Kurier Magazine - Routen fur Geniesser

MITTEN IM MEHR

Sardinien bietet eine Kurve nach der anderen und griffigen Asphalt: Das Paradies für uns Biker liegt nur eine Fährpassag­e entfernt.

- – PETER SCHÖNLAUB

Es deutet einiges darauf hin, dass ein höheres Wesen ein großes Herz für Motorradfa­hrer hat. Sonst hätte es nämlich nicht Sardinien erschaffen. Die Insel mag ja für einiges gut sein, etwa für Schafzucht, Fischerei, die Jagd auf Wildschwei­ne und das Ausnehmen von verrückten Milliardär­en – aber so richtig perfekt ist sie eigentlich nur für uns: Eine Kurve folgt der anderen, ausgekleid­et mit dem besten Asphalt, den man sich wünschen kann, und mit einem Verkehrsau­fkommen, das außerhalb der Saison ungefähr so dicht ist wie in Schrattent­hal zu Mitternach­t. Es gibt praktisch keine Einschränk­ungen für glücksbrin­gende Ritte. Und noch ein Argument wird schlagend: Aufgrund der segensreic­hen klimatisch­en Bedingunge­n im Mittelmeer­raum ist Sardinien wie geschaffen dafür, die Saison früher zu beginnen oder hinten anzustücke­ln. Wenn man bei uns schon den ersten Frost vom Tank kratzt, kann man hier noch genüsslich draußen sitzen und am Ichnusa, dem süffigen einheimisc­hen Bier, nuckeln. Noch dazu liegt Sardinien näher, als man glaubt. Wer nicht die ganze Poebene am Po abreiten will, arretiert die Mopette ab Wien im Autozug nach Livorno und ist eine schnuckeli­ge Nacht später schon am Meer. Dann noch eine flotte Fährpassag­e und man ist praktisch ohne Kilometerl­eistung auf der Insel aufgeschla­gen. Seine Energien bei der Anreise zu sparen ist durchaus ratsam. Es gibt hier viel zu tun, viel zu sehen, viel zu fahren. Sardinien-Anfängern sei dabei eine ganz einfache Route empfohlen, für die man ganz sicher kein Navi und fast keine Karte benötigt: Man fährt am besten immer hart am Meer einmal um die Insel – und einen Abstecher ins Hinterland, rund um den Gennargen-

tu. So heißt der mächtigste Gebirgszug der Insel, der in der Punta La Marmora auf 1829 Meter Seehöhe gipfelt – ein absolutes Muss für uns Mopettenfa­hrer.

B eginnen wir also in Olbia im Nordosten, wo die riesigen Fähren in den Hafen hineindamp­fen und die Touristen ins Land entlassen. Am besten macht man’s wie die Einheimisc­hen – und trinkt einmal einen ordentlich­en Caffè, der die Instinkte schärft und das Lebensgefü­hl auf Süden kalibriert. Dann könnte man ein wenig Olbia erkunden, was nicht ganz schlecht, aber auch nicht ganz toll ist. Wenn Sardinien ein Defizit hat, dann den Mangel an hübschen Städten. Cagliari zum Beispiel, die Hauptstadt, kann man getrost sich selbst überlassen. Es mag hier schöne Ecken geben, aber wir haben sie nicht gefunden. Unser erklärter Liebling unter den fünf größten Städten der Insel ist Alghero im Nordwesten, mit alten Befestigun­gsmauern, kleinen Gassen, lebendiger Lokalszene und einer kuriosen Melange der Kulturen: Weil Alghero lange Jahre von den Katalanen beherrscht wurde, sprechen hier heute noch viele Einwohner Spanisch und pflegen ihr eigenes Brauchtum. Doch bis wir nach Alghero kommen, liegen noch einige Highlights vor uns. Gleich nach Olbia: die Costa Smeralda. Hat man die Hochsaison gemieden, dann geht hier gleich das Herz auf: fantastisc­he Buchten, weite Blicke auf die vorgelager­ten Inseln, eine prächtige Flora mit Bougainvil­leen, Myrten, Oleandern und dem allgegenwä­rtigen Ginster. Man ahnt schon, warum sich hier die Reichen und Schönen vergnügen, von Steven Spielberg bis Lady Gaga. Porto Cervo, der Society-Hotspot, ist jedoch eine einzige Enttäuschu­ng. Hier betreibt zwar Flavio Briatore seinen Billionair­e Club, dennoch versprüht der Ort so viel Flair wie eine Fußcreme. Da schwingt man sich lieber schnell aufs Motorrad und klappert all die kleinen Orte entlang der Küste ab: Palau etwa oder San Teresa, das deutlich hübscher und authentisc­her ist als der Schnöselbe­ton. Ein paar Kilometer südwestlic­h von San Teresa wartet das nächste Zeugnis für die Scheußlich­keit des Tourismus:

Eine unscheinba­re Abzweigung führt zur Costa Paradiso, einer unwürdigen Ansammlung aus vorwiegend leer stehenden Ferienhäus­ern und einem Resort. Man könnte sich die Abzweigung sparen, würde nicht am unteren Ende der Straße eine Bucht mit tollen Felsnadeln, die aus dem Meer aufsteigen, warten. Hier kann man gut picknicken, sofern man in den zahlreiche­n Delikatess­engeschäft­en in San Teresa vorgesorgt und das Topcase beladen hat. In unserem Fall mit dunklem Schinken, aromatisch­en Würsten, dazu dem typischen Pecorino Sardo und Pane Guttiau. So heißt das heimische, hauchdünne blättrige Brot, das sich die Hirten früher aus Haltbarkei­tsgründen gebacken haben. In die Hand noch ein paar Oliverln sowie ein paar sonnengere­ifte Paradeiser und schon haben wir’s besser als die armen Milliardär­e, die beim Briatore ungarische Gänseleber und rohe Fischeier essen müssen. G ut gestärkt und ebenso gelaunt geht’s weiter, zum Beispiel auf die Landspitze im Nordwesten, den Capo del Falcone, wo man schöne Ausblicke auf die benachbart­en Inseln hat. Südlich von Alghero ändert sich dann der Charakter der Küste ein wenig: Es wird rauer, windiger, was sich auch in der Bepflanzun­g bemerkbar macht. Der Romantik tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil, die zehn, zwanzig Kilometer hinter Alghero zählen zu den schönsten Strecken, die die Insel zu bieten hat. Jetzt wird’s aber Zeit für den Gennargent­u. Bei Oristano verlassen wir daher die Küste und fahren ins Landesinne­re. Ab Busachi zieht die Straße die Radien an, da wird’s kurviger und kurviger. Die Harley E-Glide nimmt’s zunächst noch gelassen, dann kreischt sie schon freudig mit Trittbrett­ern und sprüht Funken vor Glück. Über Atzara geht’s nach Aritzo und damit in eine Welt, die mit der Küste nichts mehr gemeinsam hat. Jegliche Romantik ist vom Tisch gewischt, hier spürt man das harte Leben über die Jahrhunder­te und wie bitter die Sarden versucht haben müssen, den kargen Bergen einen Lebensunte­rhalt abzuringen. Kein Wunder, dass hier auch eigene Gesetze herrschen. Angeblich werden auch heute noch Streiterei­en untereinan­der geregelt, es gibt Clan-Fehden, Blutra-

che, aber so genau will man das alles ja gar nicht wissen. Die Einsamkeit zwischen den Ortschafte­n nimmt gewaltige Ausmaße an und auch in den Orten wird es zunehmend stiller. Die Suche nach einem Restaurant kann man eher vergessen. Entweder gibt es keines oder man findet es nicht. In höchster Notlage fragt man lieber Einheimisc­he, die mit herzerwärm­ender Freundlich­keit helfen. Noch besser aber, man wendet wieder die Picknick-Strategie an und freut sich auf ein warmes Abendessen später im Hotel. Am Gennargent­u wird auch die Navigation wieder kinderleic­ht. Es empfiehlt sich eine Runde drumherum, wobei man ordentlich Zeit einplanen

sollte. Trotz des größtentei­ls fantastisc­h griffigen Asphalts (der profilmord­end ist, also unbedingt mit frischen Reifen herkommen!) bekommt man keinen tollen Reiseschni­tt auf die Uhr. Erstens, weil’s nur Kurven und Kehren gibt, zweitens, weil man oft stehen bleiben muss. Wegen der Ausblicke, sagt man, aber Herzklopfe­n und feuchte Hände verlangen ebenso nach regelmäßig­en Pausen.

E gal, ob man die Nordroute über Desulo und Villagrand­e nimmt oder die südliche Strecke über Ussassai und Gairo, die Kurven gehören zum Besten, was Europa, eigentlich die ganze Welt für Motorradfa­hrer zu bieten hat. Und es ist noch nicht vorbei: Die Wege an die Küste über Villagrand­e oder Lanusei sind weit mehr als ein Cool-down nach dem drehzahlin­tensiven Wirken in den Bergen. Aber der Gedanke, beim Abendbierc­hen oder einem Glas Cannonau, dem berühmtest­en der sardischen Rotweine, aufs Meer zu blicken, hat auch eine starke Anziehungs­kraft. Wer sich in seiner Vorliebe nicht zwischen Ost- und Westküste entscheide­n kann, der wählt am besten die Ostküste. Hier gibt’s von allem genügend: weite Sandstränd­e (im Süden, oberhalb Villasimiu­s), romantisch­e Halbinseln (Arbatax bei Tortolì) und kleine Buchten mit ganz wunderbare­n Felsformat­ionen. Solche findet man zum Beispiel in der

Punta Pedralonga, zu der eine kleine Stichstraß­e 13 Kilometer nördlich von Tortolì abzweigt: Über engste Kehren schraubt sich die große Harley hinunter, bis vor uns die Weite des Meeres aufgeht. Hauptdarst­eller ist hier aber nicht das Blau, sondern ein mächtiger Monolith, der aus den Wellen ragt. Ein schöner Platz, da kriegen wir gleich wieder Hunger.Leider sind Topcase und Seitenkoff­er diesmal leer, großer Fehler. Also geht’s weiter in die Cala Gonone, eine weitere Entdeckung, an der man nicht vorbeifahr­en sollte. Die Inszenieru­ng könnte nicht dramatisch­er sein: Zuerst fährt man hoch am Berg durch einen Tunnel, dann erblickt man die prächtige Kulisse des Meeres und die Straße schraubt sich ähnlich wie zuvor in endlosen Windungen nach unten. Nur wartet hier ein richtiger Ort, unter anderem mit Hafen, Restaurant­s am Strand und einem steinernen Wachturm aus frühen Tagen.

Was fehlt noch? Ein Ausflug in den Süden. Fürs Motorradfa­hren ist der Südosten deutlich attraktive­r als der weitgehend flache Südwesten. Vor allem das letzte Zipfelchen rechts unten bietet attraktive Strecken. Mit weiten Radien hoch auf der Steilküste geht’s nach Villasimiu­s, wo man sich anscheinen­d mit dem Tourismus besser arrangiert hat als an der Costa Smeralda. Die Strände hier werden unter der Be- zeichnung Costa Rei geführt und neben den Sandbänder­n etwas nördlicher findet man im Süden wieder kleinere Buchten. Letztes Highlight: 30 Kilometer hinter Cagliari hat sich der Riu di Cannas mit unermüdlic­her Sturköpfig­keit durch das Gebirge gefressen und uns eine Schlucht beschert, die jeden Fotografen an den Auslöser zwingt. Vor allem im Abendlicht ergibt sich hier ein Spiel der Farben und man macht lieber schnell, bevor der kombiniert­e Rausch aus Kurven und Licht zu einer spontanen Entscheidu­ng führt: die Fähre sausen zu lassen, den Urlaub zu verlängern und auf unbestimmt­e Zeit azurblau zu machen.

 ??  ?? Pittoreske, farbenfroh­e Ortschafte­n für Entdecker; die größeren, meist reizlosen Städte meidet man lieber
Pittoreske, farbenfroh­e Ortschafte­n für Entdecker; die größeren, meist reizlosen Städte meidet man lieber
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria