Ein Körper ist auch keine Lösung
Kim de l’Horizon macht bei den Festwochen aus dem „Blutbuch“eine Körperbefragung mit Publikum
Kritik. Wenn sich gesellschaftliche Debatten um den Körper zu drehen beginnen, dann heißt es anschnallen: Da geht es dann um Fragen der pursten Machtausübung – und rasch um die giftigsten Emotionen. Die Themen reichen vom hierzulande gut eingeübten Sexismus über das Kopftuch bis hin zum Verschaffen von Körpern von dort nach hier, vulgo Migration. Zuletzt fand sich im Kulturkampf ein neues, sehr kleines, wenn auch heftig durchemotionalisiertes Spielfeld, jenes der Geschlechteridentität von NonBinär bis Trans. Wie weit das, was sich zwischen den Beinen so tut, mit dem übereinstimmen muss, wie man sich selbst wahrnimmt, wurde zur Entscheidungsschlacht im Zusammenleben hochgejazzt. Wie immer, wenn auf allen Seiten nur mehr Kampfpositionen nachgeplappert werden, hilft – ein Buch. Das „Blutbuch“von Kim de l’Horizon lässt aus der aufgeheizten Debatte die Luft raus. Kim de l’Horizon spielt mit biografischem Material derart beglückend, dass sich die non-binäre Existenz plötzlich passgenau in eine weibliche Familien-, ja Gesellschaftsgeschichte einfügt, und die laute „Wer einen Penis hat, ist ein Mann“-Debatte als Nebenschauplatz einordnet.
Achtsamkeit
Das Buch sei aber gescheitert, sagte Kim de l’Horizon selbst nun auf der Bühne des Volkstheaters; andere sollten durch das Buch gehört werden, das sei nicht gelungen.
Deswegen ist die Bühnenadaption des „Blutbuches“, die nun bei den Wiener Festwochen zu sehen war, ganz anders geworden. Das „Blutstück“fängt an mit einem umgedichteten Robbie-Williams-Song, „Feel“: „Mein Körper spricht eine Sprache, die ich nicht verstehe“, heißt es nun darin, und genau darum sollte es dann für 100 Minuten gehen, um Körper und all die Fragen, die diese so mit sich bringen. Jede der Performerinnen bekommt ein Solo, in dem Aspekte des Körperhabens thematisiert werden, man singt, sinniert – und klettert in die Publikumsreihen, um zu interagieren, nein, um Zustimmung abzuholen, und das ist die unerklärlichste Schwachstelle des von der deutschen Regisseurin Leonie Böhm inszenierten Abends. Denn diese Publikumsanimationen bilden immer ein ungutes Machtgefälle ab, das den spontan zum Teil der Aufführung gewordenen Menschen in die Enge treibt. Das hätte gerade bei diesem Achtsamkeitsabend auffallen müssen. Auch, dass Lukas Vögler Körper improvisatorisch klassifiziert – Ausgeh-Körper, Feierabend-Körper –, verwunderte diesbezüglich.
Sonst geht es um die Vorfahrinnen und die Furcht und die Stärken, die diese vererbten, um Vorder- und Hintertüren (ja, genau) und, mit einer Dosis Therapiejargon, ums Sich-Öffnen trotz der Angst hin zu einem „Wir“, das, dem Applaus nach, auch entstanden ist.