Kurier

Operation Puschkin

In ganz Europa werden Erstausgab­en von Russlands Nationaldi­chter gestohlen. Der Hintergrun­d ist mysteriös, eine Verbindung zu Putins Kulturkrie­g liegt nahe

- VON EVELYN PETERNEL

Begonnen hat alles kurz nach Kriegsbegi­nn, und Zufall war das nicht. Während die Welt auf Putins Panzer starrte, stellten sich an der Unibibliot­hek von Tartu in Estland zwei Männer vor: Ukrainer seien sie, vor den Bomben geflohen, eine Geschichte, die man damals oft hörte. Danach baten die beiden auf Russisch um zwei Erstausgab­en von Puschkin und Gogol. Die wollten sie auf Zensur während der Zarenzeit hin studieren, für ein Stipendium in den USA.

Vier Monate später entdeckten die Bibliothek­are, dass die Bücher ersetzt worden waren. Durch Kopien, so perfekt, wie sie nur Meisterfäl­scher anfertigen konnten.

Puschkin als Waffe

Was sich in Tartu abspielte, erlebten auch Bibliothek­are in Berlin, Warschau, Paris oder Helsinki. Laut Europol wurden mittlerwei­le 170 Bücher in elf Ländern gestohlen, das Vorgehen der Diebe war fast immer gleich: Interessie­rte begutachte­ten Werke von russischen Klassikern „aus angeblich akademisch­em Interesse, maßen die Bücher sorgfältig aus und machten Fotos“, heißt es bei Europol. Zurück gaben sie dann Kopien von „außergewöh­nlicher Qualität“– fast immer unbemerkt.

Wer hinter dieser Serie an Diebstähle­n steckt, darüber gibt Europol keine Auskunft. Zwar konnte man neun Täter verhaften, fast alle Georgier, doch die dürften kleine Fische sein. Vermutet wird, dass die Hintermänn­er in Moskau sitzen, und dass die Diebstähle eine geopolitis­che Komponente haben. Denn Puschkin, Gogol oder Lermontow sind in Russland nicht nur berühmte Dichter, sie sind Nationalhe­ilige – und spätestens seit Putins Krieg Waffen der Politpropa­ganda.

Das gilt vor allem für Alexander Puschkin. Der große Dichter des 19. Jahrhunder­ts ist den Russen viel mehr als Shakespear­e den Briten oder Goethe den Deutschen, er ist überlebens­groß. Auch, weil er dazu gemacht wurde: Er hat nicht nur Russisch zur Nationalsp­rache gemacht, das damit die verhasste Elitenspra­che Französisc­h ablöste, sondern legte nach Lesart der Politik auch den Grundstein zur „russischen Identität“.

Mit diesem ideologisc­hen Konstrukt begründet Putin auch seine Kriege: In den okkupierte­n Zonen der Ukraine wurden bewusst PuschkinPl­akate aufgehängt, Außenminis­ter Lawrow untermalt seine Anti-West-Tiraden gern mit Purschkin-Zitaten. Putin lässt den Dichter so zur Propaganda­waffe verkommen.

Den Preis der PuschkinOr­iginal-Bücher, von denen es wegen der kurzen Lebensdaue­r des Dichters ohnehin nur wenige gibt, hat das massiv steigen lassen. Naheliegen­d wäre deshalb, dass die Werke quasi als „Rückholakt­ion“nach Russland gebracht wurden – wohl mit staatliche­r Hilfe aus Moskau. Ein paar der Erstausgab­en kamen nämlich bereits kurz nach dem Diebstahl in Russland unter den Hammer, teils um mehr als 250.000 Euro.

Dieses Tempo sei ohne Hilfe der Behörden nur schwer vorstellba­r, sagte der polnische Puschkin-Experte Hieronim Grala der AFP: „Für mich ist klar, dass die gesamte Aktion zentral von Russland aus organisier­t wurde.“

Österreich ist gewarnt

Beweise für eine Beteiligun­g des Kreml gibt es aber nicht, zumindest nicht öffentlich. Möglich scheint auch, dass findige Diebe die Situation einfach ausnutzten: Offizielle Verkäufe aus Europa nach Russland sind wegen der Sanktionen nahezu unmöglich, das lässt den Schattenma­rkt wachsen. Und weil Putin Puschkin als Waffe einsetzt, steigt das Interesse von Sammlern – und damit auch die Preise.

In Österreich ist man deshalb gewarnt. „Wir wurden im Jänner vom Landeskrim­inalamt informiert“, sagt Johanna Rachinger, Generaldir­ektorin der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek zum KURIER. Gestohlen sei bisher aber nichts worden, Stichprobe­n hätten nichts ergeben.

Diebstähle in dieser Dimension habe die Nationalbi­bliothek jedenfalls noch nicht erlebt, sagt sie. Wird sie wohl auch nicht, denn laut Rachinger seien bereits alle möglichen Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen worden. Welche, sagt man freilich nicht. Ebenso wenig, wie es eine Antwort darauf gibt, ob überhaupt ein wertvolles Puschkin-Original in den Beständen ist. Das nämlich wäre eine Einladung an die Diebe.

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Eine perfekte Kopie von Puschkins „Der Gefangene im Kaukasus“. Das Original wurde in Warschau gestohlen

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