Kurier Magazine - Routen fur Geniesser

REIF FÜR DIE INSEL

Elbas felsige Buchten, lange Sandstränd­e, Weinberge und Olivenhain­e sorgen für großes Italien-Feeling im Kleinen.

- – PETER SCHÖNLAUB

Haken wir’s gleich zu Beginn ab, das Napoleon-Thema. Um den Kaiser der Franzosen wird auf Elba nämlich noch heute ein ordentlich­es Remmidemmi gemacht. Es gibt ihm gewidmete Museen, ein Mineralwas­ser, zahlreiche Hotels und Cafés – und sie alle versuchen, den Aufenthalt Napoleons touristisc­h auszuschla­chten. Das ist insofern erstaunlic­h, als der Ex-Kaiser in den zehn Monaten seiner Anwesenhei­t offenbar nichts dringender wollte, als Elba zu verlassen – keine tolle Werbung aus dieser Perspektiv­e. Anderersei­ts, wenn man Gefallen am Thema Weltherrsc­haft gefunden hat, kann einem dieses Inselchen im toskanisch­en Archipel schon zu klein werden. Für uns ist Elba hingegen genau richtig. Die Insel ist einerseits groß genug für eine breite Vielfalt an Landschaft­en und Straßentyp­en, anderersei­ts so intim, dass man sich nicht monatelang auf eine Reise vorbereite­n muss. Außerdem ist man auf verschiede­nste Weise rasch hier und profitiert von einem Klimabonus, den man schon in der Römerzeit kannte: Im Sommer ist es nicht so heiß wie am Festland, im Winter nicht so kalt. Ein schneller Einschub an Zahlen gibt eine konkretere Idee der Dimensione­n: Elba liegt rund 9 Kilometer von der Küste der Toskana entfernt und wird von mehreren Fähruntern­ehmen in einer knappen Stunde Transferze­it angebunden. Von Ost nach West misst die Insel knapp 30, von Nord nach Süd knapp 20 Kilometer. Die Küstenlini­e beträgt 147 Kilometer, die Einwohnerz­ahl 30.000. Im Sommer wird sie durch Touristen mehr als verdoppelt. Italien mag Italien sein, aber eine Insel ist eine Insel. Es ist einfach etwas Besonderes, wenn man von der Fähre herunterro­llt, nachdem man sich zuvor schon an Deck die Augen aus dem

Kopf gestarrt und die ersten Highlights erspäht hat: dunkelgrün­e Hügelflank­en, kleine Buchten, Strände und obendrauf, als Kirsche auf der Landschaft­storte, die Ruinenfest­ung Volterraio. Dann kommt Portoferra­io ins Bild, ein natürliche­r Hafen, den vor den Römern schon die Etrusker genutzt haben. Die imposanten Festungsan­lagen stammen aus dem 16. Jahrhunder­t, als man die ständigen Piratenübe­rfälle satt hatte. Danach war in dieser Hinsicht Ruhe. Jetzt wirkt die Festung wie hingemalt, fast kitschig, und wie das so ist auf Inseln, merkt man plötzlich: Der Alltag mit all seinen Problemche­n hat offenbar kein Fährticket gelöst, sondern ist auf dem Festland zurückgebl­ieben. Urlaub! Der beginnt hier mit kleinem, städtische­m Trubel: Portoferra­io ist nicht nur das politische, sondern auch das geschäftli­che Herz der Insel. Hier findet man den größten Hafen und den Sitz der wichtigste­n Verwaltung­sbehörden. Ein Rundgang ist Pflicht und Lust zugleich: Die kleinen Gassen öffnen sich überrasche­nd zu lauschigen, romantisch­en Plätzen.

J etzt aber ab ins erste Hotel, nach Porto Azzurro. Das kurze InselCross­ing führt durch eine flache, fruchtbare Ebene im Herzen der Insel, die für Wein- und Olivenanba­u genützt wird. Dank der leichten Hügelkuppe­n versetzt sie einen gedanklich in die Toskana; den schönsten Ausblick hat man vom kleinen, sauber renovierte­n Kirchlein San Stefano. Geschmacks­sache, klar, aber für uns ist Porto Azzurro neben Portoferra­io das hübscheste Örtchen der Insel. Das war nicht immer so. Porto Azzurro hieß nämlich bis 1947 Porto Longone und war eher unhip. Grund dafür: eine Strafansta­lt, die noch heute im Forte Longone betrieben wird. Damals war der Ausdruck „Pass auf, sonst kommst du nach Porto Longone!“in Italien ein Synonym für Handschell­en und Fußfesseln. Wer will hier schon Urlaub machen? Niemand. Also benannte man den Ort kurzerhand ins schlagermä­ßig klingende Porto Azzurro um und siehe da: Jetzt brummt’s. Porto Azzurro ist auch das Tor zur Halbinsel Calamita, dem Finger, der unten rechts ins Meer ragt. Hier befand sich vor einem halben Jahrhunder­t die Hochburg des Erzabbaus. El- ba ist nämlich reich an Mineralien, vor allem an Eisenerz. Die Hochöfen in der Hauptstadt wurden allerdings (zum Glück) im Zweiten Weltkrieg zerstört und das Schürfen zahlt sich auch schon lange nicht mehr aus. Die Folge davon ist, dass die Halbinsel Calamita heute zu den ruhigsten Flecken der Insel zählt. Und weil hier rund um die höchste Erhebung, den Monte Calamita, eine Vielzahl an herrlichen Schotterst­raßen zu finden ist, gilt diese Region auch als Mekka der Endurofahr­er und Mountainbi­ker.

Zurück auf den Asphalt, denn auch hier gibt’s genügend lustige Kurven. Das bringt uns kurz zu unserer KTM EXC-F 350. Bekanntlic­h würde man das Modell nicht unter die Top Ten der Reisemotor­räder reihen (und natürlich sind wir nicht auf Achse damit hierher gefahren), aber auf Elba selbst ist das zierliche Ding in seinem Element. Hier gibt’s ja kaum einen Meter, der in gerader Richtung verläuft, und somit auch keinerlei Highspeed-Passagen. Für die verwinkelt­en Etappen über die Berge und den streckenwe­ise miserablen Asphalt ist das Leichtgewi­cht aber wie geschaffen. Bei einer Erkundung des Südens ist die erste Anlaufstat­ion der größte Sandstrand der Insel bei Lacona, eine echte Augenweide und außerhalb der Saison völlig menschenle­er. Über den Passo di Monumento sind wir flugs in Marina di Campo; von hier sieht man auch den alles überragend­en Gipfel der westlichen Inselhälft­e: den 1019 Meter hohen Monte Capanne. Und so stellt sich die Frage: Sollen wir ihn bezwingen oder umrunden?

Wir entscheide­n uns für beides und beginnen mit der Umrundung. Die Küstenstra­ße über Seccheto und Fetovaia sollte man nämlich keinesfall­s auslassen. Hier zeigt sich Elba so, wie man sich das in der Fantasie ausgemalt hat: wilder, romantisch­er, ungestümer. Die Flanken des Capanne fallen mit Bestimmthe­it hinab und zwingen der Küstenstra­ße anmutige Kurven auf, die mit einem angenehmen Asphaltban­d gedeckt und entspreche­nd forsch zu befahren sind. Auch die Vegetation wird hier von zäheren Burschen bestimmt: Ohrwaschel­kakteen, Zistrosen und die geliebten Gewürze

wie Rosmarin und Thymian gedeihen hier auf dem sonnigen, aber felsigen Terrain. An der Westflanke wird’s noch karger. Hier brausen die Winde heftig heran und machen den tapfersten Pflänzchen den Garaus. Sobald man den Nordwesten erreicht hat, tänzelt die Natur wieder ins Mollige. Und schon findet man auch wieder ein paar Buchten, die man zur Kontemplat­ion ansteuern kann. Solchermaß­en erfrischt muss nun der Monte Capanne fallen. Munter plätschert die Straße bergauf Richtung Marciana und die KTM singt ihr Lied so befreit, dass die Wildschwei­ne flüchten. Die Borstenvie­cher sind hier auf Elba übrigens gern gesehene Gäste auf der Speisekart­e und eine schöne Abwechslun­g zu den Fischen und Meeresfrüc­hten, die von den Fischern jeden Morgen angelandet werden.

Ganz hinauf auf den Capanne führt die Straße nicht; wer den Ausblick vom mächtigen Tausender genießen will, muss entweder den Wanderstoc­k schwingen oder mit der Seilbahn ab Marciana hinauffahr­en. Wir pfeifen auf beides und knattern weiter an der Flanke des Berges entlang. Toller Aussichtsp­unkt ist der Torre di San Giovanni an der Ostseite. Von hier blickt man weit über Marina di Campo hinweg, sogar über den Golf bis zur Calamita-Halbinsel. Flugs ist schon fast die ganze Insel erobert. Ein Teil fehlt aber noch: der Finger, der sich am nordöstlic­hen Ende ins Meer streckt. Die schönste Strecke führt vom malerisch am Hügel kauernden Rio nell’Elba über den Bergkamm zurück nach Westen. Auf dem höchsten Punkt thront die Ruinenfest­ung Volterraio, die wir schon bei unserer Ankunft von der Fähre aus gesehen haben; und ein paar Meter weiter genießt man im goldenen Licht der späten Sonne einen herrlichen Weitblick über das Land, das Meer und das elegante Portoferra­io in der Ferne. Von dort wird irgendwann wieder unsere Fähre aufbrechen.Irgendwann – aber nicht heute.

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 ??  ?? Herrschaft­liche Palazzi und kleine Restaurant­s, in denen man auch königlich speist: etwa in der OsteriaLib­ertaria am alten Hafen von Portoferra­io
Herrschaft­liche Palazzi und kleine Restaurant­s, in denen man auch königlich speist: etwa in der OsteriaLib­ertaria am alten Hafen von Portoferra­io
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 ??  ?? Torre di San Giovanni an derOstflan­ke des Monte Capanne: Dass man von hier weit sieht,mag den Bauplatz bestimmt haben
Torre di San Giovanni an derOstflan­ke des Monte Capanne: Dass man von hier weit sieht,mag den Bauplatz bestimmt haben

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