AM ANFANG WAR DER KLIMAWANDEL
Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, der als Garant weltlicher und kosmischer Ordnung galt, setzt entsprechende Weltbilder voraus. Bei deren Entwicklung spielte der Klimawandel eine Rolle.
Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, setzt entsprechende Weltbilder voraus. Bei der Entwicklung spielte der Klimawandel eine Rolle.
WIE ÄGYPTEN ENTSTAND. Sir William Matthew Flinders Petrie war ein exzentrischer Pedant, der seine Mannschaft auf trockenen Zwieback setzte und Singen auf dem Grabungsgelände streng untersagte. Und er gilt als Begründer der ägyptischen Archäologie. Der Brite stieſs Ende des 19. Jahrhunderts auf Zeugnisse der ägyptischen Vorgeschichte. In Naqada (siehe Grafik rechts) legte er Gräber frei. Keramik inklusive. Wie ein gigantisches Puzzle setzte er die Gefäſse wieder zusammen und brachte sie in eine Reihenfolge, sodass er erkennen konnte, welcher Gefäſstyp sich aus einem anderen entwickelt hatte. Die Überraschung: Seine Keramikreihe begann in der ägyptischen Vorzeit – Petrie hatte den Beweis für eine uralte, nichtpharaonische Kultur entdeckt, die offensichtlich Jenseitsvorstellungen und ein geordnetes Gemeinwesen hatte. Inzwischen gilt als sicher, dass die ägyptische Kultur im Niltal selbst ihren Anfang nahm, als Landwirtschaft und Vorratshaltung eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft hervorbrachten. Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, der den Ägyptern als Garant weltlicher und kosmischer Ordnung galt, setzt entsprechende Weltbilder und religiöse Vorstellungen voraus. Bei deren Entwicklung spielte der Klimawandel eine Rolle. Heute wissen wir, dass die Sahara noch vor etwa 8000 Jahren eine grasbewachsene Savanne war. Es gab Regen, Oasen bildeten sich, in denen die Nomaden ihre Rinderherden hielten. Doch dann begann die Wüste immer näher an den Nil heranzukriechen. Den Menschen blieb keine Wahl als dorthin zu gehen, wo sie mit wilden Tieren um den Lebensraum konkurrieren mussten. „Mit der Ausbreitung der Wüste ziehen sie in das unbeliebte Niltal. Es war ein Sumpfgebiet, das erst gerodet werden musste und wo sich Krankheiten ausbreiteten“, sagt der Ägyptologe Tarek Tawfik. Die Menschen machten sich also daran, die Nil-wildnis urbar zu machen, die bis dahin gefürchteten Überflutungen zu nutzen und den Morast für Getreidefelder trockenzulegen. Wenig verwunderlich: Man begann den Fluss als Heilsbringer anzubeten. So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.
HOTSPOTS. Als ein ganzer Landstrich in den 1960er- und 1970er-jahren in dem sich füllenden Nasser-stausee verschwand, koordinierte die UNESCO etliche Grabungsprojekte, um die Hinterlassenschaften der Vergangenheit zu retten oder wenigstens zu dokumentieren. Dabei kamen im Niltal, in der Westwüste und in den dortigen Oasen auch Zeugnisse menschlicher Tätigkeit zum Vorschein, die bis in die ausgehende Altsteinzeit um 20.000 v. Chr. zu »
datieren waren. Inzwischen bildet die Vorgeschichte einen Schwerpunkt der Ägyptologie. Hotspots sind im 4. Jahrtausend v. Chr. Hierakonpolis, Naqada oder Abydos, aber auch Tarkhan, wie die Expertin für die ägyptische Frühzeit Christiana Köhler von der Universität Wien erklärt (zu den Fundorten: siehe auch Grafik Seite 13) . Heute sprechen die Forscher von Badari-, Naqada- oder Maadi-buto-kultur. An jedem dieser Orte hofft man mehr darüber herauszufinden, wie die hierarchische Gesellschaft der Pharaonenzeit entstanden ist. „Die Orte waren kommerzielle Zentren, Märkte an Handelsrouten. Langsam bildeten sich Eliten heraus, die sich am besten mit Häuptlingsstrukturen vergleichen lassen“, erklärt Köhler. „Jeder machte sein Ding, man stand aber miteinander in Kontakt, betrieb Handel und kontrollierte sein eigenes kleines Territorium.“Möglicherweise gibt es hin und wieder Konkurrenzkämpfe um Warenzugang und Handelswege. Und: Es entwickeln sich Gesellschaften, die mehr und mehr hierarchisch organisiert sind, bis es in diesen Zentren am Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. zur Ausprägung früher Königtümer kommt. „Aber das ist nicht über Nacht passiert. Es war ein sehr langer Prozess“, sagt Köhler.
VERRÄTERISCHE GRÄBER. Woher man das weiſs? Ab 3550 v. Chr. werden manche Verstorbenen der Naqada-iikultur statt wie bisher üblich in einfachen Gruben in groſsen, rechteckigen Eintiefungen beerdigt, deren Wände mit ungebrannten Lehmziegeln ausgekleidet waren. Ein Sarg aus Holz oder Keramik ersetzte das Tierfell, immer mehr Grabbeigaben sollten den Toten im Jenseits absichern. Allmählich verbreiteten sich diese Bestattungsbräuche – wie auch die Machart der Keramiken – nach Norden hin bis zum Delta und nach Süden in das sudanesische Nubien. Forscher sehen darin ein Indiz dafür, dass es zwar zunächst eine Reihe von Königreichen gegeben hat, diese sich aber durch Bündnisse und Hochzeiten nach und nach einander annäherten, bis es beginnend mit der Naqada-iizeit nur noch einen groſsen Kulturkreis in Ägypten gab. Auch die Töpferwaren dieser Epoche sprechen dafür: Plötzlich waren sie landesweit den gesamten Nil entlang gleich, ebenso wie die Gerätschaften aus Feuerstein, Knochen oder Elfenbein. Mit einer Überraschung konnte Michael Dee dann 2013 aufwarten: Dem Archäologen der Universität Oxford gelang es mit modernsten wissenschaftlichen Methoden, den Zeitraum der prädynastischen Periode genau einzugrenzen. Die Zeit vom Sesshaftwerden in der Jungsteinzeit bis zur 1. Dynastie entpuppte sich als viel kürzer als bisher angenommen. Während die Ägyptologen ihren Beginn bisher um 4000 v. Chr. vermuteten, konnte Dee ihn zwischen 3800 und 3700 vor Christus verorten. „Die Ursprünge Ägyptens begannen ein Jahrtausend vor dem Bau der Pyramiden“, ist Dee sicher.
ERSTE STÄDTE. Auch, wo eine der ersten Städte entstand, glaubt man zu wissen: Hierakonpolis (griechisch für Fal- kenstadt) liegt 80 Kilometer südlich des modernen Luxor auf einer Anhöhe. Anfangs noch kein zusammenhän- gender Ort, wuchsen bis 3500 v. Chr. mehrerehöfeunddörferzurresidenz der oberägyptischen Häuptlinge zu- sammen.hiererbautendiemenschen den Göttern den ersten Tempel des Niltals, hier entstand Kunsthand- werk, man war wohlhabend und got- tesfürchtig. Die Menschen glaubten fest an ein Leben nach dem Tod. Um die Grabstätten der Mächtigen auszustatten, war den frühen Ägyptern nichts zu wertvoll, nicht einmal das Leben. So fanden Forscher in Abydos die Gebeine junger kräftiger Menschen – geopfert, um ihren Fürsten im Jenseits zu dienen. Mit diesem Totenkult gewann Abydos, wo die Ägypter den Eingang zu Unterwelt vermuteten, an Bedeutung. „Im Moment sieht es – mit groſser Vorsicht – danach aus, dass sich in Abydos eines dieser Königtümer sehr rasch entwickelt hat und es dort um 3100 v. Chr. zur Herausbildung von wirklich dominantenpersönlichkeitengekommen ist“, sagt Köhler. „Es scheint, als ob diese Herrscher groſsen Einfluss auf ihre Rivalen, die anderen Könige, hatten. Wir wissen aber nicht, ob die miteinander im Krieg gelegen haben, ob sie, aufgrund von Handel und wirtschaftlichemdruck,gezwungenwur
mitzuspielen, oder, ob sie es freiwillig gemacht haben.“
ERSTER PHARAO. Und der allererste Pharao? Köhler: „Es verdichtet sich im Moment alles um König Narmer herum. Er hatte eines der wirklich frühen Gräber in Abydos, wir kennen sehr viele Inschriften im Westen Ägyptens, die darauf hindeuten, dass er eine der wirklich führenden Persönlichkeiten war, die zur politischen Vereinigung Ägyptens beigetragen haben.“Das berühmteste erhaltene Stück ist eine Schminkpalette, eine Tafel aus grünem Schiefer, auf der Augenschminke angerührt wurde. Sie zeigt den Herrscher, der um 3050 v. Chr. den Thron bestieg, wie er mit einer Keule einen Feind erschlägt. Künstlerische Freiheit, denkt Köhler, die einen Friedhof in der Nähe von Memphis, der Hauptstadt des frühen ägyptischen Reiches, erforscht hat, in dem die normale Bevölkerung beerdigt wurde. „Den Leuten hat es an nichts gefehlt. Sie waren gesund, hatten keine Kriegstraumata. Es sieht nicht danach aus, als ob die Vereinigung Ägyptens mit Umstürzen und groſser Gewalteinwirkung verbunden gewesen wäre“, sagt sie. Also: „Noch ganz viel zu forschen in diesem Punkt.“Sicher scheint aber, dass Narmer ein System etablierte, das für das pharaonische Königtum wegweisend war. Er fungierte als Mittler zu den Göttern und wachte über die Regelmäſsigkeit der Überflutungen, vertrat die Interessen seiner Untertanen gegenüber den Göttern. Die pharaonische Zivilisation sollte fast drei Jahrtausende bestehen bleiben. ■