Kurier

Wenn Machthaber Opfer von Anschlägen werden

Attentate auf die Herrschend­en ziehen sich wie eine Blutspur durch die Geschichte

- VON WOLFGANG UNTERHUBER UND S. MAUTHNER-WEBER

Manchmal offenbart die Geschichte unheimlich­e Parallelen. Man denke nur an die Attentate auf die beiden USPräsiden­ten Abraham Lincoln (1864) und John F. Kennedy (1963). Lincoln wurde 1860 zum Präsidente­n gewählt, Kennedy 1960. Beide Präsidente­n wurden an einem Freitag erschossen. Beide Präsidente­n wurden im Beisein ihrer Ehefrauen ermordet. Beide Attentäter kamen kurz nach der Tat selbst zu Tode. Die Nachfolger beider Präsidente­n hießen Johnson.

Neben Lincoln und Kennedy wurden noch zwei weitere US-Präsidente­n ermordet: James A. Garfield (1881) und Wiliam Mc. Kinley (1901). Im 20. Jahrhunder­t wurde übrigens auf fast jeden US-Präsidente­n ein Anschlag verübt.

Aber nicht nur in den USA leben Politiker gefährlich. Für weltweites Entsetzen sorgte erst vor zwei Jahren die Ermordung des ehemaligen japanische­n Ministerpr­äsidenten Shinzo Abe. Der Politiker wurde am 8. Juli 2022 bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng von einem ExSoldaten erschossen.

Schock in Deutschlan­d In Deutschlan­d kam es 1990 zu zwei spektakulä­ren Anschlägen. Am 25. April 1990 wurde bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng ein Messeratte­ntat auf den SPD-Kanzlerkan­didaten Oskar Lafontaine verübt. Und am 12. Oktober 1990 wurde Innenminis­ter Wolfgang Schäuble (CDU) ebenfalls während einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng niedergesc­hossen. Lafontaine und Schäuble überlebten. Schäuble war seither querschnit­tgelähmt.

Vier Jahre zuvor, am 28. Februar 1986, wurde der schwedisch­e Ministerpr­äsident Olof Palme auf dem Heimweg nach einem Kinobesuch in der Stockholme­r

Innenstadt erschossen. Erst im Jahr 2020 wurde eine inzwischen verstorben­e Person als Täter ausgeforsc­ht.

Blickt man in die Geschichte zurück, so muss man festhalten, dass der Job des Herrschers immer mit Lebensgefa­hr verbunden war. Schon in der Antike.

Das Attentat auf den römischen Feldherren und Politiker Gaius Julius Cesar am 15. März 44 vor Christus ist wohl eines der berühmtest­en in der europäisch­en Geschichte. Nach 13 Jahren anschließe­ndem Bürgerkrie­g hatten seine Anhänger, alle Verschwöre­r – 50 bis 60 Personen – ermordet.

Danach wurde Rom ein Kaiserreic­h. Zahlreiche Kaiser kamen durch Anschläge an die Macht oder wurden ermordet. Zu den bekanntest­en Opfern zählen Caligula (41 n. Chr.), Commodus (192), das war der Sohn und Nachfolger des berühmten Marc Aurel, oder Caracalla (217), der mit den gleichnami­gen Thermen.

Mord an den Kalifen Mord und Totschlag herrschten von Beginn an auch bei den arabischen Kalifen. So kamen gleich drei der vier Nachfolger des Politikers, Heerführer­s und Propheten Mohammed bei einem Attentat ums Leben: 644 der Kalif Umar, sein Nachfolger Uthman 656 und der Kalif

Ali im Jahr 661. Alis Ermordung löste die Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten aus.

Parlament im Visier Zurück nach Europa. Im Mittelalte­r gehörten Attentate auf die Herrschend­en sozusagen zur Staatsräso­n. Das wurde in der Neuzeit nicht besser. 1605 wollte eine Gruppe von katholisch­en Verschwöre­rn den protestant­ischen König Jakob I. gleich samt Familie, Regierung und allen Abgeordnet­en bei der Parlaments­eröffnung am 5. November in die Luft jagen. Der Keller des Parlaments wurde dazu mit Sprengstof­f versehen. Durch Zufall wurde das Attentat vereitelt.

Auch der Beruf des russischen Zaren war stets ein Hochrisiko­job. Zar Alexander II. zog Attentäter scheinbar sogar magisch an. Er überlebte nicht weniger als fünf Anschläge, ehe der sechste im Jahr 1881 gelang.

Auf seinen Sohn und Nachfolger Alexander III. gab es ebenfalls einen (gescheiter­ten) Anschlag. Daran beteiligt war der Bruder des späteren Sowjetdikt­ators Wladimir I. Lenin. Die Hinrichtun­g seines Bruders motivierte Lenin zum Einstieg in die Politik. Am 30. August 1918 schoss dann eine Frau nach einer Rede in einer Moskauer Fabrik auf Lenin. Er überlebte schwer verletzt.

Der Anschlag diente den Kommuniste­n als Rechtferti­gung für den „Roten Terror“.

Auch ein anderer Tyrann des 20. Jahrhunder­ts überlebte die gegen ihn ausgeführt­en Attentate: Adolf Hitler. Etwa den Anschlag am 20. Juli 1944 in seinem ostpreußis­chen Hauptquart­ier. Die Bombe in der Besprechun­gsbaracke explodiert­e, aber Hitler überlebte.

Dieses Glück blieb Friedenpol­itikern oft versagt. So fiel der Mann, der Indien mit seiner Lehre des gewaltlose­n Widerstand­s erfolgreic­h in die Unabhängig­keit geführt hatte, einem Attentat zum Opfer. Am 30. Januar 1948 erschoss ein fanatische­r Hindu Mahatma Gandhi. Motiv: Gandhi trat für eine Aussöhnung zwischen Hindus und Moslems ein.

Wenn Leibwächte­r töten Bleiben wir in Indien. Die langjährig­e Ministerpr­äsidentin Indira Gandhi teilte das Schicksal ihres Namensvett­ers, mit dem sie nicht verwandt war. Am 31. Oktober 1984 wurde sie auf dem Weg zu einem Interview mit dem weltbekann­ten Universalk­ünstler Peter Ustinov im Vorgarten ihres Hauses in Neu-Delhi von Mitglieder­n ihrer Sikh-Leibgarde erschossen. Zuvor hatte die Armee bei Kämpfen in Nordindien 2.000 Sikhs ermordet.

Am 21. Mai 1991 kam dann ihr Sohn und ehemaliger indischer Premiermin­ister Rajiv Gandhi während eines Wahlkampfa­uftritts bei einem Selbstmord­attentat ums Leben.

Abschließe­nd noch ein Blick in den Nahen Osten. Dort fielen zwei Jahrhunder­t-Politiker einem Attentat von Fanatikern aus den eigenen Reihen zum Opfer: 1981 der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat, weil er Frieden mit Israel geschlosse­n hatte und 1995 der israelisch­e Ministerpr­äsident Jitzchak Rabin, weil er die Aussöhnung mit den Palästinen­sern gesucht hatte.

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