Die Zufälligkeit des Lebens ist die größte Kränkung
Roman. „Wenn man etwas in Brand setzen möchte, muss man oben damit beginnen. Die Hitze entsteht erst in der Glut, nicht in den Flammen, und es ist die Hitze, aus der das Feuer wächst.“
Und so beginnt Jakob Augsteins Roman „Die Farbe des Feuers“erst in Paris, wo später Notre-Dame brennen wird und in der Oberschicht mit altem Geld und Hochzeitsvorbereitungen für die junge Tochter in einem provenzalischen Anwesen nahe dem Meer, mehrere Autostunden vom Flughafen entfernt. Von dort holt Rebecca, die Tochter deutscher Industrieller, ihren Ehemann in spe ab. Künstler Gabriel ist guter Hoffnung, reich zu heiraten – sie will durch ihn guter Hoffnung werden – wäre nicht Rebeccas beste Freundin Swann, eine eben vom TV ins RadioAusgedinge abgeschobene Moderatorin, dagegen. Weil sie Rebecca liebt wie der muslimische Gärtner Sami, der das Anwesen in La Garrigue pflegt wie die schwärmerisch-distanzierte Verehrung der Braut.
Perlustriert
Das alles könnte eine amüsante Fahrt durch die vom Mistral geprägte Landschaft und ebensolche Besucher werden. Gerade wenn der Bräutigam Gabriel erst am Flughafen wegen einer Goyard-Tasche perlustriert wird, ehe er heimlich beim Flughafenrückfahrt-Stopp raucht und unentdeckt zu bleiben glaubt, indem er die Finger durch Achseln und Haar zieht. Gerade wenn Swann sich in Tinder-Dates übt und erlebt, „wie man an einem Abend zwischen 20.25 Uhr und 20.45 Uhr eine Beziehung durchläuft, ohne das Haus verlassen zu haben.“Gerade wenn ein Ehemann „Enzo“genannt wird, weil Heinz kein Name ist, an den sich die Ehefrau gewöhnen will. Oder, wenn Rebecca und
Swann beim Stierkampf an Hemingway erinnern, ihn als „alten Sack“deklassieren, „der nicht vom Close gekommen ist und sich dann erschossen hat“oder die ganze Hochzeitsentourage im ersten Restaurant am Platz Ortolan kredenzt bekommt. Der einzige Vogel, „der sich selber mästet“, wird gegessen, bis das Fett spritzt. Und die Erinnerung kommt – und mit ihr die eigene Vergänglichkeit, die knallhart serviert wird. Da sind Kinder, die als tote Klumpen im Klo enden und Krebs, der die Endlichkeit offenbar macht. Gerade in all der Saturiertheit, zwischen unbedingt handgespültem Wedgwood-Porzellan und handverlesenen Orangen durchbricht Augstein das anekdotenreiche Amüsement jäh mit Sätzen, die zu Zitaten, nach über 350 Seiten zum Nachdenken taugen. „Die Zufälligkeit des Lebens ist unsere größte Kränkung“oder: „Ob wir durch den Zufall leben oder durch einen Plan erfahren wir erst, wenn es zu spät ist.“Rebecca wird heiraten, Ira sterben und Augsteins Feuer nicht zuletzt durch ein konstruiert wirkendes Ende leider nicht wirklich entfacht.