Kurier

Rückkehr eines Geschasste­n

Mode. Wie sich John Galliano nach Rassismus-Eklats zurück an die Spitze kämpfte

- VON JULIA PFLIGL

Früher einmal liebte er den extravagan­ten Auftritt. Nach jeder Schau trat John Galliano auf den Laufsteg und ließ sich in einem eigens angefertig­ten Kostüm – mal Pirat, mal Torero – beklatsche­n. Anders vergangene Woche auf der „Met Gala“in New York: Auf dem grünen Teppich, der die berühmten Treppen hinauf ins Museum führte, fehlte von dem Designer jede Spur. Erst später offenbarte ein Foto mit Kim Kardashian, dass Galliano backstage zugegen war. Er hatte lediglich das Blitzlicht gemieden.

In Gestalt seiner Kreationen war der 63-Jährige hingegen sehr präsent. Nicht nur Musiker Bad Bunny und die Schauspiel­erin Gwendoline Christie kamen in Galliano-Designs, sondern auch Social-Media-Ikone Kim Kardashian. Und dann war da Zendaya, CoGastgebe­rin und meistfotog­rafierte Frau des Abends: Sie führte nicht nur ein, sondern zwei dramatisch­e Galliano-Looks aus. „Der wahre Gewinner der Met Gala“, konstatier­te die Washington Post nach dem Event, „war John Galliano“. Das Magazin Elle schrieb vom „Jahr des John Galliano“.

Aufstieg

Derartige Schlagzeil­en schienen vor 13 Jahren undenkbar. Aufgewachs­en in einer aus Gibraltar eingewande­rten Londoner Arbeiterfa­milie, schaffte es der schüchtern­e John Galliano an eine der renommiert­esten Modeschule­n der Welt. Mit Mitte 30 übertrug ihm Bernard Arnault, Chef des Luxuskonze­rns LVMH (zu dem u. a. Louis Vuitton und Céline gehören), die Verantwort­ung für Givenchy. Dort übertraf er die Erwartunge­n und wechselte nur zwei Jahre später an die Spitze von Dior.

Galliano, das „Enfant terrible“, das eitle Genie, avancierte zum Liebling der Stars, entwarf revolution­äre Red-Carpet-Looks wie den seitenverk­ehrten Hosenanzug von Celine Dion bei den Oscars oder das „Chartreuse“-Kleid von Nicole Kidman. Seine Haute-Couture-Schauen und pompösen, kostümhaft­en Kreationen gerieten zum Spektakel. In Spitzenzei­ten, so Galliano, habe er pro Jahr um die 32 Kollektion­en entworfen.

Fall

Dann kam das Jahr, in dem sich alles ändern sollte. Im Februar 2011, kurz vor der Modewoche, tauchte ein Video auf, das im Dezember davor von zwei Frauen gefilmt worden war. Galliano sitzt in einer Pariser Bar, betrunken, und wirft mit antisemiti­schen Hasstirade­n um sich. Später kam heraus, dass er auch einen Mann rassistisc­h angepöbelt hatte. Der Skandal war perfekt – der einstige Wunderknab­e musste bei Dior gehen und sein eigenes Label als Kreativdir­ektor verlassen. Ein Gericht verurteilt­e ihn später zu einer Strafzahlu­ng von 6.000 Euro. Der erlittene Imageschad­en wog wesentlich schwerer.

Die neue Dokumentat­ion „High & Low“erzählt, wie es Galliano nach seinem Fall ergangen ist. Er machte einen Entzug, sprach mit einem Rabbi und Überlebend­en der Schoah. Der schottisch­e Filmemache­r Kevin Macdonald beleuchtet auch, wie es so weit kommen konnte. In seiner Kindheit litt John, der früh erkannte, dass er schwul war, unter dem strengen Vater. Am Modeolymp angekommen, befeuerten starker Druck und der frühe Tod seines Vertrauten Steven Robinson seine Alkoholsuc­ht. Kurz danach nahm sich Alexander McQueen, das zweite Designgeni­e aus Gallianos Generation, 40-jährig das Leben.

Dass er es aus der Versenkung schaffte, liegt auch an der Loyalität prominente­r Freundinne­n. Als alle gegen ihn waren, ließ ihn Kate Moss ihr Brautkleid entwerfen. Auch Charlize Theron und die mächtige Anna Wintour hielten zu ihm. 2014 heuerte er bei Maison Margiela an, jenem Luxushaus, das für die Met-Roben von Zendaya und Kim Kardashian verantwort­lich zeichnete. Im Jänner lieferte Galliano eine gefeierte Kollektion ab. Nur den großen Auftritt überlässt der Geläuterte heute anderen. In der Doku sagt er: „Ich werde mein Leben lang mit Heilung beschäftig­t sein.“

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