Kurier Magazine - Routen fur Geniesser
ZUM OHRABSCHNEIDEN SCHÖN
Wir sitzen ab, wo van Gogh eingesessen ist: mitten in der weiten Ebene des Rhonetals, am Gipfel eines wunderlichen französischen Gebirges – der Alpillen.
Die pastose Dämmerung überkommt Les Baux und die Alpillen. Während der Mond die Herrschaft übernimmt, die Restaurants ihre Tische vergeben und ein frischer Abendhauch die Hitze eines langen Sommertages vertreibt, liegt über den karstigen Felsen, dick wie eine Tuchent, der Duft der wilden Kräuter. Rosmarin. Thymian. Lavendel. „Sind das nicht die Herbes de Provence?“, fragt Kurt in die Stille meiner erhabenen Gedanken. Vielen Dank. Eben schienen sich mir alle Geheimnisse des Universums zu offenbaren, jetzt bin ich hungrig. Wir befinden uns in einer Wunderwelt, die sich steinern und majestätisch aus der Ebene des Rhonetals erhebt – mit Les Baux als geschichtsträchtigem Höhepunkt. Schon in finsteren Jahrhunderten wurde hier auf den Alpillen diese Festung gebaut, die heutzutage alljährlich von Hunderttausenden Touristen besucht wird. Dass die Burg längst nur mehr ein Trümmerhaufen ist, hält die Busladungen an Besuchern keineswegs ab. Kenner fahren freilich lieber auf der kleinen D27 Richtung Norden und genießen dann ein Panorama, das man nie mehr vergessen wird: die unwirschen, karstigen Felsen, die eigentlich viel zu alpin wirken angesichts ihrer lächerlichen Höhe (493 Meter, maximal); das majestätische Les Baux und dahinter eine Ebene mit einer vagen, dunstigen Ahnung der Meeresküste am weit entfernten Horizont. Zwischen den Felsen der Alpillen ziehen sich schmale Täler hin, begnadet mit fetter, rotbrauner Erde und bewachsen von kräftigen, alten Olivenbäumen. Dass hier das beste Olivenöl der Welt gepresst wird, gilt als gesichert. Zumindest bei uns. Hauptort der Alpillen ist St.-Rémyde-Provence, eine der entzückendsten
Städte Frankreichs; kompakt, charmant, aber man findet doch alles, was man braucht. Bistros, Restaurants, Designerläden, Antiquitäten und Spezialitäten, Handwerk und Kunst . Der Wochenmarkt zählt zu den schönsten in der ganzen Provence, angeblich kommt auch Caroline von Monaco hierher; sie wohnt ja zumeist hier in der Nähe, nicht im Fürstentum.
So klein die Alpillen sind, so unterschiedlich sind die Straßen, die sie durchziehen. Da gibt es perfekt asphaltierte, weite Straßen mit lang gezogenen Kurvenradien wie die D5 von Saint-Rémy nach Maussane. Aber auch verwinkelte, anspruchsvolle Passagen mit grobkörnigem Asphalt wie die Strecke von Les Baux nach Le Mas Vérans. Schließlich gibt’s noch die ganz vergessenen Strecke, obwohl sie „Route Touristique des Baux“heißt: bei Eyguieres beginnend nach Westen – mal weiter, mal enger, aber stets mit fantastischen Aussichten und berührender Einsamkeit. Irgendwann kommt man auch nach Maussane, der südlichen Entsprechung des nördlichen Saint-Rémy. Auch hier ist’s nett, wiewohl viel kleiner, intimer. Eine gute Bäckerei ist schnell entdeckt und am Hauptplatz mit dem großen Brunnen haben sich reihenweise famose Bars und Bistros angesiedelt.
Wir schlürfen Café au Lait und planen, unseren Aktionsradius ein wenig zu erweitern. Denn das ist ja gerade das Herrliche an den Alpillen: Ausgehend vom schönsten Platz der Provence lassen sich sternförmig Erlebnisse aufsammeln: Arles, Avignon, Chateauneuf-du-Pape, die Camargue, oder durch Cavaillon (wo die besten Melonen Frankreichs wachsen), hinein mitten in den legendären Luberon. Hier wohnt im Sommer jener Teil von Paris, der Geld und Geschmack hat. Ein Postkartenmotiv löst das nächste ab, und auch für Motorradfahrer hält der Höhenzug manche Beglückung bereit. Zu den Bilderbuch-Örtchen zählen Menerbes, Lourmarin, Bonnieux und, etwas weiter im Norden, Gordes. Beim Gedanken an den nächsten Winter wärmt uns jede Tour – und abends ein von der Sonne erhitzter Felsen auf den Anhöhen der Alpillen. „Schön ist es hier“, sage ich. „Und es riecht nach Rosmarin“, sagt Kurt.