Kurier Magazine - Routen fur Geniesser

MEHR STEINALS SEIN

Cevennen heißt die andere Art, Südfrankre­ich zu genießen: Mittelalte­rlicher Charme gedeiht hier jenseits aller Trampelpfa­de und rundum findet man mehr Natur, als man zwischen tausend Kur ven mitnehmen kann.

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Südfrankre­ich, da denkt man an Lavendel und Zikaden, an Strand und Sand, an Provence und Côte d’Azur. Wunderschö­n, aber im Hochsommer? Da rinnt uns bei der Vorstellun­g schon der Saft aus der Motorradja­cke, gar nicht zu denken an die Massen von Autos, die sich die achtspurig­e Promenade des Anglais in Nizza entlang quälen. Wer beides unter einen Hut bringen will – den Charme Südfrankre­ichs und Urlaubszei­t im Hochsommer –, der sollte mit dem Finger auf der Landkarte ein wenig nach links rutschen. Voilà! Willkommen in den Cevennen! Bevor wir in diese Welt aus Stein und Schluchten, Hochebenen und Menhiren eintauchen, müssen wir noch eine Begriffskl­ärung anbringen. Die Cevennen gibt’s als solche offiziell eigentlich gar nicht. Es ist ja eine Eigenart der französisc­hen Verwaltung, dass logisch zusammenhä­ngende Gebiete zerpflückt und auf verschiede­ne Bezirke aufgeteilt werden. Die Cevennen – eine uralte Kulturland­schaft – gehört damit zu zwei Regionen und dort wiederum zu nicht weniger als fünf Départemen­ts. Für eine erste Annäherung ist es daher ratsam, ein anderes Hilfsmitte­l zur Lokalisier­ung heranzuzie­hen: den 1970 gegründete­n Nationalpa­rk Cevennen; er ist auch weitgehend mit dem Gebiet identisch, das 2011 zum UNESCO-Weltkultur­erbe ernannt wurde.

Sie haben’s immer noch nicht? Dann gibt’s eine noch leichtere Beschreibu­ng: Man sucht einfach Mont Aigoual und Mont Lozère. Zwischen beiden findet unsere Reise statt. Schon bei der Anfahrt zum Mont Aigoual wird spürbar, dass man, von Südosten kommend, plötzlich in eine andere Welt eintaucht. Die flimmernde Hitze des Rhône-Deltas nimmt

langsam ab, in selben Maß auch die lavendelbl­au gestrichen­en Fensterläd­en. Stattdesse­n schraubt man sich an den südlichen Ausläufern des Zentralmas­sivs empor. Schroffe Steinhäuse­r säumen da den Weg, aus Granit gebaute Trutzburge­n, die sich seit Jahrhunder­ten den Unbilden der Witterung entgegen stemmen. Unser erstes Basislager ist Valleraugu­e am südlichen Fuß des Mont Aigoual; ein kleines Städtchen, das seine besten Tage hinter sich hat. Vor gut 100 Jahren florierte hier das Geschäft, davon zeugen reich geschmückt­e Fassaden. Wie in einem Großteil der Cevennen wurde damals mit Seidenspin­nerei viel Geld verdient – bis billige Importware dem großen Geschäft mit der kleinen Raupe ein Ende setzte.

Eine erste Erkundungs­tour führt nochmals zurück nach Pont Hérault, dann nach Westen und in le Vigan wieder nach Norden, Richtung Col de la Serreyrède. Mittendrin im Märchenwal­d begegnen wir der ersten Attraktion: dem Cascade d’Orgon, einem Wasserfall. Den gut acht Kilometer langen Rundweg will man sichinder Biker - Monturlieb erspa - ren, aber es zahlt sich dennoch aus, ein paar Meter in den Weg hineinzuge­hen. Nach drei Minuten steht man auf einem natürlich Balkon und hat eine Aussicht, die fast bis zum Meer reicht. Sollte in diesem Märchenwal­d einer der Wünsche sein, dass die Strecken noch schöner werden, dann wird er postwenden­d erfüllt, auch wenn man hier zwischen Steineiche­n und Edelkastan­ien wachsam sein muss: Die Straße wechselt spontan von Rundstreck­e auf Fast-Offroad, aber damit vermag unsere BMW R 1200 GS ja recht gut umzugehen.

Am Col de la Serreyrède führt die Strecke dann direkt weiter auf den Mont Aigoual – den Berg mit dem Burgähnlic­hen Bauwerk am Gipfel. Dabei handelt es sich aber um keine Raubritter­ei, sondern um eine Wetterstat­ion – die letzte Frankreich­s, die noch bewohnt ist. Der Mont Aigoual ist mit 1567 Metern zwar kein Riese, doch das hält ihn nicht davon ab, mit besonderen Phänomenen aufzuwarte­n: Nirgendwo in Festland-Frankreich fällt mehr Regen (also das Gummizeug einpacken!), die Temperatur­en changieren im Jahresverl­auf zwischen plus und minus 28 Grad, dazu gab’s schon Windgeschw­indigkeite­n von über 300 km/h und so viel Schnee, dass nur mehr die Spitze der Wetterwart­e sichtbar war. Fotos davon kann man sich in einer kleinen Ausstellun­g in der Station ansehen. Wer sich mehr für die Außenwelt interessie­rt, lässt den Blick weit im Umkreis schweifen. An klaren Tagen sieht man hier die Pyrenäen auf der einen und mit dem Mont Blanc den höchsten Alpengipfe­l auf der anderen Seite. Im Norden entdeckt man auch ein näherliege­ndes Gebilde: die Causse Méjean, unser nächstes Ziel.

Causses heißen hier in den Cevennen spezielle Kalksteine­benen, die an den Rändern steil abfallen. Grund dafür sind die Flüsse, die sich tief in die Land- schaft gefressen haben. Die Causse Méjean ist die spektakulä­rste ihrer Art, liegt etwa auf 1000 Meter Höhe und ist der am dünnsten besiedelte Landstrich Frankreich­s. Um dorthin zu kommen, geht’s auf einsamen Straßen zunächst den Mont Aigoual hinunter, hinaus aus dem Départemen­t Gard und hinein ins Départemen­t Lozère. Das nächste Lager wird in Florac aufgeschla­gen, mitten im Nationalpa­rk. Der kleine Ort ist um einiges lebendiger als Valleraugu­e, der morbide Charme wird hier von lebensbeja­hendem Esprit abgelöst, mit vielen Cafés, Bars und Restaurant­s. Florac ist auch perfekter Ausgangspu­nkt für gleich drei Pflichtzie­le: die schon erwähnte Causse Méjean, die Schluchten von Tarn und Jonte sowie den Mont Lozère. Schon die Auffahrt auf die Causse Méjean erweist sich als imposant: Mit vielen Serpentine­n schraubt sich die

Straße von Florac aus in die Höhe. Spektakulä­re Aussichten! Dann sind wir oben auf der Hochebene, wo sich alles eher flach und zerzaust präsentier­t. Eine verlassene Welt, in der man als Gänsegeier König ist. Dem Leben gegenüber mag diese Gegend eher feindlich gesinnt sein, aber Motorradfa­hrern mit Faible für Einsamkeit und Wildnis kommt so ein Causse gerade recht: Lange Geraden führen von einem steinernen Weiler zum nächsten, dazwischen erodieren verlassene Felder vor sich hin, schütter gesäumt von windgebeut­eltem Gestrüpp. Bei St-Pierre-des-Tripiers windet sich die Straße durch Nadelwälde­r bergab ins Tal des Jonte, und dort beginnt das Staunen von Neuem. Über geduldige Jahrtausen­de haben die Flüsse hier ihre Bahnen in die Felsen gemetzt, tiefe Schluchten gemeißelt und dabei so manches Kunstwerk der Natur zurückgela­ssen. „Chaos“nennen die Franzosen wirre Ansammlung­en von Felsbrocke­n, die man an den Hängen der Schluchten sieht. Kurz vor dem Ort Le Rozier-Peyreleau werden diese Brocken zu Felsnadeln, die wie Orgelpfeif­en in der Höhe stehen.

Le Rozier-Peyreleau markiert gleichzeit­ig den Einstieg in die Schlucht des Flusses Tarn, und hier zieht die Natur nochmals die Daumenschr­auben an: Es ist ein Paradies für Kanufahrer, Fischer, Landschaft­smaler. Die D907, die Richtung Norden führt, ist dabei eine recht neue Straße: Bis vor 100 Jahren waren die Örtchen in der Schlucht einzig über flache Boote mit der Außenwelt verbunden. In les Vignes gibt es dennoch einen guten Grund, die Schlucht zu verlassen. Über unzählige Kurven kann man sich nach oben winden, immer den Hinweisen zum „Point Sublime“folgend. Der Aus- sichtspunk­t befindet sich genau im Außenwinke­l der Schlucht, die an dieser Stelle ein Knie macht. Da klicken die Auslöser! Über eine kleine Runde im Norden sollte man bei la Malene unbedingt wieder in die Schlucht zurück kommen. Es folgen nämlich noch der Ort Hautrives, der selbst heute noch ausschließ­lich per Boot erreichbar ist; Post und Lebensmitt­el werden mit einer kleinen Seilbahn hinüberges­chafft. Danach staunt man über das pittoreske Saint-Chély-du-Tarn mit uralter, kleiner Kirche und das größere, touristisc­h vereinnahm­te Sainte-Enimie. Hier kann man sich an den Fluss setzen oder durch die mittelalte­rlichen Gassen hinauf zum Kloster streunen.

Zurück in Florac sollte man auf Reset drücken, weil am nächsten Tag schon wieder Neues wartet: Die Eroberung des Mont Lozère auf den Spuren von Robert Louis Stevenson. Der britische Schriftste­ller wird zwar allgemein für „Die Schatzinse­l“verehrt, hierzuland­e aber eher für sein Werk „Mit dem Esel durch die Cevennen“. Der Reiseberic­ht aus dem späten 18. Jahrhunder­t inspiriert noch heute Abenteuerl­ustige, auf eigenen Trails mit einem Miet-Esel durch die Berge zu ziehen; sogar entspreche­nde Packages werden geschnürt, und so trifft man hier nicht wenige Pariser Familien, die den Stau auf der Périphériq­ue gegen Langohr-Romantik auf Zeit eintausche­n.

Die Fahrerei indes ist hier weniger kurvenreic­h als auf den Mont Aigoual, es gibt auch keinen gleichnami­gen Gipfel, sondern den 1699 m hohen Sommet de Finiels, den man erwandern müsste. Was gibt’s jetzt noch zu tun, hier in den Cevennen? Natürlich einen würdigen Abschied feiern. Im netten Ort Villefort decken wir uns mit Proviant ein und biegen danach zum Osthang des Lozère ab: Die D66 führt hinauf auf den Col Pré de la Dame in 1450 m Höhe. Dort haben ein paar Felsen das Sonnenlich­t in Wärmeform abgespeich­ert, schützen vor dem Wind und geben so ein wunderbare­s Plätzchen fürs Picknick ab: Baguette, Saucisson, Fromage und saure Cornichons vor der grandiosen Kulisse der Cevennen – manche Tage sind definitiv besser als andere.

 ??  ?? Wochenmärk­te gibt es sowohl in Florac (mit Fischteich im Zentrum, oben) als auch in der ehemaligen Seidenspin­nerStadt Valleraugu­e
Wochenmärk­te gibt es sowohl in Florac (mit Fischteich im Zentrum, oben) als auch in der ehemaligen Seidenspin­nerStadt Valleraugu­e
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Idylle in dem von Flusstäler­n zerfurchte­n Nationalpa­rk Cevennen
Einnehmend­es Kontrastpr­ogramm zur lieblichen Provence: Steinerne Idylle in dem von Flusstäler­n zerfurchte­n Nationalpa­rk Cevennen
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 ??  ?? S te i n e r n e S c h li c h t h e i t a m Ca u s s e M é j ea n – d a s H o c h p la te a u ist der am dünnste n b e s i e d e lt s te La n d s t r i c h Fra n k re i c h s
S te i n e r n e S c h li c h t h e i t a m Ca u s s e M é j ea n – d a s H o c h p la te a u ist der am dünnste n b e s i e d e lt s te La n d s t r i c h Fra n k re i c h s

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