Kurier

„Wir müssen wieder miteinande­r reden“

Top-Diplomatin. Ex-EU-Kommissari­n Benita Ferrero-Waldner meint, die Europäer müssten sich auf eine „gefährlich­ere Welt“einstellen. Dennoch hofft sie auf die Macht der Diplomatie

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Die frühere Außenminis­terin verteidigt die schwarz-blaue Regierung Schüssel, wegen der ihr einst in Brüssel der Handschlag verweigert wurde, was sie bis heute „als lächerlich“empfindet.

KURIER: Warum ist die Skepsis gegenüber der EU so hoch in Österreich? Benita Ferrero-Waldner: Weil wir in einer schwierige­n Zeit leben. Es gibt den Nahost- und den Ukraine-Krieg mit Konsequenz­en wie steigende Energiekos­ten, höhere Lebensmitt­elpreise und insgesamt eine hohe Inflation, was die Bürger in ihren Geldtasche­n spüren. Die Pandemie samt Impfung hat polarisier­t. Und natürlich ist die Migration ein Riesenthem­a. Das verunsiche­rt die Menschen enorm. Dazu kommen noch die vielen EU-Regeln. Sie eins zu eins umzusetzen, ist für die Wirtschaft sehr teuer.

Es scheint ohnehin einen Meinungsum­schwung in der EU zu geben: Man erkennt, dass die Regularien zu streng waren.

Ja, aber dafür ist es sehr spät. Natürlich muss die Wirtschaft die grüne Transforma­tion Schritt für Schritt durchführe­n – aber es geht nicht mit Hauruckmet­hoden. Wir stehen in Konkurrenz mit Amerikaner­n, Chinesen und vielen anderen. Die Europäisch­e Union muss die Frage der Wettbewerb­sfähigkeit ernster nehmen.

Und wie kann sich die Europäisch­e Union besser vor unkontroll­ierter, illegaler Einwanderu­ng schützen?

Einerseits müsste es bessere Abkommen mit den Herkunftsl­ändern der Asylwerber geben. Anderersei­ts müsste an den Grenzen – oder schon davor – geprüft werden, ob jemand überhaupt ein Asylrecht hat.

Warum wurde das nicht längst gemacht?

Erinnern Sie sich, wie schwierig es war, hier einen Kompromiss zu finden? Das Thema war und ist Sprengstof­f. Man sollte aber das jetzt geschnürte Paket nicht kleinreden. Es tut sich langsam etwas.

Der Zuzug wird nicht abreißen.

Es wird immer eine Bewegung geben, aber nicht mehr in dieser Form, da bin ich vorsichtig optimistis­ch. Abstimmung mit den Herkunftsl­ändern über legale Migration ist notwendig, weil wir ja Arbeitskrä­fte brauchen.

In Ihrer Zeit als Außenminis­terin der schwarz-blauen Regierung Schüssel hat die EU (nie wirklich beschlosse­ne) Sanktionen gegen Österreich ausgesproc­hen. Ist das auch ein Grund für die EU-Skepsis?

Das ist längst vergessen. Wenn ich bei Vorträgen von Sanktionen rede, haben viele ein „Aha-Erlebnis“. Ich erinnere mich an den 14. 2. 2000, erster Außenminis­terrat nach den Sanktionen. Es war klar, dass man mir nicht die Hand geben würde, daher habe ich mich „bewaffnet“mit Dokumenten unter einem Arm und einer Tasche am anderen. Daher konnte mir gar niemand die Hand geben. Erst dann habe ich gesehen, dass fast niemand im Saal saß. Die haben sich vor dieser Situation

gefürchtet und sind erst peu à peu hereingetr­öpfelt. Ich habe das immer als lächerlich empfunden, daher habe ich es auch ausgehalte­n.

Hat sich wer später entschuldi­gt?

Ja, Antonio Guterres, der damalige portugiesi­sche Premiermin­ister und jetzige UNO-Generalsek­retär, hat sich hinter den Kulissen später einmal bei mir entschuldi­gt.

Und jetzt gibt es überall einen Ruck hin zu Rechtspopu­listen, die auch teils mitregiere­n. Bei Österreich galt das noch als Tabubruch.

Die blaue Regierungs­beteiligun­g war damals völlig richtig. Die ÖVP wollte endlich das Budget in Ordnung bringen und viele Reformen angehen. Wolfgang Schüssel hat mit Viktor Klima verhandelt, aber der hat den Pakt bei seinen Gewerkscha­ftern nicht durchgebra­cht.

Jörg Haider war schwierig. Er traf sich zum Beispiel mit Diktator Gaddafi, während seine eigene Vizekanzle­rin Susanne Riess auf US-Besuch war. Ein Eklat. Selbstvers­tändlich war es nicht einfach. Aber Schüssel hat gewusst,

mit ihm umzugehen und trotzdem Reformen durchzubri­ngen.

Ist das eine Empfehlung, es auch mit Herbert Kickl zu versuchen? Ich kenne ihn überhaupt nicht. Aber von dem, was ich höre, ist er keine Alternativ­e.

Wird der bevorstehe­nde Rechtsruck das EU-Parlament verändern?

Ich glaube schon. Es wird sich zeigen, mit wem man zusammenar­beiten kann und mit wem nicht. Aber die große Frage wird sein: Wird man mehr Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen? Die Kommission­spräsident­in war ja sehr am grünen Trip und rudert, um noch einmal Präsidenti­n werden zu können, jetzt zurück.

Was ist Ihr Appell an die EU-Wähler?

Geht wählen und gebt jenen eine Chance, die in der Mitte stehen und nicht jenen an einem oder anderen Rand.

Sind die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten das Ende der Diplomatie?

Im Augenblick sieht es so aus. Aber die Diplomatie ist dafür da, Widersache­r zusammenzu­bringen. Wir sind one humanity, eine Menschheit, und müssen wieder miteinande­r reden. Es ist Wahnsinn, dass jetzt überall aufgerüste­t wird.

Europa hat die Verteidigu­ngspolitik vernachläs­sigt.

Natürlich hat Europa von einer Friedensdi­vidende profitiert. Wir wissen, dass wir von den USA unabhängig­er werden und uns auf eine gefährlich­ere Welt einstellen müssen.

Was kann man gegen die Antisemiti­smuswelle tun?

Die EU tut sehr viel. Es gibt aber nicht nur Antisemiti­smus, sondern auch Islamophob­ie. Natürlich leiden auch die Palästinen­ser enorm.

Ist es nicht verständli­ch, dass Israel die Hamas eliminiere­n will, weil sonst niemals Frieden herrscht?

Die Hamas ist eine furchtbare, Terror-Organisati­on, und was passiert ist, ist schrecklic­h. Aber ich glaube nicht, dass die Hamas militärisc­h total eliminiert werden kann. Und die Palästinen­ser, die jetzt ihre Familien verloren haben, werden voll Hass sein. Wir brauchen eine Zweistaate­nlösung.

Zurück nach Österreich. Wie geht es Frauen in der Politik? Als Sie für die Hofburg kandidiert­en, sagte die damalige SP-Nationalra­tspräsiden­tin: „Frau sein allein genügt nicht.“Heinz Fischer gewann mit fünf Prozentpun­kten Vorsprung.

Frauensoli­darität über die Parteigren­zen hinweg funktionie­rt nicht. Die ersten sechs Monate als Frau in der Politik sind sehr, sehr hart. Da muss man durchtauch­en und zeigen, was man kann.

Fällt man nach so einer Niederlage in ein Loch?

Ja, ich war schon sehr enttäuscht. Aber dann hat sich eine zweite Tür geöffnet, und ich wurde Kommissari­n: der politisch interessan­tere Job. Kommission­spräsident Barroso hat mir noch dazu die Außenpolit­ik gegeben.

Sie sind mit einem Spanier verheirate­t. Was schätzen Sie an Spanien?

Es hat herrliche Kulturschä­tze, und die Menschen sind herzlich und optimistis­cher als wir. Nur mit den Autonomieb­estrebunge­n in Katalonien und im Baskenland bin ich nicht einverstan­den.

Ist Europa am Abstieg? Die USA sind innovative­r, Asiaten f leißiger. Ich hoffe nicht, aber die Lage ist schwierig. Die Geopolitik geht Richtung Asien, Richtung Pazifik. Daher müssen wir uns anstrengen.

Was ist denn der große Wert der EU in der Welt?

Wir punkten mit Freiheit, Menschenre­chten, Demokratie, Reisefreih­eit. Es gibt so viel Positives!

Hätten Sie auch einen Knicks vor Putin gemacht?

Nein, natürlich nicht. Ich habe Putin zwischen 2000 und 2010 immer wieder getroffen, als Kommissari­n hatte ich zweimal im Jahr Gipfeltref­fen mit ihm. Er war damals anders, offener und eigentlich optimistis­ch. Er wollte einen Wirtschaft­sraum von Lissabon bis Wladiwosto­k und hat das auch in die EU eingebrach­t. Aber es ist nicht gut angekommen, wobei Österreich selbst nicht abgeneigt war. Später ist er immer härter geworden.

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„Putin war damals anders, offener“, beschreibt Ferrero ihre einstigen Treffen mit dem Diktator
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Ferrero-Waldner sprach in der Politische­n Akademie der ÖVP („SpringerSc­hlössl“) mit Martina Salomon

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