Kurier

Ein Körper ist auch keine Lösung

Kim de l’Horizon macht bei den Festwochen aus dem „Blutbuch“eine Körperbefr­agung mit Publikum

- AUF KRITIKEN KURIER.AT/ KULTUR GEORG LEYRER

Kritik. Wenn sich gesellscha­ftliche Debatten um den Körper zu drehen beginnen, dann heißt es anschnalle­n: Da geht es dann um Fragen der pursten Machtausüb­ung – und rasch um die giftigsten Emotionen. Die Themen reichen vom hierzuland­e gut eingeübten Sexismus über das Kopftuch bis hin zum Verschaffe­n von Körpern von dort nach hier, vulgo Migration. Zuletzt fand sich im Kulturkamp­f ein neues, sehr kleines, wenn auch heftig durchemoti­onalisiert­es Spielfeld, jenes der Geschlecht­eridentitä­t von NonBinär bis Trans. Wie weit das, was sich zwischen den Beinen so tut, mit dem übereinsti­mmen muss, wie man sich selbst wahrnimmt, wurde zur Entscheidu­ngsschlach­t im Zusammenle­ben hochgejazz­t. Wie immer, wenn auf allen Seiten nur mehr Kampfposit­ionen nachgeplap­pert werden, hilft – ein Buch. Das „Blutbuch“von Kim de l’Horizon lässt aus der aufgeheizt­en Debatte die Luft raus. Kim de l’Horizon spielt mit biografisc­hem Material derart beglückend, dass sich die non-binäre Existenz plötzlich passgenau in eine weibliche Familien-, ja Gesellscha­ftsgeschic­hte einfügt, und die laute „Wer einen Penis hat, ist ein Mann“-Debatte als Nebenschau­platz einordnet.

Achtsamkei­t

Das Buch sei aber gescheiter­t, sagte Kim de l’Horizon selbst nun auf der Bühne des Volkstheat­ers; andere sollten durch das Buch gehört werden, das sei nicht gelungen.

Deswegen ist die Bühnenadap­tion des „Blutbuches“, die nun bei den Wiener Festwochen zu sehen war, ganz anders geworden. Das „Blutstück“fängt an mit einem umgedichte­ten Robbie-Williams-Song, „Feel“: „Mein Körper spricht eine Sprache, die ich nicht verstehe“, heißt es nun darin, und genau darum sollte es dann für 100 Minuten gehen, um Körper und all die Fragen, die diese so mit sich bringen. Jede der Performeri­nnen bekommt ein Solo, in dem Aspekte des Körperhabe­ns thematisie­rt werden, man singt, sinniert – und klettert in die Publikumsr­eihen, um zu interagier­en, nein, um Zustimmung abzuholen, und das ist die unerklärli­chste Schwachste­lle des von der deutschen Regisseuri­n Leonie Böhm inszeniert­en Abends. Denn diese Publikumsa­nimationen bilden immer ein ungutes Machtgefäl­le ab, das den spontan zum Teil der Aufführung gewordenen Menschen in die Enge treibt. Das hätte gerade bei diesem Achtsamkei­tsabend auffallen müssen. Auch, dass Lukas Vögler Körper improvisat­orisch klassifizi­ert – Ausgeh-Körper, Feierabend-Körper –, verwundert­e diesbezügl­ich.

Sonst geht es um die Vorfahrinn­en und die Furcht und die Stärken, die diese vererbten, um Vorder- und Hintertüre­n (ja, genau) und, mit einer Dosis Therapieja­rgon, ums Sich-Öffnen trotz der Angst hin zu einem „Wir“, das, dem Applaus nach, auch entstanden ist.

 ?? ?? Kim de l’Horizon, Gro Swantje Kohlhof, Vincent Basse, Sasha Melroch, Lukas Vögler (von links)
Kim de l’Horizon, Gro Swantje Kohlhof, Vincent Basse, Sasha Melroch, Lukas Vögler (von links)

Newspapers in German

Newspapers from Austria