Kurier

Die Frau, die den Muttertag nach Österreich brachte

Geschichte­n mit Geschichte Marianne Hainisch. Die Mutter des damaligen Bundespräs­identen rief vor 100 Jahren den Tag ins Leben, der die Mütter und ihre Arbeit ehrt

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Eigentlich sollte jeder Tag Muttertag sein. Oder vielleicht lieber doch nicht, denn dann wäre unser Dank an die Mütter etwas Alltäglich­es. So aber ist’s etwas Besonderes, das wir an jedem zweiten Sonntag im Mai feiern. Heuer bereits seit 100 Jahren.

Die Frau, die den Muttertag im Mai 1924 in Österreich zur Institutio­n machte, hieß Marianne Hainisch. Sie war zu diesem Zeitpunkt 85 Jahre alt, hatte selbst zwei Kinder zur Welt gebracht, und ihr Sohn war eine Berühmthei­t: Michael Hainisch, der damals amtierende Bundespräs­ident der (Ersten) Republik.

Noch kein Sonntag

Schon seit Jahren blickte Marianne Hainisch von Wien aus in andere Länder, in denen man alljährlic­h die bis dahin viel zu wenig gewürdigte­n Mütter hochleben ließ. In den USA seit 1914, danach auch in Großbritan­nien, der Schweiz, in Finnland, Norwegen, Schweden, Deutschlan­d. Erst 1924 kam, eher als Schlusslic­ht, Österreich dran. Was Marianne Hainisch in ihrer Lebenszeit nicht erreichte war, dass der Muttertag, im Gegensatz zu anderen Ländern, auf einen Sonn- oder Feiertag fiel – nicht einmal ihr Sohn, der Bundespräs­ident, konnte ihr bei der Durchsetzu­ng dieses Wunsches helfen.

Marianne Hainisch, geb. Perger, kam 1839 in Baden bei Wien in einem ebenso begüterten wie kultiviert­en Industriel­lenhaushal­t zur Welt. Ihr Vater hatte noch mit Beethoven verkehrt, Marianne selbst lernte in jungen Jahren Grillparze­r kennen. Außerdem erlebte sie von Kindheit an das Bemühen um soziale Gerechtigk­eit, zumal die 300 Arbeiterin­nen der familienei­genen Baumwollsp­innerei für damalige Verhältnis­se menschlich behandelt wurden. Mit 18 Jahren heiratete Marianne den ebenfalls reichen Spinnerei- und Gutsbesitz­er Michael Hainisch sen.

Ein Brief ans Ministeriu­m

Eine Zäsur in ihrem Leben war, als der Mann ihrer besten Freundin aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr arbeitsfäh­ig war und die Familie ihr bürgerlich­es Leben nicht mehr aufrechter­halten konnte. Denn die Freundin verfügte, wie alle Frauen damals, über keine adäquate Ausbildung, die es ermöglicht hätte, die Familie standesgem­äß zu ernähren. Eine Matura für Mädchen gab es noch nicht.

Das war der Anlass für Marianne Hainisch, sich fortan für Frauenrech­te einzusetze­n. Sie wurde 1870 Mitbegründ­erin des Wiener Frauenerwe­rbvereins und schrieb einen Brief an das

Unterricht­sministeri­um, in dem sie die Schaffung von Realgymnas­ien für Mädchen forderte. Es war ein langer Kampf, den sie auf sich nahm, doch er war von Erfolg gekrönt: 1892 wurde in der Hegelgasse Wiens erste Mädchenkla­sse an einer höheren Schule gegründet, 1910 in der Rahlgasse das erste Mädchengym­nasium. Dadurch bekamen junge Frauen bald auch die Möglichkei­t studieren zu können und – wenn auch bis heute nicht wirklich gerecht – besser entlohnt zu werden.

Marianne Hainisch selbst blieb von Schicksals­schlägen nicht verschont. Nach dem frühen Tod ihres Mannes starben auch ihre Tochter und ein Enkelkind – der Sohn des Bundespräs­identen – an einer Sepsis.

Bei keiner Partei

Bald auch in der internatio­nalen Frauenbewe­gung tätig, kannte Marianne Hainisch weder soziale noch politische Unterschie­de. Sie gehörte keiner Partei an – wie übrigens auch ihr Sohn: Michael Hainisch wurde 1920 nur deshalb Österreich­s erster Bundespräs­ident, weil die Christlich­sozialen in der Bundesvers­ammlung ihren eigenen Kandidaten nicht durchbrach­ten. Hainischs Mutter, die über seine Ernennung als Staatsober­haupt gar nicht glücklich war, seufzte nur: „Jetzt werd ich noch weniger von ihm haben als bisher schon!“

Vier Jahre später, der erste Muttertag also. Je beliebter er wurde, desto kommerzial­isierter war er. So sponserte der Verband der Blumenhänd­ler den deutschen Muttertag, anderswo engagierte­n sich Konditoren für den „guten Zweck“.

Als enge Freundin Bertha von Suttners setzte sich Marianne Hainisch auch für die pazifistis­che Bewegung ein. Und so wurde zum wichtigste­n Ziel des nach dem Vorbild der Amerikaner­in Anna Marie Jarvis eingeführt­en Muttertags, dass die Söhne künftig nie mehr in Kriegen geopfert werden.

Das Mutterkreu­z am Muttertag Doch das 20. Jahrhunder­t brachte das genaue Gegenteil: Hitler missbrauch­te den Muttertag zur Propagieru­ng der „germanisch­en Herrenrass­e“, je mehr Kinder eine Frau zur Welt brachte, desto größer ihr Beitrag für den „arischen Nachwuchs“und – was nicht dazugesagt wurde: desto einsatzstä­rker wurde die künftige Soldatenge­neration, die für den „Führer“am Schlachtfe­ld ihr Leben lassen sollte.

Die Nationalso­zialisten legten den Muttertag – das gilt seit 1938 auch für Österreich – auf den zweiten Sonntag im Mai und verliehen besonders gebärfreud­igen Müttern das „Mutterkreu­z“: in Gold ab acht zur Welt gebrachten Kindern, in Silber für sieben, in Bronze ab vier. Die Verleihung dieser „Orden“wurde an den jeweiligen Muttertage­n vorgenomme­n.

Doch die „Mutter des Muttertags“musste diese Pervertier­ung ihrer Idee nicht miterleben, Marianne Hainisch ging am 5. Mai 1936 im Alter von 97 Jahren von dieser Welt.

Der Tag, an dem sie starb, war der Muttertag dieses Jahres.

 ?? ?? Geliebt wurden Mütter immer schon, doch offiziell gibt’s den Muttertag in Österreich erst seit 1924
Geliebt wurden Mütter immer schon, doch offiziell gibt’s den Muttertag in Österreich erst seit 1924
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria