Schaulust, die zur Farbmasse wird
Albertina. Der 2015 verstorbene Maler Franz Grabmayr, international noch ein Geheimtipp, hat in Museumschef Klaus Albrecht Schröder einen seiner größten Fans. Nun ist ihm eine Schau gewidmet
„Who the hell is Franz Grabmayr?“: Der New Yorker Galerist Paul Kasmin sei völlig hin und weg gewesen, als er die massigen Farbexplosionen des ihm unbekannten Österreichers erstmals sah, erzählt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Leider verhinderte Kasmins Tod im Jahr 2020, dass dieser dem Maler, der 2015 im Alter von 88 Jahren gestorben war, ein Sprungbrett und möglicherweise eine posthume Karriere verschaffte.
Nun hofft Schröder auf einen weiteren Anlauf – zählt der gebürtige Kärntner Grabmayr, der seine künstlerische Arbeit über Jahrzehnte in ländlicher Einsiedelei versah, doch zu den erklärten Lieblingskünstlern des Museumsdirektors. Dass er selbst Grabmayrs Werke sammelt – und eine Leihgabe zur Schau beisteuerte – hätte einst vielleicht eine schiefe Optik ergeben, kurz vor Ende seiner Amtszeit schüttelte Schröder aber auch diese Bedenken ab.
Singuläre Erscheinung Dass Grabmayr seinen Platz in der Kunstgeschichte verdient, sollte dabei außer Frage stehen: Die AlbertinaSchau, die nicht nur in der Auswahl der Werke, sondern auch in deren Hängung und Ausleuchtung ein hohes Niveau ansetzt, streicht dies nur noch weiter hervor. Wobei Grabmayr in Österreich seit Langem seine Fangemeinde hat: Künstler der „Neuen Malerei“der 1980er wie Herbert Brandl oder Hubert Scheibl ließen sich von ihm inspirieren, Sammler schätzen seine Arbeit. Eine Ausstellung im privaten Museum Angerlehner in Thalheim/Wels 2017 war die bisher umfassendste Zusammenschau von Grabmayrs Werk.
Anders als in dieser Ausstellung, die die langsame Entwicklung des 1927 Geborenen von der Landschaftsmalerei und der Nachahmung seines Professors Herbert
Boeckl nachzeichnete, zeigt die Albertina das „reife“Werk, das grob die Zeit von 1970 bis 1990 umfasst: Da hatte sich Grabmayr von der Gegenständlichkeit so weit gelöst, dass seine Bilder sich primär als Aufschichtungen von mit Kelle und Spachtel aufgetragenen Farbmassen begreifen lassen. Auch dann, wenn sie Titel wie „Sandgrube“oder „Verkohlter Wurzelstock“tragen.
„Er suchte das Archaische“, erklärt Schröder und merkt an, dass dem Künstler sein rustikales Lebensmodell – er lebte bis 1972 im halb verfallenen Schloss Rosenau und später auf einem alten Bauernhof bei Zwettl – karrieretechnisch eher nicht dienlich gewesen sei.
Und doch regt die Museumsschau dazu an, das Moderne an Grabmayrs Malerei zu sehen: In der Idee, dass die Begegnung mit der Welt und der Natur mehr als bloß eine Abbildung ergibt, dass der Künstler sein Material in etwas Neues verwandelt, steckt ebenso viel Alchemie wie Kunst-Purismus.
Im Furor von Grabmayrs Malakten meint man etwas von dem zu erkennen, was auch einen Vincent van Gogh angetrieben haben mag. Seine Materialaufschichtungen sind dabei viel abstrakter, aber gleichzeitig aufs Engste mit dem Sehen und Tun verkoppelt. Und sie wirken direkter als etwa die in ihrer Materialwucht vergleichbaren Bilder von Anselm Kiefer, deren Symbolik erst entschlüsselt werden will.
Einige Bilder der Albertina-Ausstellung vermitteln einen Eindruck, als würde man direkt in einen moosigen Waldboden greifen oder über einen Schotterweg gehen – und doch sind sie Kunst, weil der Eindruck in ihnen transformiert wurde. Die Grenze von Kunst zum Leben übertrat Grabmayr übrigens nie – anders als sein Freund und Trauzeuge Otto Muehl, der, zunächst ebenfalls Materialkünstler, bekanntlich dazu überging, Menschen als Material seiner Kommunen-Vision zu betrachten.
Grabmayr lud lieber Tänzerinnen in sein Atelier im Wiener Karl-Marx-Hof ein, wenn ihm die kalte Jahreszeit eine Arbeit am Land verunmöglichte. Die daraus entstandenen „Tanzblätter“runden eine Schau ab, die Sinnlichkeit und den künstlerischen Akt als solchen feiert. Für viele wird es der Erstkontakt mit Franz Grabmayr sein – mit welchen Folgen auch immer. Bis 13. 10.