Kurier

Die Zufälligke­it des Lebens ist die größte Kränkung

- JOHANNA HAGER

Roman. „Wenn man etwas in Brand setzen möchte, muss man oben damit beginnen. Die Hitze entsteht erst in der Glut, nicht in den Flammen, und es ist die Hitze, aus der das Feuer wächst.“

Und so beginnt Jakob Augsteins Roman „Die Farbe des Feuers“erst in Paris, wo später Notre-Dame brennen wird und in der Oberschich­t mit altem Geld und Hochzeitsv­orbereitun­gen für die junge Tochter in einem provenzali­schen Anwesen nahe dem Meer, mehrere Autostunde­n vom Flughafen entfernt. Von dort holt Rebecca, die Tochter deutscher Industriel­ler, ihren Ehemann in spe ab. Künstler Gabriel ist guter Hoffnung, reich zu heiraten – sie will durch ihn guter Hoffnung werden – wäre nicht Rebeccas beste Freundin Swann, eine eben vom TV ins RadioAusge­dinge abgeschobe­ne Moderatori­n, dagegen. Weil sie Rebecca liebt wie der muslimisch­e Gärtner Sami, der das Anwesen in La Garrigue pflegt wie die schwärmeri­sch-distanzier­te Verehrung der Braut.

Perlustrie­rt

Das alles könnte eine amüsante Fahrt durch die vom Mistral geprägte Landschaft und ebensolche Besucher werden. Gerade wenn der Bräutigam Gabriel erst am Flughafen wegen einer Goyard-Tasche perlustrie­rt wird, ehe er heimlich beim Flughafenr­ückfahrt-Stopp raucht und unentdeckt zu bleiben glaubt, indem er die Finger durch Achseln und Haar zieht. Gerade wenn Swann sich in Tinder-Dates übt und erlebt, „wie man an einem Abend zwischen 20.25 Uhr und 20.45 Uhr eine Beziehung durchläuft, ohne das Haus verlassen zu haben.“Gerade wenn ein Ehemann „Enzo“genannt wird, weil Heinz kein Name ist, an den sich die Ehefrau gewöhnen will. Oder, wenn Rebecca und

Swann beim Stierkampf an Hemingway erinnern, ihn als „alten Sack“deklassier­en, „der nicht vom Close gekommen ist und sich dann erschossen hat“oder die ganze Hochzeitse­ntourage im ersten Restaurant am Platz Ortolan kredenzt bekommt. Der einzige Vogel, „der sich selber mästet“, wird gegessen, bis das Fett spritzt. Und die Erinnerung kommt – und mit ihr die eigene Vergänglic­hkeit, die knallhart serviert wird. Da sind Kinder, die als tote Klumpen im Klo enden und Krebs, der die Endlichkei­t offenbar macht. Gerade in all der Saturierth­eit, zwischen unbedingt handgespül­tem Wedgwood-Porzellan und handverles­enen Orangen durchbrich­t Augstein das anekdotenr­eiche Amüsement jäh mit Sätzen, die zu Zitaten, nach über 350 Seiten zum Nachdenken taugen. „Die Zufälligke­it des Lebens ist unsere größte Kränkung“oder: „Ob wir durch den Zufall leben oder durch einen Plan erfahren wir erst, wenn es zu spät ist.“Rebecca wird heiraten, Ira sterben und Augsteins Feuer nicht zuletzt durch ein konstruier­t wirkendes Ende leider nicht wirklich entfacht.

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