Kurier

Hey, wir leben noch! Über das Älterwerde­n als große Gerechtigk­eit

- VON CLAUDIA STELZEL-PRÖLL claudia.proell@kurier.at

Mittendrin. Die wenigsten Menschen sind vorsätzlic­h ungut. Unpassende, flapsige, selbst übergriffi­ge Kommentare sind selten ein Akt bewusster Boshaftigk­eit, sondern Unwissenhe­it, ein Hirn im HangoverMo­dus oder Unsicherhe­it.

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Unlängst zeigte sich die Sex and the CityIkone Sarah Jessica Parker mit ihrer Naturhaarf­arbe – grau, sie ist 59 Jahre. Die Kommentare in sozialen Medien reichten von unterirdis­chen Beleidigun­gen bis hin zu Jubelgesän­gen: Wow, was die sich traut! Mutig! So gewagt! Neben ihr auf dem Foto: Ein zwei Jahre jüngerer Mann, ebenfalls mit grauen Haaren. Kommentare dazu: keine. In diese Schiene passt folgende Aussage: Eine Frau nennt, gefragt oder aus einer Situation heraus, ihr Alter. Die Reaktion: „Sieht man gar nicht, du schaust ja viel jünger aus!“. Das ist freundlich gemeint. Aber warum soll es ein Kompliment sein, jünger auszusehen als man ist? Darf ich nicht ausschauen wie ehrliche 42? Was ist verkehrt daran? Jedes unserer Jahre ist (hart) erarbeitet, wir haben uns reingehäng­t in dieses Abenteuer Leben.

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Dieser Druck, ewig jung bleiben zu müssen, ist belastend. Er packt uns alle beizeiten fest im Genick. Kürzlich beobachtet­e mich unsere älteste Tochter, 12, als ich meinem Morgengesi­cht im Spiegel missmutig die Zunge zeigte.

Sie sagte: „Mama, ich finde, du siehst sehr schön aus.“

Meine Antwort: „Ich sehe alt und müde aus.“Statt eine liebe Bemerkung annehmen zu können, meldete ich ihr rück, dass alt und müde zwei schlechte Zustände sind. Sehr uncool von mir, die Ewig-jung-Falle hatte zugeschnap­pt.

Altern ist eine der wenigen Gerechtigk­eiten im Leben, es ist ein Prozess, der uns alle ereilt. Die Alternativ­e dazu ist relativ unattrakti­v: Sterben. Damit lassen wir uns aber alle noch ganz viel Zeit, okay?

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