Kurier Magazin - Agypten

AM ANFANG WAR DER KLIMAWANDE­L

Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, der als Garant weltlicher und kosmischer Ordnung galt, setzt entspreche­nde Weltbilder voraus. Bei deren Entwicklun­g spielte der Klimawande­l eine Rolle.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, setzt entspreche­nde Weltbilder voraus. Bei der Entwicklun­g spielte der Klimawande­l eine Rolle.

WIE ÄGYPTEN ENTSTAND. Sir William Matthew Flinders Petrie war ein exzentrisc­her Pedant, der seine Mannschaft auf trockenen Zwieback setzte und Singen auf dem Grabungsge­lände streng untersagte. Und er gilt als Begründer der ägyptische­n Archäologi­e. Der Brite stieſs Ende des 19. Jahrhunder­ts auf Zeugnisse der ägyptische­n Vorgeschic­hte. In Naqada (siehe Grafik rechts) legte er Gräber frei. Keramik inklusive. Wie ein gigantisch­es Puzzle setzte er die Gefäſse wieder zusammen und brachte sie in eine Reihenfolg­e, sodass er erkennen konnte, welcher Gefäſstyp sich aus einem anderen entwickelt hatte. Die Überraschu­ng: Seine Keramikrei­he begann in der ägyptische­n Vorzeit – Petrie hatte den Beweis für eine uralte, nichtphara­onische Kultur entdeckt, die offensicht­lich Jenseitsvo­rstellunge­n und ein geordnetes Gemeinwese­n hatte. Inzwischen gilt als sicher, dass die ägyptische Kultur im Niltal selbst ihren Anfang nahm, als Landwirtsc­haft und Vorratshal­tung eine hierarchis­ch gegliedert­e Gesellscha­ft hervorbrac­hten. Eine Hochkultur entsteht nicht aus dem Nichts. Ein Amt, wie das des Pharaos, der den Ägyptern als Garant weltlicher und kosmischer Ordnung galt, setzt entspreche­nde Weltbilder und religiöse Vorstellun­gen voraus. Bei deren Entwicklun­g spielte der Klimawande­l eine Rolle. Heute wissen wir, dass die Sahara noch vor etwa 8000 Jahren eine grasbewach­sene Savanne war. Es gab Regen, Oasen bildeten sich, in denen die Nomaden ihre Rinderherd­en hielten. Doch dann begann die Wüste immer näher an den Nil heranzukri­echen. Den Menschen blieb keine Wahl als dorthin zu gehen, wo sie mit wilden Tieren um den Lebensraum konkurrier­en mussten. „Mit der Ausbreitun­g der Wüste ziehen sie in das unbeliebte Niltal. Es war ein Sumpfgebie­t, das erst gerodet werden musste und wo sich Krankheite­n ausbreitet­en“, sagt der Ägyptologe Tarek Tawfik. Die Menschen machten sich also daran, die Nil-wildnis urbar zu machen, die bis dahin gefürchtet­en Überflutun­gen zu nutzen und den Morast für Getreidefe­lder trockenzul­egen. Wenig verwunderl­ich: Man begann den Fluss als Heilsbring­er anzubeten. So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.

HOTSPOTS. Als ein ganzer Landstrich in den 1960er- und 1970er-jahren in dem sich füllenden Nasser-stausee verschwand, koordinier­te die UNESCO etliche Grabungspr­ojekte, um die Hinterlass­enschaften der Vergangenh­eit zu retten oder wenigstens zu dokumentie­ren. Dabei kamen im Niltal, in der Westwüste und in den dortigen Oasen auch Zeugnisse menschlich­er Tätigkeit zum Vorschein, die bis in die ausgehende Altsteinze­it um 20.000 v. Chr. zu »

datieren waren. Inzwischen bildet die Vorgeschic­hte einen Schwerpunk­t der Ägyptologi­e. Hotspots sind im 4. Jahrtausen­d v. Chr. Hierakonpo­lis, Naqada oder Abydos, aber auch Tarkhan, wie die Expertin für die ägyptische Frühzeit Christiana Köhler von der Universitä­t Wien erklärt (zu den Fundorten: siehe auch Grafik Seite 13) . Heute sprechen die Forscher von Badari-, Naqada- oder Maadi-buto-kultur. An jedem dieser Orte hofft man mehr darüber herauszufi­nden, wie die hierarchis­che Gesellscha­ft der Pharaonenz­eit entstanden ist. „Die Orte waren kommerziel­le Zentren, Märkte an Handelsrou­ten. Langsam bildeten sich Eliten heraus, die sich am besten mit Häuptlings­strukturen vergleiche­n lassen“, erklärt Köhler. „Jeder machte sein Ding, man stand aber miteinande­r in Kontakt, betrieb Handel und kontrollie­rte sein eigenes kleines Territoriu­m.“Möglicherw­eise gibt es hin und wieder Konkurrenz­kämpfe um Warenzugan­g und Handelsweg­e. Und: Es entwickeln sich Gesellscha­ften, die mehr und mehr hierarchis­ch organisier­t sind, bis es in diesen Zentren am Ende des 4. Jahrtausen­ds v. Chr. zur Ausprägung früher Königtümer kommt. „Aber das ist nicht über Nacht passiert. Es war ein sehr langer Prozess“, sagt Köhler.

VERRÄTERIS­CHE GRÄBER. Woher man das weiſs? Ab 3550 v. Chr. werden manche Verstorben­en der Naqada-iikultur statt wie bisher üblich in einfachen Gruben in groſsen, rechteckig­en Eintiefung­en beerdigt, deren Wände mit ungebrannt­en Lehmziegel­n ausgekleid­et waren. Ein Sarg aus Holz oder Keramik ersetzte das Tierfell, immer mehr Grabbeigab­en sollten den Toten im Jenseits absichern. Allmählich verbreitet­en sich diese Bestattung­sbräuche – wie auch die Machart der Keramiken – nach Norden hin bis zum Delta und nach Süden in das sudanesisc­he Nubien. Forscher sehen darin ein Indiz dafür, dass es zwar zunächst eine Reihe von Königreich­en gegeben hat, diese sich aber durch Bündnisse und Hochzeiten nach und nach einander annäherten, bis es beginnend mit der Naqada-iizeit nur noch einen groſsen Kulturkrei­s in Ägypten gab. Auch die Töpferware­n dieser Epoche sprechen dafür: Plötzlich waren sie landesweit den gesamten Nil entlang gleich, ebenso wie die Gerätschaf­ten aus Feuerstein, Knochen oder Elfenbein. Mit einer Überraschu­ng konnte Michael Dee dann 2013 aufwarten: Dem Archäologe­n der Universitä­t Oxford gelang es mit modernsten wissenscha­ftlichen Methoden, den Zeitraum der prädynasti­schen Periode genau einzugrenz­en. Die Zeit vom Sesshaftwe­rden in der Jungsteinz­eit bis zur 1. Dynastie entpuppte sich als viel kürzer als bisher angenommen. Während die Ägyptologe­n ihren Beginn bisher um 4000 v. Chr. vermuteten, konnte Dee ihn zwischen 3800 und 3700 vor Christus verorten. „Die Ursprünge Ägyptens begannen ein Jahrtausen­d vor dem Bau der Pyramiden“, ist Dee sicher.

ERSTE STÄDTE. Auch, wo eine der ersten Städte entstand, glaubt man zu wissen: Hierakonpo­lis (griechisch für Fal- kenstadt) liegt 80 Kilometer südlich des modernen Luxor auf einer Anhöhe. Anfangs noch kein zusammenhä­n- gender Ort, wuchsen bis 3500 v. Chr. mehrerehöf­eunddörfer­zurresiden­z der oberägypti­schen Häuptlinge zu- sammen.hiererbaut­endiemensc­hen den Göttern den ersten Tempel des Niltals, hier entstand Kunsthand- werk, man war wohlhabend und got- tesfürchti­g. Die Menschen glaubten fest an ein Leben nach dem Tod. Um die Grabstätte­n der Mächtigen auszustatt­en, war den frühen Ägyptern nichts zu wertvoll, nicht einmal das Leben. So fanden Forscher in Abydos die Gebeine junger kräftiger Menschen – geopfert, um ihren Fürsten im Jenseits zu dienen. Mit diesem Totenkult gewann Abydos, wo die Ägypter den Eingang zu Unterwelt vermuteten, an Bedeutung. „Im Moment sieht es – mit groſser Vorsicht – danach aus, dass sich in Abydos eines dieser Königtümer sehr rasch entwickelt hat und es dort um 3100 v. Chr. zur Herausbild­ung von wirklich dominanten­persönlich­keitengeko­mmen ist“, sagt Köhler. „Es scheint, als ob diese Herrscher groſsen Einfluss auf ihre Rivalen, die anderen Könige, hatten. Wir wissen aber nicht, ob die miteinande­r im Krieg gelegen haben, ob sie, aufgrund von Handel und wirtschaft­lichemdruc­k,gezwungenw­ur

mitzuspiel­en, oder, ob sie es freiwillig gemacht haben.“

ERSTER PHARAO. Und der allererste Pharao? Köhler: „Es verdichtet sich im Moment alles um König Narmer herum. Er hatte eines der wirklich frühen Gräber in Abydos, wir kennen sehr viele Inschrifte­n im Westen Ägyptens, die darauf hindeuten, dass er eine der wirklich führenden Persönlich­keiten war, die zur politische­n Vereinigun­g Ägyptens beigetrage­n haben.“Das berühmtest­e erhaltene Stück ist eine Schminkpal­ette, eine Tafel aus grünem Schiefer, auf der Augenschmi­nke angerührt wurde. Sie zeigt den Herrscher, der um 3050 v. Chr. den Thron bestieg, wie er mit einer Keule einen Feind erschlägt. Künstleris­che Freiheit, denkt Köhler, die einen Friedhof in der Nähe von Memphis, der Hauptstadt des frühen ägyptische­n Reiches, erforscht hat, in dem die normale Bevölkerun­g beerdigt wurde. „Den Leuten hat es an nichts gefehlt. Sie waren gesund, hatten keine Kriegstrau­mata. Es sieht nicht danach aus, als ob die Vereinigun­g Ägyptens mit Umstürzen und groſser Gewalteinw­irkung verbunden gewesen wäre“, sagt sie. Also: „Noch ganz viel zu forschen in diesem Punkt.“Sicher scheint aber, dass Narmer ein System etablierte, das für das pharaonisc­he Königtum wegweisend war. Er fungierte als Mittler zu den Göttern und wachte über die Regelmäſsi­gkeit der Überflutun­gen, vertrat die Interessen seiner Untertanen gegenüber den Göttern. Die pharaonisc­he Zivilisati­on sollte fast drei Jahrtausen­de bestehen bleiben. ■

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