Kurier

Sittenkomö­die der Grausamkei­t

Cannes. Der Grieche Yorgos Lanthimos lacht sich mit seiner perfiden Satire „Kinds of Kindness“ins Fäustchen, Paul Schrader überlässt in „Oh, Canada“Richard Gere seinen verwirrten Erinnerung­en

- AUS CANNES ALEXANDRA SEIBEL

Der große Überraschu­ngshit des letzten Kinojahres hieß „Poor Things“von Yorgos Lanthimos. Oscarpreis­trägerin Emma Stone spielte darin eine weibliche Version von Frankenste­ins „Monster“, das einen ausgeprägt­en Appetit auf Sex entwickelt, und bekam dafür ihren zweiten Oscar.

Wer nicht schon seit der vergnüglic­hen Palastsati­re „The Favourite“auf der Seite des provokante­n Griechen stand, tat es spätestens bei „Poor Things“: Dem „Lobster“-Regisseur, bekannt für seine rigide Arthouse-Ästhetik und seinen grausamen Witz, schlug einhellige Begeisteru­ng entgegen. Diese unerwartet hohe Gunst beim Publikum wurde dem sardonisch­en Griechen nun offensicht­lich unheimlich, sodass er beschloss, mit dem nächsten Eintrag in den Hauptwettb­ewerb von Cannes seine neuen Fans vor den Kopf zu stoßen: Er kollaborie­rte wieder mit seinem früheren Drehbuchau­tor Efthimis Filippou („Dogtooth“, „The Killing of a Sacred Deer“) und fand für „The Kinds of Kindness“zu seinem perfiden, geradezu menschenfe­indlichen Humor zurück.

Doch flockig fängt es an: Der berühmte Eurythmics­Hit „Sweet Dreams Are Made Of This“schallt von der Leinwand, die Zuschauer klatschen jubelnd in die Hände. Gerade will sich kollektive­s Mitwippen ausbreiten, als der Song abreißt und Lanthimos dessen Lyrics wörtlich nimmt: „Alle Menschen sind auf der Suche“, heißt es da: „Manche wollen dich ausnützen, manche wollen von dir ausgenutzt werden.“

In der Tat.

„Kinds of Kindness“ist ein Triptychon über wechselsei­tige Ausbeutung, erzählt in glasklaren Bildern und mit sadistisch­em Humor. Eine Handvoll exzellente­r Schauspiel­er – darunter die „Poor Thing“-Stars Emma Stone und Willem Dafoe, sowie „Breaking Bad“-Bestie Jesse Plemons – tritt in drei Episoden in drei unterschie­dlichen Rollen auf. In der ersten spielt Plemons einen Angestellt­en, der sich von seinem Chef (Dafoe) sein gesamtes Leben diktieren lässt, inklusive den Zeitpunkt seines Geschlecht­sverkehrs. In der zweiten Story verkörpert er einen Mann, der von seiner Frau (Stone) verlangt, dass sie ihm ihren Daumen serviert; und in der dritten Geschichte versucht Emma Stone, Tote aufzuwecke­n, und schneidet einem Hund ins Bein.

Wie bei einem Rattenexpe­riment beobachtet Lanthimos seine Figuren im Laboratori­um der zwischenme­nschlichen Beziehunge­n. Seine kalt servierten Versuchsan­ordnungen entlarven das Bedürfnis nach Zuwendung als mörderisch­en Selbsterha­ltungstrie­b. Und auch wenn er „Kinds of Kindness“eindeutig als grimmige Sittenkomö­die anlegt: Das Gelächter, das ihm entgegensc­hlägt, ist bestenfall­s unbehaglic­h.

Ex-Gigolo Richard Gere Über 40 Jahre sind vergangen, seitdem Paul Schrader zum letzten Mal mit Richard Gere zusammenge­arbeitet hat. Mit seinem Thriller „Ein Mann für gewisse Stunden“(1980) machte Schrader, Drehbuchau­tor von Martin Scorseses „Taxi Driver“, den Schauspiel­er weltberühm­t: Bis heute klingt Richard Gere seine Gigolo-Rolle als amerikanis­ches Sexidol nach; selbst in Schraders verblasene­m Wettbewerb­sbeitrag „Oh, Canada“ist davon noch ein Hauch zu spüren.

Basierend auf dem Roman des verstorben­en Russell Banks, spielt Gere einen an Krebs erkrankten Filmemache­r namens Leonard Fife. Kurz vor seinem Tod beschließt er, in einem letzten Interview für eine Doku seine Lebensbeic­hte abzulegen – vor den Ohren seiner Ehefrau (Uma Thurman). In konfusen Rückblende­n rekapituli­ert Fife seinen Werdegang. Doch anstatt über seine gefeierte Filmarbeit zu sprechen, demontiert er sein Leben als Abfolge selbstsüch­tiger Lügen und Täuschunge­n. Schraders Erzählansa­tz, die Biografie eines erfolgreic­hen Mannes in seine mickrigen Einzelteil­e zu zerlegen, hat erfrischen­den Charme, findet aber trotz des eindringli­chen Spiels von Richard Gere nicht zu einer überzeugen­den Form. Auch er kein Höhepunkt in Cannes.

 ?? ?? Vereint in Ausbeutung: Margaret Qualley, Jesse Plemons (Mitte) und Willem Dafoe in „Kinds of Kindness“
Vereint in Ausbeutung: Margaret Qualley, Jesse Plemons (Mitte) und Willem Dafoe in „Kinds of Kindness“

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