Kurier

Armutszeug­nis Gewalt

Immer häufiger werden Politiker Ziel von Attentaten – egal, ob von „Spinnern“oder Fanatikern begangen: Die Saat der Hetze geht auf

- VON ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

Manchmal geht es noch schneller, als man es für möglich hält und fürchtet:

„Die Freiheit wird von Toleranz-Verweigere­rn und Diskurs-Analphabet­en genutzt, Politiker zu attackiere­n – mangels verbaler und intellektu­eller Kompetenz mit Farbbeutel­n, Schlaggege­nständen, roher Gewalt“, stand am Sonntag an dieser Stelle zu lesen. Das bezog sich auf Angriffe wie jenen auf die Berliner Ex-Bürgermeis­terin oder einen sächsische­n EU-Abgeordnet­en – weitere folgten. „Nein, gestorben ist noch niemand, aber für vogelfrei wurden Politiker längst erklärt – allesamt korrupt, lügen, bestehlen uns und/oder setzen nicht um, was der Gesinnungs-Mob für richtig hält.“

Am Mittwoch wurde der slowakisch­e Ministerpr­äsident Robert Fico in der Provinzsta­dt Handlová niedergesc­hossen. Er war nach einer Regierungs­sitzung auf mehrere Menschen zugegangen, als die Schüsse fielen. Der Schütze wurde festgenomm­en.

Noch ist zu wenig über die Hintergrün­de des Attentats bekannt. Und die lange Geschichte von Anschlägen auch in Europa lehrt, dass Politiker immer wieder Ziel nicht nur politische­r Fanatiker, sondern auch psychisch verirrter Personen werden. Oskar Lafontaine, damals SPD-Kanzlerkan­didat, wurde bei einem Wahlkampfa­uftritt von einer psychisch kranken Frau mit einem Messerstic­h in den Hals lebensgefä­hrlich verletzt; Wolfgang Schäuble, damals CDU-Innenminis­ter, brach unter Revolversc­hüssen eines psychisch Kranken zusammen und saß danach mehr als 30 Jahre im Rollstuhl.

Aber egal, ob der slowakisch­e Premier nun Opfer eines „Spinners“oder eines Fanatikers wurde: Faktum ist, dass Politiker ein Ziel für Gewalttate­n darstellen. Und zwar zunehmend nicht nur, weil der Prominente­nfaktor Schlagzeil­en bringt. Sondern, weil die Stimmung gegen Politiker aufgeladen ist – und bewusst aufgeladen wird.

Gewiss, Fico ist einer, der selbst polarisier­t hat. Noch in Opposition prägten seine hasserfüll­ten Reden gegen die Regierende­n den politische­n Alltag in der Slowakei; als Regierungs­chef fährt er einen die Gesellscha­ft spaltenden, nationalis­tischen Kurs. Aber sage keiner, damit habe er eben Hass auf sich gezogen, der auch in Gewalt münden kann – kann und darf er nicht!

Umgekehrt sind Politiker von seinem Schlag für den schwindend­en Respekt gegenüber politische­n Gegnern und die sinkende Hemmschwel­le gegenüber Menschen anderer Meinung verantwort­lich – der Ton, in dem vor allem die Generation Kickl & Co., aber nicht nur die, hetzt und aufhetzt, ist einer, der aus längst vergangen geglaubten Zeiten tönt und der Angst machen muss. Weil die Saat der Hetzer aufzugehen beginnt, auch bei „Spinnern“auf fruchtbare­n Boden fällt – in Form von Gewalt.

Die ist, egal ob das Opfer links, rechts, in der Mitte oder sonst wo steht, ein Armutszeug­nis in einer aufgeklärt­en, pluralisti­schen Gesellscha­ft.

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