Wenn Schauspieler aus ihren Rollen fallen – und Abschied von der Welt im Kino
Eröffnung mit Meryl Streep und Komödie von Quentin Dupieux
Cannes. Tränenreich wurden die 77. Filmfestspiele in Cannes eröffnet. Praktisch alle auf der Bühne der GalaShow weinten vor Rührung – von Jury-Präsidentin Greta Gerwig angefangen bis zur Empfängerin der Goldenen Ehrenpalme, Meryl Streep.
Ab da konnte es nur noch lustiger werden: Zur Eröffnung hatte sich Cannes-Chef Thierry Fremaux das neue Werk von Quentin Dupieux, dem Spaßvogel unter den französischen Filmemachern, ausgesucht. Der Musiker und Regisseur präsentierte mit „Der Zweite Akt“eine schräge Komödie mit französischem Staraufgebot und sorgte für (sporadisches) Gelächter.
Louis Garrel, Léa Seydoux und Vincent Lindon spielen Schauspieler, die Schauspieler mitten in den Dreharbeiten zu einem zweitklassigen Film spielen. Garrel tritt als Typ auf, der seine anhängliche Freundin (Léa Seydoux) an einen Freund abtreten will. Dieser ist misstrauisch: „Ist sie hässlich?“Den Vogel schießt schließlich ein Statist in dem Film ab, dessen Aufgabe lediglich darin besteht, Rotwein in vier Gläser zu gießen, der aber mit zitternder Hand den Tisch versaut.
Die angestrebte Komik entsteht auf mehreren MetaEbenen, die Dupieux in seiner Komödie einzieht. Der Sturz der Schauspieler aus ihren Rollen provoziert
Selbstentblödung, politisch unkorrekte Reden und scheinheilige Toleranz („Vorsicht, sonst werden wir gecancelt!“). Dupieux schlägt überraschende Volten und zieht dabei dem Publikum den Boden unter den Füßen weg. Seine (selbst-)ironische Erzählweise provoziert zwar Pointen, verschleiert aber geschickt die eigene Haltung des Regisseurs.
Protestverbot Eindeutige Positionen hingegen bezieht heuer das Festival in Cannes. Während vor zwei Jahren noch der ukrainische Präsident Selenskij bei der Eröffnung live zugeschaltet wurde, sind heuer alle Formen von politischem Aktivismus verboten. Weder darf Selenskij auftreten, noch werden Proteste gegen den Gaza-Krieg gestattet: „Wir wollen das Festival frei von Polemik halten. Die ganze Aufmerksamkeit gilt dem Kino“, verkündete Frémaux. Ob sich die schwelende Metoo-Debatte innerhalb der französischen Filmindustrie an diese Vorgabe halten wird, bleibt abzuwarten.
Vermächtnis
Ganz dem Kino hingegen widmete sich der berührende Film der mittlerweile verstorbenen Filmemacherin Sophie Fillières: Die Regisseurin konnte ihre traurige Komödie „This Life of Mine“nicht mehr fertig erzählen. Es waren ihre Kinder Agathe und Adam Bonitzer, die das Werk der Mutter vollendeten.
Agnes Jaoui spielt eine Frau Mitte 50 namens Barbie, die mit ihrer Umgebung auf Kollisionskurs geht. Getrennt vom Ehemann und ihren Kindern, entstehen sowohl Tragik als auch Komik durch ein Gefühl der Entfremdung, das sich zwischen Barbie und der jungen Generation, aber auch der Welt überhaupt, einschleicht. Doch trotz dieser schmerzlichen Erfahrungen gerät „This Life of Mine“zu einer Liebeserklärung der sterbenden Sophie Fillières an die Schönheit des Lebens, aufgehoben im Vermächtnis des Kinos.