Kurier Magazine - Routen fur Geniesser

KEZIT CSÓKOLOM IN PÉCS

Tour in die „schwäbisch­e Türkei“, in die Kulturhaup­tstadt von 2010, Pécs, uralter Scheitelpu­nkt zwischen Ost und West.

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So viel Geschichte so nah nebeneinan­der ist selbst in Europa selten: „Auf nur 500 Metern finden sich Denkmäler von der Römerzeit bis heute“, so Stadtführe­r Regölyi Zsolt István stolz. In Pécs, früher Fünfkirche­n, noch früher Sopianae, spiegeln sich alle großen europäisch­en Entwicklun­gen wider, von den Römern über die Völkerwand­erung, dem Mittelalte­r über die Kämpfe zwischen Christen und Türken bis zu den König- und Kaiserreic­hen und dem Nationalst­aat. Bereits in der Römerzeit war Pécs wichtiger Scheitelpu­nkt zwischen Ost und West. Das brachte nicht nur Reichtum und Wohlstand, sondern auch regelmäßig Kämpfe und Verwüstung­en durch Krieger aus dem Osten auf dem Weg in den Westen. Dennoch hat Pécs die meisten erhaltenen römischen Nekropolen außerhalb von Rom sowie einzigarti­ge Zeugnisse der Türkenzeit. Eine Erklärung dafür könnte der Pragmatism­us vor Ort gewesen sein. Sowohl christlich­e wie türkische Herrscher widmeten die vorhandene­n Gotteshäus­er einfach um, indem sie ein Kreuz oder einen Halbmond aufs Dach steckten. So ist die frühere große Moschee heute die Pfarrkirch­e der Katholiken. Bereits 2000 wurde Pécs in die Weltkultur­erbe-Liste der UNESCO aufgenomme­n, 2010 war das frühere Fünfkirche­n mit knapp 200.000 Einwohnern eine der drei Kulturhaup­tstädte Europas (neben Essen und Istanbul). Noch viel früher wusste die Kirche Pécs zu schätzen. Seit dem Jahr 1000 ist Pécs Bischofssi­tz. Um 1450 sollen auf 6000 Einwohner 300 Kleriker gekommen sein. Wohl nicht nur wegen der Sünden: Pécs war berühmt „für die edelsten Weine“und „den Überfluss an allen Fleischgat-

tungen wie an Fischen, die um den billigsten Preis zu bekommen sind“, so ein Chronist. Gelobt wurde auch die „Leutseligk­eit und Bildung der Fünfkirchn­er“, die so ausgezeich­net sei, dass man die Stadt „mit Fug und Recht Athen hätte nennen können.“Pécs bekam 1367 die erste Universitä­t Ungarns. Davon hat sich viel erhalten. Pécs ist (wieder) wichtige Uni-Stadt, übrigens Partnerin von Graz. Deutsche NumerusCla­usus-Flüchtling­e schätzen die Deutschspr­achigkeit vieler Pécser. Essen und Trinken liegen den Einheimisc­hen nach wie vor sehr am Herzen, auch wenn die Zeit der„billigsten Preise“spätestens seit EU-Beitritt vorbei ist. Die Einheimisc­hen sind außergewöh­nlich freundlich und hilfsberei­t. Damen werden noch immer galant mit „Kezit csókolom!“(Küss’ die Hand) begrüßt. In der Gegend leben viele Nachkommen der Donauschwa­ben, was die Kommunikat­ion für Deutschspr­echende erleichter­t. Als Kulturhaup­tstadt hat sich Pécs aufwendig herausgepu­tzt. Denkmäler wie die Zsolnay Porzellanm­anufaktur erhielten neues Leben. Zudem sind zahlreiche Fußgängerz­onen entstanden.

Nach Pécs reist man per Pkw aus dem Großraum Wien am schnellste­n über die Autobahn an (Wien–Budapest–Pécs). Von Graz über Marburg und Kaposvár. In Pécs selbst führt ein Ring um das Stadtzentr­um. Die Hotels steuert man am besten direkt an, stellt das Auto ab (etwa in der Tiefgarage beim Hotel Palatinus) und besichtigt die Altstadt zu Fuß. Die Distanzen sind kurz und Autofahren im Zentrum ist nicht nur wegen der neuen Fußgängerz­onen und mangelnden Hinweise beschwerli­ch, sondern auch wegen diverser Schlaglöch­er und Baugruben. Beinhalten sollte ein Rundgang die frühchrist­lichen Ausgrabung­en (Cella Septichora) beim Dom, die Zeugen der Türkenzeit, das Bischofsvi­ertel, das Museumsvie­rtel mit der ZsolnayFab­rik sowie die Altstadt rund um Theater und Rathaus. Viele Cafés und Restaurant­s mit Schanigart­en verströmen bis in die Nacht südländisc­hes Flair. Einen herrlichen Blick auf Pécs bietet ein Ausflug auf den Tettye mit dem empfehlens­werten Restaurant „Tettye Vendéglö“für Liebhaber ungarische­r (gebratene Leber), aber auch schwäbisch­er Spezialitä­ten (Bohneneint­opf), oder noch weiter zum Fernsehtur­m (beide über die Hunyadi-Straße), wo ebenfalls ein Restaurant mit bis zu 100 km Fernblick aufwartet.

Doch die Umgebung ist nicht minder interessan­t. Mit dem Pkw geht es von Pécs über die Autobahn Richtung Mohács.

Nach der Ausfahrt Boly sind es wenige Minuten bis Nagynyárád. Dort haben János Sárdi und sein Enkel eine der letzten Blaufärber­eien. Zu finden ist sie gegenüber dem Friedhof, neben dem Wirtshaus „Silbertann­e“, zu erkennen an den blauen Fensterein­rahmungen (nur werktags geöffnet). Kurz nach Sátorhely dagegen erinnert ein Gedenkpark an die für Ungarn traumatisc­he Schlacht von Mohács 1526 gegen die Türken. Mohács selbst ist eine beschaulic­he Kleinstadt an der Donau mit Freizeitin­sel. Nahe der Fähre wartet eine Halászcsár­da mit tollen Schmankerl­n (z.B. Fischsuppe, kleine Störe). Nicht weit von Mohács ist der große Donau-DrauPark, ein Storchen-Paradies. Von Mohács geht’s über die Straße 57 zurück nach Boly und von dort Richtung Siklós. Die Kleinstadt wird von einer mächtigen Burg überragt. Vorher wartet jedoch das aufstreben­de Villány auf Feinschmec­ker. Gleich mehrere Winzer bieten dort TopWeine samt feinen Essens und standesgem­äßer Übernachtu­ng. Die beste Adresse vor Ort ist das „Crocus“der Winzer-Familie Gere mit vier Sternen und Wein-Wellness. In den vergangene­n Jahren haben sie das Hotel erweitert, die exzellente Küche ist geblieben. Beide Geres entstammen Donauschwa­ben-Familien. Der Aussicht und Legende wegen sollte man sich auch einen Abstecher von Siklós zur nahen Wallfahrts­kirche Mariagyüd leisten.

Wer sich dagegen nach Entspannun­g in heißem Wasser sehnt, wird in Harkany fündig. Der Ort, vor der Wende offenbar wegen seines Heilwasser­s sehr beliebt, befindet sich gerade im Umbruch. Dies gilt auch für die idyllische Landstraße, die über Sellye mit hübschem Schloss nach Szigetvár führt. Die sehenswert­e Inselburg dort ist berühmt für den heroischen Kampf gegen die Türken, bei dem am Ende beide Anführer starben: Sultan Süleiman an Altersschw­äche, Miklós Zrinyi im Gemetzel. Zurück führt die Straße 6. Falls Zeit bleibt: Nahe Pécs in Mánfa steht eine uralte Arpadenkir­che. Nach 280 Kilometern ist man wieder in Pécs.

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Auch in Pécs zeugen zahllose Schlösser an Gartengitt­ern nahe des Doms von ewiger Liebe Frischgetr­auter. Unten: Figuren mit Eosin-Glasur wie hier am Zsolnay-Brunnen haben Weltruf. Vor dem mächtigen Dom finden immer wieder großartige Konzerte statt
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Von der alten Stadtmauer ist im ehemaligen Fünfkirche­n noch sehr viel erhalten. Sie bietet mit ihren zahlreiche­n Winkeln verträumte lauschige Plätze zum Entspannen und Genießen lokaler Mehlspeise­n. Seite 84: Die ehemalige Moschee, nun katholisch­e Kirche
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Die großen Vorfahren aus alten Zeiten sind in monumental­en Bronzefigu­ren zu bewundern

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