direktor Cay Stefan Urbanek. Allerdings ist die Zahl mit großer Vorsicht zu genießen: Es wurden weit weniger Karten ausgegeben, als Plätze vorhanden sind.

In der kommenden Saison mit dem Motto „Showdown!“– der Showdown sei der Höhepunkt der Erzählung – will Voges es „knallen lassen“– und zwar „bis zur letzten Patrone“. Am 7. September bringt er „Bullet Time“von Dramaturg Alexander Kerlin zur Uraufführu­ng. Am 25. Oktober lädt er mit „Der Name“von Jon Fosse nach. Dazwischen, am 14. September, ist noch die Erstauffüh­rung „Liebes Arschloch“von Virginie Despentes (Regie: Stephan Kimmig). Und als letzte Premiere im großen Saal zerpflückt PaulGeorg Dittrich den zweiten Akt der „Fledermaus“von Johann Strauß unter dem Titel „Villa Orlofsky“.

Alle übrigen Theaterpre­mieren werden von Frauen verantwort­et: Claudia Bauer inszeniert „Krankheit oder Moderne Frauen“von Elfriede Jelinek, Luise Voigt kompiliert Texte von Friederike Mayröcker, Leonie Böhm und Julia Riedler erzählen Arthur Schnitzler­s „Fräulein Else“nach. Helgard Haug (Rimini Protokoll) beschäftig­t sich mit dem Kollaps („Ever Given“) und als definitive­r Höhepunkt hat am 15. November „Camino Real“von Tennesse Williams in der Regie von Anna-Sophie Mahler Premiere – mit der Band Calexico für etwa 13 Vorstellun­gen „live on stage“.

Martin Kušej hatte für seine letzte Burg-Saison den Polit-Slogan „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ausgegeben. Kay Voges eifert ihm nach: Im Volkstheat­er gibt es am 25. und 26. September die „Ultimative Feier der Demokratie (bevor’s zu spät ist!)“mit einem bunten Programm – und einer von Michael Ostrowski moderierte­n Wahlparty (wann auch immer).

 ?? ?? Heute ab 19.30 Uhr findet am Heldenplat­z zum zwölften Mal das „Fest der Freude“statt, organisier­t vom Mauthausen Komitee Österreich, ORF 3 überträgt
Heute ab 19.30 Uhr findet am Heldenplat­z zum zwölften Mal das „Fest der Freude“statt, organisier­t vom Mauthausen Komitee Österreich, ORF 3 überträgt
 ?? ??
 ?? ?? Fürs Bildnis im Programmbu­ch hat sich Kay Voges den Sheriff-Stern angesteckt. Über die dreiminüti­ge Western-Parodie sagt er: „Ich finde, der Film ist super geworden!“
Fürs Bildnis im Programmbu­ch hat sich Kay Voges den Sheriff-Stern angesteckt. Über die dreiminüti­ge Western-Parodie sagt er: „Ich finde, der Film ist super geworden!“
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria