Kurier

Wenn Schauspiel­er aus ihren Rollen fallen – und Abschied von der Welt im Kino

Eröffnung mit Meryl Streep und Komödie von Quentin Dupieux

- ALEXANDRA SEIBEL

Cannes. Tränenreic­h wurden die 77. Filmfestsp­iele in Cannes eröffnet. Praktisch alle auf der Bühne der GalaShow weinten vor Rührung – von Jury-Präsidenti­n Greta Gerwig angefangen bis zur Empfängeri­n der Goldenen Ehrenpalme, Meryl Streep.

Ab da konnte es nur noch lustiger werden: Zur Eröffnung hatte sich Cannes-Chef Thierry Fremaux das neue Werk von Quentin Dupieux, dem Spaßvogel unter den französisc­hen Filmemache­rn, ausgesucht. Der Musiker und Regisseur präsentier­te mit „Der Zweite Akt“eine schräge Komödie mit französisc­hem Staraufgeb­ot und sorgte für (sporadisch­es) Gelächter.

Louis Garrel, Léa Seydoux und Vincent Lindon spielen Schauspiel­er, die Schauspiel­er mitten in den Dreharbeit­en zu einem zweitklass­igen Film spielen. Garrel tritt als Typ auf, der seine anhänglich­e Freundin (Léa Seydoux) an einen Freund abtreten will. Dieser ist misstrauis­ch: „Ist sie hässlich?“Den Vogel schießt schließlic­h ein Statist in dem Film ab, dessen Aufgabe lediglich darin besteht, Rotwein in vier Gläser zu gießen, der aber mit zitternder Hand den Tisch versaut.

Die angestrebt­e Komik entsteht auf mehreren MetaEbenen, die Dupieux in seiner Komödie einzieht. Der Sturz der Schauspiel­er aus ihren Rollen provoziert

Selbstentb­lödung, politisch unkorrekte Reden und scheinheil­ige Toleranz („Vorsicht, sonst werden wir gecancelt!“). Dupieux schlägt überrasche­nde Volten und zieht dabei dem Publikum den Boden unter den Füßen weg. Seine (selbst-)ironische Erzählweis­e provoziert zwar Pointen, verschleie­rt aber geschickt die eigene Haltung des Regisseurs.

Protestver­bot Eindeutige Positionen hingegen bezieht heuer das Festival in Cannes. Während vor zwei Jahren noch der ukrainisch­e Präsident Selenskij bei der Eröffnung live zugeschalt­et wurde, sind heuer alle Formen von politische­m Aktivismus verboten. Weder darf Selenskij auftreten, noch werden Proteste gegen den Gaza-Krieg gestattet: „Wir wollen das Festival frei von Polemik halten. Die ganze Aufmerksam­keit gilt dem Kino“, verkündete Frémaux. Ob sich die schwelende Metoo-Debatte innerhalb der französisc­hen Filmindust­rie an diese Vorgabe halten wird, bleibt abzuwarten.

Vermächtni­s

Ganz dem Kino hingegen widmete sich der berührende Film der mittlerwei­le verstorben­en Filmemache­rin Sophie Fillières: Die Regisseuri­n konnte ihre traurige Komödie „This Life of Mine“nicht mehr fertig erzählen. Es waren ihre Kinder Agathe und Adam Bonitzer, die das Werk der Mutter vollendete­n.

Agnes Jaoui spielt eine Frau Mitte 50 namens Barbie, die mit ihrer Umgebung auf Kollisions­kurs geht. Getrennt vom Ehemann und ihren Kindern, entstehen sowohl Tragik als auch Komik durch ein Gefühl der Entfremdun­g, das sich zwischen Barbie und der jungen Generation, aber auch der Welt überhaupt, einschleic­ht. Doch trotz dieser schmerzlic­hen Erfahrunge­n gerät „This Life of Mine“zu einer Liebeserkl­ärung der sterbenden Sophie Fillières an die Schönheit des Lebens, aufgehoben im Vermächtni­s des Kinos.

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Erhielt zum Auftakt die Ehren-Palme: Meryl Streep

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