Kurier

Reise in die Hölle des Femizids

Carolina Bianchi macht die Probe aufs Exempel: die Performanc­e „A Noiva e o Boa Noite Cinderela“erinnert an Pippa Bacca

- THOMAS TRENKLER

Kritik. Carolina Bianchi beginnt ihre „lecture performanc­e“mit Zitaten aus Dantes „Inferno“und einer Erzählung aus dem „Decamerone“von Boccaccio: Nastagio schafft es doch, dass die Angebetete ihn heiratet – nach Androhung brutaler Gewalt. Dann stellt sich die Brasiliane­rin vor: „A Noiva e o Boa Noite Cinderela“sei der erste Teil ihrer Trilogie „Cadela Força“. Die Festwochen übersetzte­n den Titel der Produktion, 2023 in Avignon uraufgefüh­rt, mit „Die Braut und Goodnight Cinderella“, denn in Brasilien würden die K. O.Tropfen „Goodnight Cinderella“genannt werden.

Ganz in Weiß gekleidet redet Carolina Bianchi über den Femizid: Sie nimmt ihr Publikum (es gab drei Vorstellun­gen in der Halle G des Museumsqua­rtiers) mit auf eine „Reise durch die Hölle“. Im Mittelpunk­t steht das Schicksal der Künstlerin Pippa Bacca: Am 8. März 2008 brach sie mit einer Freundin, Silvia Moro, zu einer wagemutige­n Reise auf. Sie wollten in Brautkleid­ern von Mailand quer über den Balkan und durch den Nahen Osten nach Jerusalem trampen, um ein Zeichen für den Weltfriede­n zu setzen. In der Türkei stieg Silvia Moro aus, weil ihr mulmig war; wenig später wurde Pippa Bacca vergewalti­gt und ermordet.

Carolina Bianchi lässt die Performanc­e wiederaufe­rstehen – im Form eines Reenactmen­ts: Sie tut so, als würde sie ein Betäubungs­mittel zu sich nehmen, und kündigt an, sich ihrem Kollektiv Cara de Cavalo auszuliefe­rn. Sollte der Schlummert­runk nicht wirken, würde sie alle 500 Seiten ihrer Recherchen – auf dem Tisch mit Spitzendec­kerl liegt ein monströses Manuskript – vortragen.

Alkoholges­chwängert

Sie referiert über Künstlerin­nen, die mit ihrem Körper arbeiten, erwähnt u. a. Marina Abramović und Valie Export. Nach knapp einer Stunde gibt sie vor, die Kontrolle zu verlieren, und legt sich auf den Altar: wie aufgebahrt. Die Projektion­sleinwand wird eingerollt, acht Performeri­nnen und Performer übernehmen. Sie ähneln den Outlaws aus „Mad Max“. Als wollten sie unterstrei­chen, dass alles echt ist, schütten sie sich Tequila über die Köpfe: Bis zum Ende der Darbietung (nach zweieinhal­b Stunden) riecht es alkoholges­chwängert. Es gibt viele Verweise und deftige Bilder. Doch andauernd wird man an „Extra Life“von Gisèle Vienne erinnert (war im März im MQ zu sehen): Auch da stand ein Auto mit Fahrgast„zelle“auf der düsteren Bühne

– und es ging sehr beklemmend um Missbrauch.

Die Penetrieru­ng der Braut erinnert an eine Endoskopie: Das Team führt dem Dornrösche­n eine Mini-Kamera in die Vagina ein. Ein Graffiti verkündet in zynischem Machismo „She got love“. Und dann kriegt Carolina Bianchi, um munter zu werden, ein Pepsi. Bitteres Fazit: Eine Katharsis gibt es nicht.

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Willenlos ausgeliefe­rt: Carolina Bianchi – weiß gekleidet – wird in den Kofferraum bugsiert

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