Genug gesagt
Die kleinste literarische Form boomt. Etablierte Autorinnen wie Bettina Balàka stellen neue Gedichtbände vor und mit der Salzburgerin Marianne Jungmaier hat die Branche einen Shootingstar
Sie schafft es, auf kleinstem Raum das Wesentliche auszudrücken. In einer Zeit, wo jeder behauptet, keine solche zu haben, und schon gar nicht zum Lesen, müsste die zeitökonomische Literatur-Kurzform Lyrik eigentlich boomen. Das tut sie auch, und zwar abseits großer medialer Rezeption. Gedichte werden in den meisten Medien selten besprochen, Lyrik gilt als stiefmütterlich behandelte Gattung. Und doch ist die Szene quicklebendig.
Das derzeit laufende Lyrikfestival „Dichterloh“beschäftigt sich mit Sprachund Erfahrungshintergründen internationaler wie heimischer Lyriker. Bei dem vom Salzburger Autor Michael Hammerschmid kuratierten Festival lesen unter anderem Dichter und Dichterinnen aus Syrien, dem Iran, Österreich und Deutschland. Die Schriftstellerin Bettina Balàka stellt ihren soeben bei Haymon erschienenen Band „Die glücklichen Kinder der Gegenwart“vor. Die Salzburgerin beschäftig sich darin mit Mensch und Natur, mit Traumwelten und Realitäten. Graffitis und der Twin-CityLiner beim Wiener Schwewasser denplatz kommen darin ebenso vor wie tanzende Maori-Könige. Melancholisch, stellenweise dystopisch, manchmal auch sanft-heiter – etwa im Gedicht „Die Geschenke sind ausgepackt“, in dem eine Katze „Tag für Tag“aufs Neue in der Marderfalle sitzt – „Sie lernt nicht dazu.“
Das Festival „Dichterloh“läuft noch bis 21. Mai in der Alten Schmiede in Wien.
An mehreren Veranstaltungsorten, unter anderem in Innsbruck, präsentiert das Literaturfestival W:ORTE von 28. Mai bis 12. Juni eine Werkschau der Gegenwartslyrik in Lesungen und PoesieMusik-Performances.
Zeit und Raum
Unabhängig von Zeit und Raum funktioniert „poesiegalerie“, eine Online- und Offline-Plattform für zeitgenössische Dichtkunst, die der Vorarlberger Lyriker Udo Kaverantwortet. Besprechungen, Autorenporträts, Lektüreempfehlungen sowie Vor-und Rückschau auf das jährliche Poesiegalerie-Festival sind hier zu finden.
Besonders lesenswert sind etwa die „Fragebogen“, in denen Autorinnen und Autoren Fragen zum Schreiben beantworten. Die Fragen sind originell und klug, etwa, wann man als Dichter sicher ist, dass ein Gedicht fertig ist. Eindeutige Antworten gibt es darauf natürlich nicht.
Lauf der Dinge
Als wirklicher Shootingstar der Lyrikszene gilt derzeit die Salzburger Autorin Marianne Jungmaier. Die 1985 geborene Kulturwissenschafterin und Absolventin der Leondinger Literaturakademie hat in der Vergangenheit neben zwei Romanen und einem Erzählband zwei Lyrikbände veröffentlicht. Nun erschien mit „Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens“beim Salzburger Otto-MüllerVerlag eine Sammlung von zwölf Naturgedichten, die die Kritik auf Anhieb begeisterte.
Nachvollziehbarerweise. Auch sie schreibt vom Dialog zwischen Mensch und Natur. Von Sonne und Mond, von Birken und Haselsträuchern und von Blicken über die Landschaft.
Berührend und Zuversicht gebend ist etwa das Gedicht „Wasserlauf der Dinge“, das mit dem „50.000 Jahre alten Lehm unter der Sohle“beginnt und mit den Worten „Lauf der Dinge Unbekanntem entgegen“endet.