Gern gesagt, ungern gehört
Bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragt der Kellner zum vierten Mal, und man ist schon geneigt, die Frage auf den eigenen geistigen Zustand zu beziehen. Die Antwort „Zum Glück ja, ich nehm auch regelmäßig meine Tabletten“verkneift man sich als Freund der feinen Klinge zwar, beginnt dafür aber, über nervige Floskeln zu räsonieren. Das Wort Floskel ist eigentlich eine Verkleinerung von lateinisch flos, floris (= Blume): Die (sprachlichen) „Blümchen“, also bestimmte neue Redewendungen von bescheidener Qualität, standen schon in der Antike in Verruf: Wer dauernd dieselben Formulierungen verwende, vermeide eigene Denkanstrengungen, befand der Philosoph Seneca.
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„Es gilt die Unschuldsvermutung.“– Im Journalismus nahezu unvermeidliche Floskel am Ende detaillierter Aufzählungen von Tathergängen oder sonstigen Verfehlungen. Für den Verdächtigen, möglicherweise aber Unschuldigen, kommt bereits diese Formulierung der Höchststrafe gleich.
„Da bin ich ganz bei Ihnen!“– Anglizismen wie dieser (I’m all with you on this one) sind im Deutschen ungemein beliebt. Was aber nichts daran ändert, dass man lieber „ganz bei sich“ als ganz bei jemand anderem sein sollte.
„Wir werden Sie zeitnah kontaktieren.“– „Zeitnah“ist das ideale Wort, um sich hinter Unverbindlichkeit zu verschanzen. Das verlangte zeitnahe Einzahlen der Handwerker-Rechnung darf ruhig zwei Wochen dauern, der empfohlene zeitnahe Verzehr des gerade gekauften Wolfsbarschs besser nicht.
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Zurück zur eingangs erwähnten Szene. Nach dem sechsten Mal „Bei Ihnen alles in Ordnung?“erlaubte sich der Wortklauber, dem manchmal der Schalk im Nacken sitzt, eine Gegenfrage an den Kellner: „Wann sind Sie eigentlich geboren?“Gut möglich, dass der Kellner die oftmalige Wiederholung seiner Frage spätestens jetzt für berechtigt hielt. Dabei stand doch nur auf der Weinkarte die Aufforderung „Jahrgang erfragen“.
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Fundstück der Woche: „Vorarlberg: Maikäfer sammeln für Freibadtickets“(ORF.at)
Dass neuerdings auch Maikäfer Eintritt ins Bad, noch dazu ins Freibad, zahlen müssen, ist ein eindeutiger Fall für die Gleichbehandlungskommission.
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Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.