EUROPA IN ÄGYPTOMANIE
151 Wissenschafter begleiteten Napoleon 1798 auf seinem Ägyptenfeldzug. Ihr Auftrag: Flora und Fauna minutiös dokumentieren sowie das pharaonische Erbe vermessen und aufzeichnen. Die Informationen und Bilder, die bald aus dem Land am Nil nach Europa drang
151 Forscher begleiteten Napoleon auf seinem Feldzug an den Nil. Auftrag: Das pharaonische Erbe aufzeichnen. Die Entdeckungen lösten einen Ägypten-boom aus.
TERRA INCOGNITA. Heimlich, still und leise verlässt Napoleon Bonaparte im August 1799 Ägypten per Schiff in Richtung Frankreich. Sein Versuch, den Briten den Zugang zum Roten Meer abzuschneiden, ist gescheitert. Er lässt seine über 30.000 Mann starken Truppen zurück. Und einen Tross von Forschern ebenso. „Sein primäres Interesse war militärischer Natur“, analysiert Ernst Czerny vom Institut für orientalische und europäische Archäologie (OREA). „Es ging ihm darum, den Handelsweg der Engländer nach Indien zu unterbinden, aber es war ihm auch bewusst, dass Ägypten diese alte Kultur hat und das interessierte ihn sehr.“Bereits 1798 hatte Napoleon eine „Kommission der Wissenschaften und Künste“für seine Expedition nach Ägypten, formal eine osmanische Provinz, zusammengestellt: 151 Wissenschafter in fünf Kategorien – Mediziner, Chemiker, Zoologen, Ingenieure, Literaten und Ökonomen. Ihr Auftrag: Flora und Fauna minutiös dokumentieren, das pharaonische Erbe vermessen und aufzeichnen sowie Kleidung, Sitten und Gebräuche festhalten – und das alte Ägypten in die Gegenwart zerren. Das war auch hoch an der Zeit: Das, was Europa über das Land am Nil wusste, stammte Groſsteils aus antiken Quellen. Ja, es gab Reisende, die bereits vor 300 Jahren regelmäſsig nach Ägypten kamen und Abbildungen der Pyramiden mitbrachten, sagt Czerny. Auch Fischer von Erlach lieſs sich in seiner Arbeit von den Pyramiden inspirieren. „Die frühen For-
schungsreisenden des 17. und 18. Jahrhunderts kamen aber allesamt nur bis Kairo. Oberägypten war komplett unbekannt. In Gizeh war Schluss. Von den Pyramiden und dem Sphinx hatte man eine gewisse Vorstellung, aber nicht von den oberägyptischen Tempeln, nicht von Karnak oder Edfu.“
OFFENER MUND. Forscher wie Soldaten traf die Kultur am Nil völlig unerwartet: Laut einem Bericht des Künstlers Dominique-vivant Denon, kam die gesamte Armee wie auf Kommando staunend zum Halt und klatschte begeistert in die Hände, als hinter einer Schleife des Stroms plötzlich die Tempel von Karnak und Luxor oberhalb der Ruinen von Theben auftauchten. Ausgerüstet mit Zeichenbrett, Papier, Bleistift, Lineal und Kompass dokumentierten die Forscher jeden der Orte auf acht bis zehn Tafeln. Es waren junge Absolventen oder noch Studenten der 1794 gegründeten Pariser École Polytechnique, an der Zeichnen und Vermessen Hauptfächer waren. „Die waren so fantastisch ausgebildet, dass sie alle wunderbar zeichnen konnten“, berichtet Czerny. Dennoch waren sie nicht vor Irrtümern gefeit: Die Kronen, welche die Pharaonen als Herrscher Ober- und Unterägyptens kennzeichneten, deuteten die europäischen Gelehrten als kunstvolle Frisuren.
GROSSTAT. Alle Erkenntnisse flossen schlieſslich in die „Description de l’égypte“ein, die zwischen 1809 und 1828 gedruckt wurde. Archäologe Czerny nennt sie „wissenschaftlich eine Groſstat“, bestand sie doch aus zehn Bildbänden, je 51 mal 66 Zentimeter groſs, und zwei Atlanten im Format 66 mal 102 Zentimeter mit insgesamt 837 Kupferstichtafeln (davon 50 in Farbe). Ein dritter Atlas umfasste auf 47 Bögen topografische Karten Ägyptens und Palästinas. Neun weitere Textbände übertrafen an Umfang selbst moderne Enzyklopädien zum Thema Ägypten. Etwa 7000 Seiten an Erinnerungen, Beschreibungen und Kommentaren rundeten das Bild ab. Und vermittelten den Menschen der Neuzeit erstmals ein reiches und detailliertes Bild der Altertümer aus der Zeit der Pharaonen. Obwohl: „Es war kein populäres Werk, weil es unermesslich teuer war. Niemand konnte die ‚Description de l’égypte‘ kaufen, die Höfe haben sich die Bände gegenseitig geschenkt. Dann kamen sie in die Nationalbibliothek und in die Hofbibliotheken. Gebildete konnten sich das anschauen“, erzählt Czerny. Trotzdem wurde das Interesse an den Wundern vom Nil geweckt und so die moderne Ägyptologie begründet. Die Informationsflut löste sogar eine regelrechte Ägyptomanie aus – Künstler schufen Gemälde, durch die man sich in die Tempel am Nil träumen konnte, pharaonisch anmutende Kerzenhalter und Geschirr kamen in Mode.
HIEROGLYPHEN. Archäologe Czerny weiter: „Einen Nachteil gab es aber – man konnte die Hieroglyphen nicht lesen.“Der wissenschaftliche Höhepunkt der napoleonischen Expedition war sicherlich der Fund des Steins von Rosette. Im Juli 1799 von einem französischen Offizier im Nildelta entdeckt, handelt es sich um eine Stele, die eine Inschrift in drei Schriften »