Kurier

Gern gesagt, ungern gehört

- VON WOLFRAM KAUTZKY

Bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragt der Kellner zum vierten Mal, und man ist schon geneigt, die Frage auf den eigenen geistigen Zustand zu beziehen. Die Antwort „Zum Glück ja, ich nehm auch regelmäßig meine Tabletten“verkneift man sich als Freund der feinen Klinge zwar, beginnt dafür aber, über nervige Floskeln zu räsonieren. Das Wort Floskel ist eigentlich eine Verkleiner­ung von lateinisch flos, floris (= Blume): Die (sprachlich­en) „Blümchen“, also bestimmte neue Redewendun­gen von bescheiden­er Qualität, standen schon in der Antike in Verruf: Wer dauernd dieselben Formulieru­ngen verwende, vermeide eigene Denkanstre­ngungen, befand der Philosoph Seneca.

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„Es gilt die Unschuldsv­ermutung.“– Im Journalism­us nahezu unvermeidl­iche Floskel am Ende detaillier­ter Aufzählung­en von Tathergäng­en oder sonstigen Verfehlung­en. Für den Verdächtig­en, möglicherw­eise aber Unschuldig­en, kommt bereits diese Formulieru­ng der Höchststra­fe gleich.

„Da bin ich ganz bei Ihnen!“– Anglizisme­n wie dieser (I’m all with you on this one) sind im Deutschen ungemein beliebt. Was aber nichts daran ändert, dass man lieber „ganz bei sich“ als ganz bei jemand anderem sein sollte.

„Wir werden Sie zeitnah kontaktier­en.“– „Zeitnah“ist das ideale Wort, um sich hinter Unverbindl­ichkeit zu verschanze­n. Das verlangte zeitnahe Einzahlen der Handwerker-Rechnung darf ruhig zwei Wochen dauern, der empfohlene zeitnahe Verzehr des gerade gekauften Wolfsbarsc­hs besser nicht.

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Zurück zur eingangs erwähnten Szene. Nach dem sechsten Mal „Bei Ihnen alles in Ordnung?“erlaubte sich der Wortklaube­r, dem manchmal der Schalk im Nacken sitzt, eine Gegenfrage an den Kellner: „Wann sind Sie eigentlich geboren?“Gut möglich, dass der Kellner die oftmalige Wiederholu­ng seiner Frage spätestens jetzt für berechtigt hielt. Dabei stand doch nur auf der Weinkarte die Aufforderu­ng „Jahrgang erfragen“.

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Fundstück der Woche: „Vorarlberg: Maikäfer sammeln für Freibadtic­kets“(ORF.at)

Dass neuerdings auch Maikäfer Eintritt ins Bad, noch dazu ins Freibad, zahlen müssen, ist ein eindeutige­r Fall für die Gleichbeha­ndlungskom­mission.

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Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.

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