WO TUTANCHAMUN KÜNFTIG WOHNEN WIRD
Es ist ein Projekt pharaonischen Ausmaſses: Ägypten baut für den berühmtesten Herrscher der Geschichte das weltgröſste Museum. Hier lesen Sie, was Sie erwartet.
Es ist ein Projekt pharaonischen Ausmaſses: Ägypten baut für den berühmtesten Herrscher der Geschichte das weltgröſste Museum. Was Sie erwartet.
LOKALAUGENSCHEIN. Kairo im Winter 2018/2019. Tutanchamuns Unterhosen sind bereits eingetroffen. Vorsichtig hat die Restauratorin eines der etwa 3400 Jahre alten Leinendreiecke, die vor bald 100 Jahren im berühmtesten Grab der Welt gefunden worden waren, ausgebreitet. Fünf Monate lang wurde der Stoff mittels Röntgen und C14 analysiert. Die Restaurierung selbst dauerte einen Monat. Man wollte sicher gehen, dass man die bestmögliche Arbeit macht. „145 sind es insgesamt, teils waren sie gefaltet, teils nicht. Die gefalteten sind von Tutanchamun getragen worden, wir konnten sogar das Waschmittel analysieren“, berichtet Sara Hassan, die durch das Conservation Center des Grand Egyptian Museum (GEM) führt. Seit 2010 wird hier der Schatz des Tutanchamun vorbereitet, denn die Ägypter bauen für den berühmtesten Pharao der Geschichte das weltgröſste Museum. Wobei: Im GEM sollen 50.000 antike Objekte von der Ur- bis zu griechischrömischen Geschichte auf fünfzehn miteinander verbundenen Galerien gezeigt werden – „ein Drittel davon erstmals“, sagt der Direktor des Hauses, Tarek Tawfik. Eigentlich hätte es Ende des Vorjahres soweit sein sollen: „Wir wollten eine Teileröffnung mit der kompletten Tutanchamunsammlung.“Der Blick des Besuchers wandert ungläubig über die Baustelle, auf der nichts fertig ist, auſser den Restaurierungslabors. Überall türmen sich Sandhaufen, Laster fahren mit lautem Piepen rückwärts durch die Mega-anlage. Rohre und Kabel hängen aus der Betonfassade, das Gebäude, riesig wie ein Flughafen-terminal, ist teils noch
Wenn sie Tutanchamun und die Mumien in Libyen oder der Wüste ausstellen, werden die Leute hinkommen. Zahi Hawass, Ägyptologe, über die Faszination Mumien
ein Stahlgerippe. Überall tummeln sich statt Besuchern Bauarbeiter. Im gewaltigen Atrium steht etwas verloren nur die Statue von Ramses II. herum. „Jetzt gibt es die Anweisung des Präsidenten, dass wir es bis 2020 schaffen müssen“, seufzt Sara Hassan. „Es ist eine Herausforderung.“Jeden Tag kann es wieder so weit sein. Wann genau, weiſs nur Direktor Tawfik: Dann wird ein Lkw weitere Stücke vom weltberühmten Ägyptischen Museum am Tahrirplatz über den Nil durch die smoggrauen Häuserschluchten und die Ring Road Richtung Südwesten ins Museum bringen. Von hier aus ist es nicht weit bis zu den Resten eines der sieben Weltwunder der Antike, den Pyramiden von Gizeh. Die mächtigste der drei, vor knapp 4500 Jahren errichtet als Grabmal für Pharao Cheops, thront in Sichtweite der Baukräne. Und das ist durchaus so gewollt und Teil des Konzepts der Architekten (siehe Seiten 32, 33) . Jeder der Transporte ist ob der Schlaglöcher ein Wagnis, wird wegen der ewig verstopften Kairoer Straſsen geheim gehalten und in der Nacht durchgeführt. Noch sei alles heil angekommen, versichert man. „600 der berühmtesten Stücke bleiben vorerst im Museum am Tahrirplatz, zum Beispiel die Maske, der gesamte Goldschmuck und der goldene Sarkophag des Königs. Sie werden erst kurz vor der Eröffnung ins neue Museum gebracht. Gold hat eine wunderbare Eigenschaft: Es baucht nicht viel Konservierungsarbeit, deshalb kann man es kurzfristig übersiedeln“, sagt Tawfik.
PLÜNDERUNG. Sabah Abdel-razek, studierte Ägyptologin und seit 2016 Direktorin des altehrwürdigen »
Ägyptischen Museums im Zentrum Kairos, macht unterdessen gute Miene zur Plünderung ihres Hauses. Das alte Ägyptische Museum sei ein sehr reiches Museum – mit an die 170.000 Exponaten. Das GEM wird davon an die 60.000 übernehmen. Daher werde das alte Museum weiterhin sehr reichhaltig sein: „Viele wichtige Stücke werden am Tahrirplatz bleiben, vor allem die berühmte Sammlung rund um Tutanchamuns Urgroſseltern, Juja und Tuja, Statuen der Pharaonen Cheops, Djoser und Echnaton sowie die Tiermumiensammlung“, sagt Abdel-razek . Apropos Mumien: Die königlichen Mumien, einer d e r Publikumsrenner, werden ins National Museum of Egyptian Civilization (NMEC) abgezogen.
KONKURRENZ. Das zweite gigantische Museumsgroſsprojekt in Al Fusan im Süden Kairos, etwa acht Kilometer vom Zentrum, liegt idyllisch an einem See. Und hat etwas von einer Geisterstadt an sich. Praktisch fertig gebaut, ist derzeit nur ein Saal mit Keramik aus der Frühzeit, einem ägyptischen Streitwagen und Schmuck in Betrieb; Besucher suchten wir bei unserem Lokalaugenschein am Nachmittag vergeblich. Wenn es in Vollbetrieb ist (wann, weiſs derzeit keiner), „wird das NMEC die Geschichte Ägyptens erzählen – von der prädynastischen Zeit bis heute“, erzählt Ägyptens berühmtester Archäologe, Zahi Hawass, auf dessen Initiative das Museum zurück geht. „Die Stars in diesem Museum werden nicht die Objekte sein, sondern die Geschichte.“Irgendwie scheint Hawass dann aber doch nicht ganz von der eigenen Idee überzeugt gewesen zu sein; sagt er doch im Interview mit dem Historymagazin : „Ich dachte mir, kein Mensch wird in dieses Museum kommen. Denn es liegt abseits, in Al Fusan.“Darum habe er nachgedacht, wie man es trotzdem zu einem Anzie-
hungspunkt machen könnte und hatte eine Idee: „Alle Königsmumien kommen dorthin!“, erzählt er. „Wenn sie Tutanchamun und die Mumien in Libyen oder der Wüste ausstellen, werden die Leute hinkommen“, ist Hawass überzeugt. (Wobei ausgerechnet die Mumie von Tutanchamun nicht transportfähig ist und in ihrem Grab in Luxor bleiben muss. Als Howard Carter den Sarg öffnete, hat er festgestellt, dass die Goldmaske am Gesicht festklebte. Innen gab es 150 Amulette. Hawass: „Um an diese Amulette zu kommen, beschädigte er die Mumie. Sie ist Stückwerk, ausgenommen das Gesicht.“) Im NMEC wollen die Wissenschafter die Mumien ganz anders präsentieren. „Nicht mehr als Nervenkitzel, sondern als Bildungsauftrag. Wir werden also neben jeder Mumie eine Statue des jeweiligen Königs aufstellen. Und Tafeln, auf denen beschrieben wird, was er in seinem Leben gemacht hat“, verspricht Hawass. Auſserdem werden sich dort die Resultate der Dna-analysen und anderer wissenschaftlicher Untersuchungen finden, etwa die Todesursache. Zu diesem Zweck setzt man jetzt das ägyptische Mumienprojekt fort. Hawass: „Die 18. Dynastie (unter anderem Tutanchamun und seine Familie oder Hatschepsut) ist bereits untersucht. Nun bereiten wir die Dynastien 19 und 20 für die Untersuchung vor.“Start war im vergangenen November (mehr zum Mumien-projekt auf den Seiten 62 bis 67) .
DREI MUSEEN. Weil schon bald die Schätze Ägyptens auf drei Museen an drei Standorten verteilt sein werden, befürchten viele, dass das der Tod des Museums am Tahrirplatz sein könnte. Die Objekte am alten Ort sind vor allem für Wissenschafter interessant, das groſse Publikum will primär Tutanchamuns Schätze sehen. Auch die Ägyptologin Waffa El Saddik, bis 2010 Direktorin dort, war anfangs ganz gegen das GEM, wie sie im Interview verrät. Sie befürchtete „einen Wettstreit zwischen den Museen“. Heute sagt sie: „Man muss das Beste daraus machen. Es bleibt noch genug“. Das ist vor allem ihr zu danken: Waffa El Saddik war es, die während ihrer Amtszeit damit begonnen hat, den Keller im alten Museum aufzuräumen. „Hundert Jahre lang wurden im Keller des Nationalmuseums planlos Funde gelagert. 80.000 Objekte sind ohne Inventarnummer.“»
Kein Wunder, die Räumlichkeiten sind 3000 Quadratmeter groſs, lange gab es nicht einmal Licht. Ein Dorado für verloren geglaubte Schätze der Archäologie also. Mittlerweile weiſs man, dass fast 100.000 Objekte dort ihrer Entdeckung harren; darunter mehr als 6000 Särge vom alten Königreich bis zur griechisch-römischen Zeit, die dokumentiert und restauriert werden müssen. Wenn man fertig ist, soll es eine Ausstellung geben. „Wir werden alles neu konzeptionieren müssen“, gesteht Direktorin Abdel-razek dann doch, um gleich das Positive zu betonen: Die verbliebenen Stücke können schon bald besser präsentiert werden. Auſserdem arbeitet ihre Vorgängerin, Waffa El Saddik, daran, das Museum wieder in den originalen Farben erstrahlen zu lassen. „Wir haben alte Bilder aufgetrieben, geforscht, wie es früher ausgeschaut hat und damit begonnen, die alten Farben wieder herzustellen.“Mithilfe der EU soll das alte Museum auſserdem renoviert werden. Direktorin Abdelrazek ist also hoffnungsfroh. Ob sie Tutanchamun vermissen wird? Sie lacht: „Ja, er ist berühmt, aber ich möchte mich lieber auf jene Meisterwerke konzentrieren, die bei uns im Museum bleiben.“Ihr Mantra dabei: Inshallah (So Gott will) und Hamdulillah (Gottlob!) „Auſserdem haben wir ohnedies genug weitere Mumien im Magazin.“
17 LABORS. Im neuen Grand Egyptian Museum werden derweil Mumien in Holzsärgen monatelang in Kunststofffolien eingeschweiſst. Im Inneren töten Chemikalien alle Bakterien, Pilze und Krankheitserreger ab. Denn
auch das GEM muss nicht ganz ohne Mumien auskommen – die von hohen Beamten sollen hier gezeigt werden, ist der Plan. „Sie zu untersuchen, wird in Zukunft eine unserer Aufgaben sein. Hier soll sich ein Research-center entwickeln, sobald die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sind“, sagt Gem-direktor Tawfik. In den 17 Restaurierungslabors gleich neben der Baustelle des neuen Museums herrscht Hochbetrieb. Jedes ist auf ein Material spezialisiert – auf Leinen, Leder, Papyrus, Holz, Keramik, Glas, Metall und Stein. Sogar für schwere Steinobjekte gibt es ein eigenes Labor. Sara Hassan koordiniert die Besuche im GEM: Für eine Gebühr von 200 Us-dollar pro Person bekommt jeder eine exklusive Führung durch die Restaurierungsstätten (einfach eine email an saraelmesalme@gmail.com schicken) . „Es ist einespende,damitwirhierallesfertig- stellen können“, sagt sie. „Da an die 3600 Artefakte aus dem Grab des Tutanchamun nie ausgestellt waren, brauchen diese ziemlich viel Konservierungsarbeit.“Direktor Tawfik deutet auf die Leder-sandalen des Pharaos, um deutlich zu machen, was er meint. Mohamed Yosu, der Restaurator, zeigt unterdessen das Foto, das belegt, in welch schlechtem Zustand die mehr als 3000 Jahre alten Sandalen waren. Tawfik: „Heute benutzen wir feines, antibakterielles, japanisches Papier, um die Artefakte zu remodellieren. Und Kleber auf Wasserbasis.“Man arbeite auf dem allerneuestenstandderrestaurationstech
versichert er. „Sollte die Zukunft bessere Techniken bringen, kann alles rückgängig gemacht werden.“Ein paar Tische weiter beugen sich Restauratorinnen, allesamt »
junge Ägypterinnen, mit Lupen, winzigen Messern und Spachteln sowie viel Fingerspitzengefühl andächtig und sehr vorsichtig über uralte Papyri. Hier ist es still wie in einer Kirche. Den männlichen Kollegen haben es eher die vergoldeten Betten des Pharaos, seine Schilde sowie Bögen angetan. Und natürlich die Streitwägen. Sechs waren in seinem Grab – zwei davon vergoldete Zeremonialwägen, die jetzt im Labor stehen. Weder Glas noch Wachmann hindern hier den Betrachter, die bunten Einlegearbeiten, Schlangen, Skarabäen und die ersten bekannten Stoſsdämpfer der Antike aus wenigen Zentimetern Abstand zu betrachten, auf die Sara Hassan jetzt deutet: „Letztere haben wir entdeckt, als wir Röntgenaufnahmen der Streitwägen machten“, erzählt sie. Howard Carter hat alle Artefakte mit flüssigem Wachs überzogen, nachdem er sie vor fast 100 Jahren gefunden hatte. Das war die damals gängige Art der Konservierung. „Aber heute muss das mühsam entfernt werden“, sagt Hassan. Weiter geht es zu Tutanchamuns Halsketten. 6000 Perlen, grün, weiſs, orange, blau, rot … „Alle original, keine nachgemacht“, versichert Hassan und zeigt auf das Bild daneben: „Howard Carter hat jedes Stück im Grab fotografiert. Doch damals waren die Fotos schwarz-weiſs. Das macht die Rekonstruktion zur »
Schwerstarbeit.“Der Restaurator hat es trotzdem geschafft: Innerhalb von vier Monaten hat er die vielreihige bunte Kette so zusammengesetzt, dass sie wie neu ausschaut. „Sieben Mal hat er alles verworfen. Heute braucht er eine Brille.“Sara Hassan berichtet, dass man auch Stücke aus dem alten Museum hier habe, die im Zuge des Arabischen Frühlings zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen wurden. Sie zeigt auf eine vergoldete Holz-statue. „Die Plünderer dachten, sie sei aus Gold und als sie ihren Irrtum bemerkten, haben sie sie achtlos zur Seite geworfen“. Jetzt wird die Statue restauriert.
ALTE GETREIDE. „Es ist überraschend, dass die Stücke aus dem Grab Tutanchamuns, obwohl er so bekannt ist, relativ wenig untersucht wurden. Da ist noch viel zu machen“. Tawfik meint damit zum Beispiel den Nahrungsvorrat für das zweite Leben des jungen Pharaos. „Man nahm etwa Früchte mit, auch Fleisch, Geflügel, Brot und Kuchen – es ist sehr interessant, die Überreste dieser verschiedenen Lebensmittel zu erforschen“, sagt er und denkt an DNA- und Agrar-untersuchungen. „Man könnte versuchen, diese gersteähnlichen Getreide nachzupflanzen“, denkt er laut nach. Das könnte durchaus passieren, sehen die Ägypter ihr Grand Egyptian Museum doch als Teil eines Entwicklungsprojekts, in das die umliegende Infrastruktur von Gizeh und noch mehr einbezogen wird. Die heute zweispurige Straſse vor dem Museum soll auf vier Spuren ausgebaut werden, eine Ringstraſse soll das gesamte Areal umrunden. Direktor Tawfik freut sich auch, dass die U-bahn bis Gizeh verlängert wird. „Die Station ist schon da, direkt vor dem Eingang. Sie heiſst auch Grand-egyptian-museum-metrostation“, erzählt er. Eine halbe Stunde entfernt liegt der neue Sphinx International Airport, der schon bald den Wochenend-museumsbesuch aus aller Welt erleichtern soll. „Klar ist, dass sich das Areal zum kulturellen Herzen von Gizeh entwickeln soll.“
FAZIT. Alles am neuen Museum ist groſs bis gröſsenwahnsinnig (siehe auch Grafik Seiten 22, 23) . „Wir nennen das Grand Egyptian Museum gerne die ‚Pyramide der Neuzeit‘. Es ist ein Projekt pharaonischer Dimension.“Ein bisschen Stolz mischt sich in Tarek Tawfiks Stimme: „Das Gefühl, an einem Monument dieses Ausmaſses federführend teilzunehmen, am Ausstellungskonzept von Tutanchamun persönlich beteiligt zu sein, ist groſsartig.“■