Kurier

Populismus: 12 Punkte

Der Song Contest war heuer politisch vergiftet. Und hat vielleicht zum ersten Mal in seiner Geschichte etwas über die Welt gelehrt

- VON GEORG LEYRER

Diesmal also war nicht Österreich, sondern der Song Contest die „kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“, wie Friedrich Hebbel 1862 ausgerechn­et im Operntheat­er zu Wien sprach. Große Oper, das ist der Song Contest sonst auch, ein Musiktheat­erspektake­l, das sich selbst weit weniger ernst nimmt, als es diejenigen tun, die das Wettsingen mit Eifer kritisiere­n. Heuer aber war der meist belanglose „Schas“(Andi Knoll) bittererns­t. Und daher kommen wir in die eigenartig­e Position, vom Song Contest etwas lernen zu können.

Die kleine Welt, die in Malmö geprobt wurde, war nämlich beklemmend einfach gestrickt: Israel böse, und da ist es dann auch okay, wenn man eine 20-jährige Sängerin bedroht, verfolgt und auf der Bühne mobbt. Wenn Künstler einander niedermach­en. Wenn man den Besuchern „Schämt euch“zuruft, obwohl gerade die Scham eines jener antiken Machtinstr­umente ist, an deren Abschaffun­g der Song Contest federführe­nd mitbeteili­gt war.

Der Niederländ­er Joost Klein wiederum ist in dieser kleinen Welt gut. Dass er eine Kamerafrau aggressiv angegangen haben soll, soll da im „Frieden und Toleranz“-Zirkus plötzlich kein Problem sein. Man pocht auf die Gerichtsba­rkeit: So lange Klein nicht verknackt ist, soll er auftreten, wurde nach seiner Disqualifi­zierung suggeriert. Als ob das Strafrecht die einzige Grenze wäre, die unser Zusammenle­ben bestimmt. Das ist veralteter Unsinn.

Der Song Contest zeigte also, wie bereits eroberte Prinzipien sofort fallengela­ssen werden, wenn es in den Kram passt. Wie leicht man in eine Spirale des Destruktiv­en eintritt, wie viel Zuspruch das Zerstören bekommt, wenn es nur ideologisc­h auf der „richtigen“Seite passiert.

Und das ist immer die eigene. Ausgerechn­et der Song Contest zeigte, was in den westlichen Demokratie­n falsch läuft: Immer mehr Menschen verfangen sich in der zerstöreri­schen Sichtweise, dass sie die Welt durchschau­t haben. Die Politiker? Alle schlecht (außer die, die ich wähle). Die Medien? Alle gekauft (außer sie schreiben das, was ich denke). Die Jungen? Alle verwöhnt! Die Alten? Alles Problembär­en und Problembär­innen. Zu Israel und Palästina und Russland und Ukraine und Gendern und Identität, zum Nachbarn und den Zugereiste­n hat jeder längst seine Meinung, die man nicht hinterfrag­t, sondern sich bei jeder Gelegenhei­t im Internet bestätigen lässt.

Die demokratis­che Bevölkerun­g verfällt so in eine giftige Selbstgefä­lligkeit, die alle Antworten zu kennen glaubt. Und die Grautöne und Ambivalenz­en nur als Zeichen der Schwäche sieht. Nur: Die Welt ist nicht so einfach. Wer sich simple Antworten gönnt, wird diese nur im politische­n Populismus wiederfind­en. Und wohin der führt, sieht man überall. Zuletzt besonders deutlich in Malmö.

Newspapers in German

Newspapers from Austria