HERR PROKESCH UND DIE PHARAONEN
Wie es kam, dass ausgerechnet ein Agent des Staatskanzlers Metternich und ein steirischer Bauernbub den Österreichern im 19. Jahrhundert das Land am Nil nahebrachten.
Wie es kam, dass ein Agent des Staatskanzlers Metternich und ein steirischer Bauernbub den Österreichern im 19. Jahrhundert das Land am Nil nahebrachten.
Glaubt man einigen Quellen, hat ein Österreicher Anteil am Entziffern der Hieroglyphen: Anton Prokesch von Osten, der mit Jean-françois Champollion und Ipollito Rosellini (siehe Geschichte rechts) korrespondierte. „Ursprünglich war er der Herr Prokesch aus Graz“, erzählt Archäologe Ernst Czerny mit einem Augenzwinkern. 1795 als Sohn eines Gutsverwalters geboren, beginnt er 1812 am Grazer Lyzeum ein Jus-studium. „Danach hat er am napoleonischen Kriegszug teilgenommen, wurde 1818 Adjutant von Feldmarschall Schwarzenberg und war ein Vertrauter des Herzogs von Reichstadt, des Sohns von Napoleon mit Marie-louise von Österreich.“Ehrgeizig und geschickt, erreichte er früh hohe militärische Ränge. Czerny: „Er wurde 1830 sogar in den Freiherrnstand erhoben.“Das Prädikat „von Osten“legte sich Anton Prokesch übrigens selbst zu. Das dürfte kein Zufall gewesen sein: Zehn Jahre zuvor war er zu Besuch bei Johann Wolfgang von Goethe. Und dieses Treffen dürfte Prokesch geprägt haben, denn Goethe hat ihm aus seinem west-östlichen Diwan vorgelesen, in dem sich der Dichter in die orientalische Literatur versenkte.
FORTSCHRITTLICHER GOETHE. In einer Zeit, in der sich religiöse Vorurteile hartnäckig hielten, war Goethes Bild fortschrittlich: Der Dichter sah den Orient und die Antike als ebenbürtig an, und so sah es nun auch Prokesch. Er wurde Agent Metternichs. Seine Auftrag: Seeräuber bekämpfen, die den österreichischen Ägäishandel bedrohten. Später wurde Prokesch – mittlerweile General – auch Diplomat und der erste Botschafter im neu gegründeten Staat Griechenland – und Ägypten wurde von Athen aus mitbetreut. 1827 reiste Graf Prokesch als Geheimberichterstatter Metternichs an den Nil, um die ägyptische Armee zu inspizieren. „Er war unglaublich kulturinteressiert und wollte diese Reise unbedingt nutzen, um das alte Ägypten kennenzulernen“, sagt Czerny. „Obwohl er nur drei Monate dort war, ist er bis nach Nubien gekommen. Er hat ein dreibändiges Werk über Ägypten geschrieben und eines über Nubien – die erste österreichische Ägyptenstudie.“Prokesch war es auch, der die erste wissenschaftlich korrekte Karte von Nubien gezeichnet hat. All das ist in Österreich natürlich nicht verborgen geblieben. Auf seinem Weg den Nil entlang in die Geschichte des alten Ägypten hat der Diplomat auſserdem alle Pharaonennamen notiert, die ihm unterkamen. „Er versuchte, daraus eine Liste der ägyptischen Könige zusammenzustellen und chronologisch zu ordnen. Diese Idee lag 1830 in der Luft“, berichte Czerny. „Das hat Champollion versucht und Rosselini auch. Doch erst mit Karl Lepsius waren all die Listen der Amateure obsolet.“Aber der war ja auch der Gründervater der Ägyptologie (siehe Geschichte rechts) . Apropos Ägyptologie: Die wurde in Österreich von einem weststeirischen Bauernbub begründet. Leo Reinisch, als fünftes von neun Kindern auf einem Bergbauernhof in der Einschicht geboren, war schon als Kind besonders wissbegierig. Daher sollte er Priester werden, war das doch für armer Leute Kind die einzige Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren. Er kam auf das kirchliche Gymnasium nach Graz, wo er wegen seiner sprachlichen Begabung sofort auffiel. Czerny: „Tatsächlich studierte er dann in Wien Sprachen, weil es in Österreich noch keine Möglichkeit gab, Ägyptologie zu studieren.“Längst von der Ägyptomanie gepackt, hatte er sich im Selbststudium alles beigebracht. Er dissertierte in Tübingen und wurde zum ersten wissenschaftlichen Ägyptologen Österreichs.
UND ÖSTERREICH?
trägt: Demotisch, Griechisch und Hieroglyphisch. Nur: Der Gelehrtentross konnte mit dem gut einen Meter hohen Steinklotz wenig anfangen. Abdrücke der Inschriften wurden nach Frankreich gesandt. Erstklassige Koryphäen widmeten sich den Schriftkopien, ohne den Text wirklich entschlüsseln zu können. Erst zwei Jahrzehnte später wurde ein Wunderkind auf den „Stein von Rosette“aufmerksam: Jean-françois Champollion, Sohn eines Buchhändlers aus Figeac. Schon mit vier Jahren lieſs sich der wissbegierige Knirps von der Mama lange Abschnitte aus ihrem Messbuch vorlesen. Mit dreizehn begann er, orientalische Sprachen zu lernen, mit fünfzehn schrieb er sich an der Akademie der Wissenschaften in Grenoble ein, mit achtzehn beherrschte er acht antike Sprachen plus Chinesisch. Am 14. September 1822 schlieſslich soll der junge Sprachforscher, mittlerweile zum Geschichtsprofessor avanciert, wie von Sinnen zu seinem älteren Bruder Jacques-joseph ans Institut de France in Paris gelaufen sein, um zu verkünden: „Ich hab’s!“, ehe er vollkommen erschöpft zusammenbrach. Fünf Tage habe es gedauert, bis er sich wieder erholt hatte. Was genau dem gerade einmal 31jährigen Champollion gelungen war, führte er dann in seiner berühmten Abhandlung vom 27. September 1822 an der französischen Akademie der Inschriften und Literatur vor einem teils fassungslosen Publikum aus. Die ägyptischen Hieroglyphen, erklärte Champollion, seien ein höchst komplexes Mischsystem aus Lautzeichen und Bildsymbolen. Zum Beweis übersetzte er den reichlich unbedeutenden Text – eine Dankadresse der Priesterschaft von Memphis an einen Pharao. Die Rivalen und Neider überschütteten ihn trotzdem mit Spott und Kritik.
GELD DER HABSBURGER. Auf der Suche nach weiteren ägyptischen Schriften verbrachte Champollion die darauffolgenden Jahre in Italien. 1828 brach er schlieſslich selbst nach Ägypten auf. „Das ist insofern spannend, als es Champollion nicht schaffte, eine französische Expedition auf die Beine zu stellen und sich mit Ippolito Rosellini, einem Professor für orientalische Sprachen in Pisa, zusammentat“, erzählt Ernst Cerny. Rosellini ist es gelungen, den Herzog der Toskana dazu zu bewegen, die Expedition auszustatten. „Das wird gerne vergessen, dass diese Forschungsreise – die sogenannte Französisch-toskanische-expedition – erst durch habsburgisches Geld möglich wurde.“Als Champollion kurze Zeit später starb, waren bei Weitem noch nicht alle Rätsel gelöst. „Champollion hat den ersten Schritt gesetzt, doch nach seinem Tod gab es eine gewisse Stagnation“, sagt der Wissenschafter. „Bis dann die ultimative wissenschaftliche Expedition kam – die preuſsische von Karl Lepsius“(1842–1845). Lepsius, 1810 in Sachsen-anhalt geboren, kam als junger Sprachforscher in Rom mit der Ägyptenforschung in Berührung und wollte das Werk von Champollion fortsetzen. Czerny: „Lepsius ist für die Ägyptologie des 19. Jahrhunderts die wahrscheinlich wichtigste Figur. Die Aufnahme der Denkmäler nach wissenschaftlichen Kriterien, das Verständnis für das Totenbuch und die Königsabfolge – die Forscher vor ihm sind da völlig im Dunkel getappt. Er ist die absolute Lichtgestalt, der Gründervater dieser Wissenschaft.“■