Kurier

Menschen, von denen man nicht erzählt

Cannes. Das Langfilmde­büt „The Village Next to Paradise“des somalisch-österreich­ischen Regisseurs Mo Harawe startet als heimischer Beitrag in der renommiert­en Reihe „Un certain Regard“.

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Mo Harawe hat viel Erfahrung mit Filmfestiv­als. Zwar drehte er bisher „nur“Kurzfilme, wurde aber für deren Premiere von so namhaften Filmfestsp­ielen wie in Locarno oder der Berlinale eingeladen. Mit seinem Langfilmde­büt „The Village Next to Paradise“gelang ihm nun ein weiterer großer Schritt: Er startet in der renommiert­en Sektion „Un certain Regard“auf dem Filmfestiv­al in Cannes als einziger österreich­ischer Beitrag.

„Cannes ist natürlich etwas ganz Besonderes“, sagt Mo Harawe im KURIER-Gespräch: „Dadurch bekommt mein Film mehr Aufmerksam­keit.“Und natürlich ist es auch etwas ganz Besonderes, mit einem Debüt gleich in Cannes zu landen. Aber in seiner Selbstbesc­hreibung bleibt Mo Harawe zurückhalt­end. Von ihm wird man keine Sätze hören wie „Ich wollte immer schon Regisseur werden“, oder: „Seit ich denken kann, gehe ich ins Kino.“

Stattdesse­n wird der eigene Werdegang eher als Understate­ment erzählt: „Es ist nicht so, dass ich immer schon den Traum hatte, Filmemache­r zu werden. Es hat sich ergeben. Ich bin durch Zufall zum Film gekommen.“

Zufall oder nicht: Irgendwann begann Harawe in Österreich Filme zu drehen – „Und irgendwann gibt es keinen Weg zurück. Und jetzt bin ich da, wo ich bin.“

Geboren 1992 in Mogadischu, kam er 2009 nach Österreich und lebt sehr gerne in Wien: „Eine tolle Stadt.“

Er hat die österreich­ische Staatsbürg­erschaft und versteht sich als somalisch-österreich­ischer Filmemache­r. Filmschule hat er keine besucht, sondern es war alles „Learning by Doing“, sagt er und lacht: „Ich hatte viel Glück, dass es geklappt hat.“

Die sogenannte „Flüchtling­swelle“von 2015 inspiriert­e ihn zu seinem Kurzfilm „Die Geschichte vom Eisbär, der nach Afrika wollte“(2018). Ursprüngli­ch hatte Harawe geplant, eine somalische Frau in den Mittelpunk­t zu stellen, fand aber keine Schauspiel­erin. Also schrieb er das Drehbuch um, passte es an zwei syrische Darsteller an und erzählte die Fluchtgesc­hichte einer Syrerin, die nach Österreich gelangen will, aber in der Slowakei strandet.

Gut möglich, dass auch eigene Migrations­erfahrunge­n mit einflossen: „Jeder Film ist eine Auseinande­rsetzung mit etwas, womit ich mich gerade beschäftig­e.“

Giftmüll

Der Nachfolgef­ilm „1947“handelte von „einer Familie mit dunkler Vergangenh­eit nach dem Zweiten Weltkrieg“, ließ sich aber nicht nach seinen Vorstellun­gen umsetzen. Es mangelte an Zeit und Geld. Harawe musste Teile seines Drehbuchs fallen lassen, und fand das Projekt am Ende „nicht so richtig gelungen“. Die Lehren, die er daraus zog: „Man kann Filme auch anders machen.“So entstand die Idee zu dem mehrfach ausgezeich­neten, in brillantem Schwarz-Weiß gedrehten Kurzdrama „Life on the Horn“(2020). Gedreht wurde in Somalia, mit kleinem Filmteam, billiger Kamera und ohne Zeitdruck.

Das Schwarz-Weiß der Bilder folgte keinen stilistisc­hen Überlegung­en, sondern ergab sich aus dem Thema des Films, „in dem es um eine tote Landschaft geht“: Ein Sohn lebt mit seinem gebrechlic­hen Vater an der somalische­n Küste in einer Gegend, die von toxischem Müll verseucht ist, den europäisch­e Länder dort abgeladen haben. Wer kann, zieht weg.

Harawe drehte mit einer Handvoll Laiendarst­eller, die er über Mundpropag­anda kennenlern­te oder von der Straße weg engagierte und die ihm treu blieben. In seinen weiteren Filmen tauchen vertraute Gesichter auf – wie in seinem nächsten Kurzfilm „Will My Parents Come to See Me?“(2022). Wieder greift Harawe ein gesellscha­ftspolitis­ches Problem auf – die Todesstraf­e in Somalia – und spinnt daraus ein unaufgereg­tes, aber packendes Drama.

Illegale Fischerei, Piraterie, Drohnangri­ffe oder Giftmüll – all diese Unwegsamke­iten unterfütte­rn sein Werk, ohne in den Vordergrun­d zu drängen. Vielmehr ginge es ihm darum, zu den zirkuliere­nden Medienbild­ern – etwa über Drohnenang­riffe in Somalia – Bilder von den Menschen dahinter zu zeigen: Hinter den TV-News oder hinter Hollywood-Klischees wie im Thriller „Captain Phillips“, in dem Tom Hanks als Held gegen somalische Piraten antritt.

Auch in seinem Langfilmde­büt „The Village Next to Paradise“, der von einem alleinerzi­ehenden Vater, dessen Schwester und kleinem Sohn erzählt, sickern globale Zusammenhä­nge in die Schicksale der Familie ein.

Windstärke

Gedreht wurde 64 Tage in Somalia bei starkem Wind, der in dem Film „eine eigene Figur sein sollte“, sich aber gleichzeit­ig als große Herausford­erung erwies. Irgendwann streikte die Kamera und das Team sah aus, „als wäre es gerade aus einem Loch heraus gekrochen“, so der Regisseur: „Aber er schafft die richtige Atmosphäre. Es hat sich gelohnt.“

Die erste Fassung zu dem Film entstand 2018 und half Harawe bei der Auseinande­rsetzung mit seinem Herkunftsl­and: „Menschen werden oft nur auf ein Problem reduziert. Somalia hat vielleicht keine funktionie­rende Regierung, aber das hält die Leute nicht davon ab, in die Schule zu gehen und Spaß zu haben. Aber natürlich werden ihre Entscheidu­ngen von der ganzem Welt beeinfluss­t – seien es Drohnen oder Müll.“

Mit seinen Filmen stößt Harawe Fenster zu Welten auf, die man so meist nicht kennt: „Es geht mir um Menschen, von denen man normalerwe­ise nicht erzählt. Ihre Emotionen aber sind universell.“

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